Die Lizentiatsarbeit behandelt ein Thema, das nicht gerade im Mainstream der mediävistischen Historiographie steht. Von Sammelbänden abgesehen fehlt es seit langem an umfassender monographischer Darstellung grösserer regionaler, überregionaler und lokaler Zusammenhänge. Die Gründe für diese Abstinenz liegen wohl in der schwer zu erschliessenden Quellenlage, der nicht vernachlässigbaren Verlinkung mit zahlreichen historischen Sub- und Nachbardisziplinen sowie dem hohen Grad an Komplexität von Verkehrssystemen als Zielobjekten der historischen Forschung. Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage aufzuzeigen, dass sich die mittelalterlichen Jahrhunderte verkehrstechnisch betrachtet nicht nur durch Statik und Rückschritt auszeichneten und eine facettenreiche Organisation des Strassen- und Verkehrswesens kannten, bildete das Hauptziel der Lizentiatsarbeit, die sich den Erscheinungsformen der Verkehrspolitik innerhalb der Gebiete der heutigen Kantone Bern und Wallis widmet. Aufbauend auf der Untersuchung der naturräumlichen, klimatischen, wirtschaftlichen, politisch- herrschaftlichen und verfassungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen werden die sich um die Verkehrssysteme Bern und Wallis rankenden verkehrspolitischen Aktivitäten auf der Folie der heuristischen Kategorien „verkehrspolitische Akteure, Objekte und Massnahmen“ einer Analyse unterzogen. Neben der Hinzuziehung Quellenmaterials archivalischer Provenienz erfolgte insbesondere eine Auswertung und Verwertung der in den Dokumentationen des Inventars Historischer Verkehrswege der Schweiz (IVS) dargebotenen Informationen von der Zeit der „Entdeckung der Strasse im 12. Jahrhundert“ bis zum sich wandelnden Strassensystem der frühen Neuzeit. Als Basis der Betrachtung der verkehrspolitischen Betätigungen ausgewählter Akteure in Bern und im Wallis wird in der Untersuchung ein – auf Forschungsebene noch ausstehender – Definitionsversuch mittelalterlicher Verkehrspolitik vorgenommen.
Die komparativ angelegte Analyse der verkehrspolitischen Akteure, Objekte und Massnahmen in den Gebieten der Kantone Bern und Wallis befördert ein komplexes, aber auch differierendes Bild mittelalterlicher Verkehrsorganisation. Es konnte insgesamt festgestellt werden, dass es mehrere Hauptbereiche verkehrsbestimmender Faktoren gab, welche auf das mittelalterliche Verkehrsgefüge und damit auch auf Verkehrspolitik starke Rückwirkungen zeitigten: Der Naturraum und die topographischen sowie klimatischen Vorbedingungen, welche insbesondere den Umfang der Objekte- und Massnahmenbündel der jeweiligen Verkehrspolitik zu definieren vermochten. Das politisch-herrschaftliche Gefüge samt verfassungsrechtlichen und praktischen Spielräumen, welches beeinflusste, was für ein Ausmass an verkehrspolitischen Kompetenzen den jeweiligen Akteuren und was für ein Umfang und Wirkungsradius deren verkehrspolitischen Aktionen zufiel. Die wirtschaftliche Konstellation auf lokaler, regionaler und vor allem überregionaler Ebene, welche umfassende und deshalb quellenmässig breit und kontinuierlich fassbare verkehrspolitische Massnahmen erst initiierte. Der jeweilige Anteil dieser Bereiche konnte im Einzelfall und zu verschiedenen Zeiten erheblich variieren: Während beispielsweise im Wallis der Fernverkehr bereits sehr früh erhebliche Rückwirkungen auf die bischöfliche und die savoyische Verkehrsorganisation (12./13. Jh.) zeitigte, spielten für die Stadt Bern überregionale wirtschaftliche Einflüsse erst mit dem Aufstreben der süddeutschen Städte zu Wirtschaftszentren (15. Jh.) eine ähnliche Rolle. Dagegen kann innerhalb der Walliser Verkehrspolitik wiederum keine Verschmelzung von Territorial- und Verkehrspolitik, wie dies für die Stadt Bern in der Phase der Herrschaftsintensivierung über die erworbenen Gebiete der Fall war, ausgemacht werden. Dass die Strassen- und Verkehrsorganisation im bernischen Territorium ab dem späten Mittelalter zunehmend zentralisiert wurde, sich aber im Wallis trotz vorhandener zentraler Instanzen mit legitimierender Funktion viele innerterritoriale Kompetenzstreitigkeiten ausmachen lassen, hängt wohl in erster Linie mit den allgemeinen politischen Entwicklungen der beiden Untersuchungsräume zusammen. Darüber hinaus waren im Wallis noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts die verkehrspolitischen Zuständigkeiten zwischen Bischof und Landrat/Zenden keineswegs klar geregelt. Ausdruck fanden diese abweichenden Ausformungen der verkehrspolitischen Kompetenzbereiche auf der einen Seite im allmählich sternförmig von der Zentrale Bern wegführenden Strassensystem, auf der anderen im desolaten Strassenzustand des Walliser Verkehrsnetzes der frühen Neuzeit, das zudem auch auf wirtschaftliche Einflussfaktoren zurückzuführen ist.
Das vielerorts vermittelte negative Bild des mittelalterlichen Verkehrswesens erweist sich durch die Analyse der bernischen und Walliser Erscheinungsformen der vormodernen Verkehrspolitik als widerlegt. Ein Teil der Verflechtungen von Verkehr, Wirtschaft und Politik der beiden Untersuchungsgebiete im Mittelalter wurde durch die Arbeit aufgedeckt und ein vertiefter Einblick in die Vielfalt und Komplexität der Verkehrspolitik des mittelalterlichen Alpenraums geliefert.
Zusammenfassende Artikel zur Arbeit werden publiziert in: Rainer C. Schwinges (Hg.)/Marie- Claude Schöpfer Pfaffen (Red.), Straßen- und Verkehrswesen im hohen und späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen, Bd. LXVIII), Ostfildern 2007 [in Druckvorbereitung], und den Blättern aus der Walliser Geschichte 2008.