Weshalb fast alle Frauen im Spital gebären. Hausgeburt in der Schweiz zwischen 1976 und 1996

AutorIn Name
Anna
Rossing
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Kristina
Schulz
Institution
Histoire contemporaine
Place
Neuchâtel
Year
2017/2018
Abstract
Die Spitalgeburt hat sich im 20. Jahrhundert als normale Geburtspraktik etabliert. Mitte der 1970er Jahre, als nahezu alle Geburten im Spital stattfanden, wurde das Thema Hausgeburt in den Medien neu diskutiert. Grund war das anscheinend grosse Interesse vieler Frauen an der Hausgeburt. Die Masterarbeit untersucht, weshalb ein Anstieg der Hausgeburtsrate dennoch ausblieb – dies anhand der Zeitschrift des Schweizerischen Hebammenverbandes, der Schweizerischen Ärztezeitung und von Zeitungsausschnitten zum Thema Mutterschaft und Geburt, die vom Schweizerischen Sozialarchiv zusammengetragen wurden, zusätzlich anhand von populärwissenschaftlicher Literatur und medizinwissenschaftlichen Publikationen sowie Berichten der WHO und der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH. Das Quellenkorpus wird durch ein Interview mit einer Hebamme, die als Pionierin frei praktizierte, ergänzt. EreignisAuslöser für das Interesse von Frauen an der Hausgeburt waren die zunehmende Kritik an der Spitalgeburt, Berichte über die hohe Hausgeburtsrate in den Niederlanden, neue Erkenntnisse von GeburtshelferInnen, die für ein grosses Publikum publiziert wurden, und das veränderte Selbstbild und Körperbewusstsein im Zuge der Neuen Frauenbewegung. Der erhöhten Nachfrage nach Hausgeburten konnten die wenigen noch freipraktizierenden Hebammen nicht nachkommen. Der Schritt in die Selbstständigkeit war jedoch für Hebammen schwierig: Die Tarife der freischaffenden Hebammen waren so tief angesetzt, dass der Lohn nicht existenzsichernd war, und es fehlte an ÄrztInnen, welche die Hebammen unterstützten. Trotzdem wagten einige Hebammen den Schritt in die Freiberuflichkeit. Dabei entdeckten sie geburtshilfliches Wissen, die Kunst des Abwartens und die Geburt als soziales Ereignis wieder. Zugleich kam es in den Spitälern zu Änderungen: Das Rooming-in wurde eingeführt, die Spitalroutine wurde stillfreundlicher, neu im Angebot standen die ambulante Geburt und Beleghebammen, vertikale Gebärhaltungen wurden möglich, Gebärzimmer wurden umgestaltet und Badewannen eingebaut. Diese Verfahrensweisen sind grundlegende Praktiken extramuraler Geburtshilfe, womit sich das Angebot der Spitäler der Hausgeburt anglich – zumindest an der Oberfläche. Antrieb für diese Reformen in den Geburtsabteilungen war die Kritik der Dienstleistungsnehmerinnen und der Konkurrenzkampf zwischen Haus- und Spitalgeburtshilfe. Infolge des Geburtenrückgangs kam es zudem zu einem Konkurrenzkampf unter den Spitälern, wobei diese die genannten Neuerungen auch als Werbung für sich und ihre Geburtsabteilungen nutzten. Hingegen kam es zu keinen wesentlichen Änderungen in der Hierarchie zwischen Hebammen und Gynäkologen und die Medikalisierung der Geburtshilfe schritt weiter fort: Technische Überwachungsmethoden wie die Ultraschalluntersuchung und die permanente elektronische Herztonüberwachung des ungeborenen Kindes wurden eingeführt und die Anzahl Kaiserschnitte stieg an. Die Untersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Hausgeburten wiesen auf die in den Spitälern entstandenen, also hausgemachten Probleme hin und widersprachen der Mehrheitsmeinung, eine Hausgeburt sei gefährlich. Der Bericht der WHO von 1985 kam zum Schluss, dass für Frauen mit unkomplizierter Schwangerschaft das eigene Zuhause ein guter oder sogar der bessere Ort für die Geburt sei als das Spital. Trotzdem schrieb die Gynäkologische Chefärztekonferenz FMH in einem Bericht von 1989, dass die Geburt im Spital zwingend notwendig sei. In den Repliken auf diesen Bericht kam die Hoffnung zum Ausdruck, die laufende Nationalfondsstudie Hausgeburt vs. Spitalgeburt möge Klärung bringen. Diese wurde 1993 abgeschlossen und konnte die Empfehlung der WHO bestätigen. Ein entsprechendes Medienecho blieb jedoch weitgehend aus und weiterhin wurde Kritik an der Hausgeburt geübt – vor allem von Gynäkologen. Ihre Aussagen waren oft in ihren Inhalten radikal und die Tonalität von einer männlich-chauvinistischen Haltung geprägt. Dass vor allem Gynäkologen sich so vehement gegen die Hausgeburt stellten, führten Hebammen auf deren Angst zurück, einträgliche Gebiete ihrer Arbeit zu verlieren. Die Frauenärzte waren die bestverdienenden freipraktizierenden Mediziner. Freipraktizierende Hebammen hingegen kämpften für mehr Lohn und dafür, dass ihr Wartegeld nicht von den Familien selber bezahlt werden musste – denn dadurch konnte eine Hausgeburt für die Familien mehr kosten als eine Spitalgeburt. Diese Anliegen wurden jedoch von den Gesundheitsbehörden, den politischen Akteuren und den Krankenkassen nicht ernst genommen. Die Diskrepanz zwischen der gängigen Praxis und den wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde ignoriert. Auslöser

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