Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2020/2021
Abstract
Der Transport von Paketen, Geld, Briefen und Reisenden wurde im 19. Jahrhundert weitgehend durch tierische Zugleistung bewerkstelligt. So war auch die 1850 operativ gewordene eidgenössische Post keine Ausnahme und setzte gänzlich auf ihre Postpferde. Dennoch fanden die postalen Arbeitstiere in der Literatur zumeist nur auf organisatorischer Ebene Erwähnung.
Die Masterarbeit stellt den Versuch dar, diese Lücke zu schliessen. Im theoretischen Rahmen der Human Animal Studies und mit einem historisch-hermeneutischen Zugang stehen die Pferde, ihre
Rolle im Postbetrieb und ihre Beziehung zu den Menschen im Mittelpunkt der Untersuchungen.
Neben einschlägiger Literatur wurde vorwiegend postinterne Korrespondenz analysiert. Der Beizug von Bildquellen erlaubte es, die Mensch-Tier-Beziehung und die Organisation der Post zusätzlich aus einer visuellen Perspektive zu beleuchten.
Als Fundament gaben die Pferde die allgemeine Struktur des Postwesens vor. Aufgrund ihrer vielseitigen Einsatzmöglichkeiten prägten sie den entwicklungsfähigen und funktionalen Charakter der Post, ohne den sie im Kampf gegen die Eisenbahn nicht hätte bestehen können. Doch auch die tierische Zugkraft konnte der allmählichen Verdrängung der Pferdepost weg von den Haupt- hin zu den Nebenstrassen und in die Bergregionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht entgegenwirken. Dennoch leisteten die Postpferde weiterhin einen erheblichen Beitrag zur landesweiten Ausbreitung des öffentlichen Verkehrs- und Kommunikationswesens, bis sie mit dem Ersten Weltkrieg gänzlich durch moderne Verkehrsmittel ersetzt wurden.
Um diese Rolle im dynamischen Transportnetzwerk wahrzunehmen, war die gesamte Betriebsorganisation der Pferdepost auf Leistungsoptimierung ausgelegt. Entsprechend stand die Kontrolle über die tierische Zugkraft an oberster Stelle. Angesichts ihrer unentbehrlichen Nützlichkeit wurden die Pferde mit Kontrollmitteln wie Scheuklappen und Peitschen zum effizienten Arbeitengeleitet.DasWohlbefindenderTierewurde dabei nicht massgebend berücksichtigt. Vielmehr war das Pferd nur ein Zahnrad in der Postmaschinerie, welches wortwörtlich zum Laufen gebracht werden musste.
Diese intensive Nutzung der Pferdeleistung bedeutete für die Post und alle Beteiligten wiederum einen grossen logistischen, materiellen, bürokratischen wie auch wirtschaftlichen Aufwand. Das verlangte nach einer zielgerichteten Organisation von der niedrigsten bis zur obersten Ebene des postalen Netzwerkes, welche mit strenger Disziplin und straffer Ordnung durchgesetzt wurde. In dieser leistungsorientierten Umgebung wurden die Pferde weitgehend als lebende Maschinen betrachtet und nicht als Individuen wahrgenommen. Dadurch wurde die Mensch-Tier-Beziehung auf eine ökonomische Rationalität reduziert und war von erheblichem Leistungsdruck gekennzeichnet. Das Verhalten gegenüber den Tieren war entsprechend weniger geprägt von der persönlichen Einstellung als vielmehr von der disziplinierten Umgebung.
Dennoch lassen sich zwischen den personellen Hierarchiestufen innerhalb des postalen Netzwerkes Wahrnehmungsunterschiede feststellen. Während die Postverwaltung und die vertraglich an sie gebundenen Pferdehalter in den Tieren kaum mehr als Arbeitsgerätschaften sahen, kam den Postillionen als vermittelndes Bindeglied zwischen Tier und Umwelt eine spezielle Rolle zu. Doch auch sie hatten stets die Regeln der Postverwaltung einzuhalten und die leistungsorientierte Betriebsphilosophie umzusetzen.
Im Gegensatz zu diesen geschäftlichen Beziehungen wurde den Pferden von Aussenstehenden durchaus emotionale Beachtung geschenkt. Je weiter weg die entsprechende Person in einem Verhältnis zur Postverwaltung stand, umso mehr wurden die Postpferde auf einer emotionalen Ebene wahrgenommen; das Wohl der Tiere rückte in den Vordergrund. Diese Wahrnehmung veränderte sich auch im Verlauf der Zeit; rückblickend wurde bzw. wird die Pferdepost geradezu romantisiert.
Folglich waren es zum einen die Bedingungen, unter denen die Mensch-Tier-Beziehung stand und zum anderen die Ansprüche an das Bündnis, welche die Art der Beziehung zu den Pferden bestimmten und Wahrnehmungsveränderungen hervorriefen. Damit wirkten die Postpferde in ihrer Rolle als Arbeitstiere unter anderem auf ihre soziale Umwelt ein. Ein Umstand, der ihnen und anderen Tieren in der Geschichtswissenschaft mehr Beachtung einbringen sollte.