Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2018/2019
Abstract
Videospiele entwickelten sich als junges Medium in den letzten Jahrzehnten zum weit verbreiteten Kulturgut und werden gegenwärtig in unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten millionenfach konsumiert. Historische Videospiele vermitteln dementsprechend ähnlich wie andere populäre Medien gewisse Geschichts- und Erinnerungsbilder, die in dieser Arbeit im Zentrum stehen.
Spezifisch wird die Auseinandersetzung von Videospielen mit dem Ersten Weltkrieg untersucht, welcher im Vergleich zu anderen historischen Epochen oder Ereignissen in der Spielewelt stark unterrepräsentiert ist. Die ebenfalls noch junge Wissenschaft der Game Studies fand bereits Erklärungen für diesen Zustand, die sich aus narrativen und spielerischen Elementen zusammensetzen. Der Krieg, dessen westliche Erinnerungskultur stark von der Westfront geprägt wird, ist zu komplex und als sinnlos verankert, wodurch das historische Material schwer umzusetzen sei und zu kontrovers aufgenommen werden könnte. Gleichzeitig eigne sich die defensive Kampfführung des Stellungskrieges nicht dazu, Spass zu generieren.
Mit dem hundertjährigen Gedenken erschienen ab 2014 trotzdem einige Videospiele, die sich dem Ersten Weltkrieg widmen und neue Ansätze proben. Anhand theoretischer Grundlagen der Game Studies soll daher geklärt werden, inwieweit sich Videospiele zum Ersten Weltkrieg sowohl narrativ als auch spielerisch weiterentwickelt haben. In einem weiteren Schritt stehen die Entwickler der untersuchten Spiele im Fokus, da diese in einem wirtschaftlichen und soziokulturellen Kontext kreiert werden, der Auswirkungen auf das Produkt hat.
Die Untersuchung basiert auf einer Fallstudie mit sieben Spieltiteln. Da Videospiele mehrere Stunden in Anspruch nehmen, um sie komplett zu beenden, handelt es sich hier um eine breitere Quellenauswahl, welche keine allumfassende Analyse einzelner Spiele erlaubt. Dennoch können Grundzüge der historischen Verarbeitung miteinander verglichen werden, wobei sich verschiedene Eigenarten herauskristallisieren. Unterschiedliche Spielegenres besitzen ganz eigene Herangehensweisen, wie sie sich mit dem historischen Ereignis auseinandersetzen.
Das Shooter-Genre fokussiert eindeutig auf die Kampfhandlungen individueller Soldaten auf grossen Schlachtfeldern, auf denen sich Spieler online in Massenschlachten gegeneinander messen und damit spielerisch ein Narrativ des Krieges produzieren. Es existieren zusätzlich Einzelspielererfahrungen, in denen dem Spieler eine lineare Erzählung vorgesetzt wird. Diese reichen von authentisch anmutenden Kriegserfahrungen, die stark filmisch inszeniert sind, bis hin zu fantastischen Darstellungen, welche die Schrecken des Niemandslandes stilistisch überzeichnen. Narrative Adventures befassen sich in ihren Geschichten ebenfalls mit den weit verbreiteten Bildern des Stellungskrieges an der Westfront, diversifizieren jedoch das Geschichtsbild, indem Themen wie Kriegsgefangenschaft, Frontalltag oder Heimatfront in den Vordergrund gerückt werden.
Strategiespiele wiederum entfernen sich von der individuellen Perspektive und überlassen dem Spieler die Kontrolle über diverse Staaten, ohne ihm eine narrative Richtung vorzugeben. Dadurch ist eine kontrafaktische Spielweise möglich, die sich trotzdem mit geopolitischen, wirtschaftlichen und strategischen Fragen des Grossen Krieges auseinandersetzt.
Ein Blick auf die Produktion der Videospiele zeigt, wie wirtschaftliche Faktoren Einfluss auf das Endprodukt nehmen. Grosse Spielestudios, die enorm viel Kapital in die Entwicklung eines Projekts investieren, verlassen sich auf bewährte und erfolgreiche Formeln, um auf dem kompetitiven Spielemarkt eine risikoaverse Strategie zu fahren.
Kleinere Studios oder Hobbyentwickler verfügen über grössere kreative Freiheiten, um mit neuen narrativen und spielerischen Elementen zu experimentieren. Gemeinsamkeiten aller Entwickler und ihrer Spiele finden sich in der kulturellen Perspektive auf den Ersten Weltkrieg. Da es sich hauptsächlich um westeuropäische Entwickler handelt, dominiert die Westfront mit dem Stellungskrieg das konstruierte Geschichtsbild. Es sind Anzeichen einer Diversifizierung zu erkennen, sowohl in der Darstellung der Westfront selbst als auch durch eine Öffnung der Perspektive, indem Schauplätze wie die Ostfront, Afrika oder der Nahe Osten thematisiert werden. Dennoch bleiben bis heute die westliche Haltung und Erinnerungskultur unangefochten.
Trotzdem beweist diese Fallstudie, dass Videospiele zum Ersten Weltkrieg schrittweise Entwicklungen vollzogen haben, um das ansonsten übersehene historische Ereignis auf neue Weisen einem grossen Publikum zu vermitteln.