Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2013/2014
Abstract
Das Kloster scheint für viele Zeitgenossen eine unveränderliche Institution zu sein, in der die Zeit für immer still steht. Diese Annahme widerlegt die vorzustellende Masterarbeit, indem sie – kontextualisierend in den gesamtgesellschaftlichen und kirchlichen Rahmen – den tiefgreifenden inneren und äusseren Wandlungsprozessen nachspürt, die die aus Laienbrüdern und zu Priestern geweihten Patres bestehende Mönchsgemeinschaft des Benediktinerklosters Einsiedeln in den vergangenen acht Jahrzehnten erfuhr.
In einem ersten Schritt wurde dabei mittels einer prosopographischen Untersuchung das Profil eines jeden der 173 seit 1934 eingetretenen Mönche eruiert, wozu Informationen wie Familiengröse, Bildung, Ort der verbrachten Kindheit und Jugend, Eintrittsalter oder Beruf des Vaters erfasst wurden. Als Quellen hierfür dienten Nachrufe, Personaldossiers, Daten aus dem Familienregister der entsprechenden Zivilstandsämter sowie Protokolle jener Versammlungen der Mönche, in denen über die Aufnahme der an die Klosterpforte klopfenden Männer beraten wurde. Dabei zeigte sich, dass in einer ersten Zeitspanne zwischen 1934 und 1961 die neu eintretenden Mönche vornehmlich vom Land und aus mehrheitlich katholischen Gebieten stammten, aus einem traditionellen Milieu also, in dem Glaube und Kirche im Alltag und öffentlichen Leben eine grosse Rolle spielten, während sie zudem in relativ jungem Alter – die Patres meist direkt nach der häufig am klostereigenen Gymnasium erlangten Matura und Rekrutenschule – in die Gemeinschaft kamen und mehrheitlich überdurchschnittlich grossen Familien mit knapp sechs Kindern entstammten.
Die anschliessenden 1960er Jahre markieren in der jüngeren Klostergeschichte einen deutlichen Bruch, nicht nur aufgrund des seither andauernden Rückgangs der Zahl der Klostereintritte, sondern auch aufgrund einer neuen Generation eintretender Mönche. Für sie ist dabei bezeichnend, dass seit 1962 kein einheitliches Bild mehr nachgezeichnet werden kann, weisen sie doch – parallel zur voranschreitenden Individualisierung der westeuropäischen Gesellschaft – eine viel grössere Diversität bezüglich ihrer sozialen Provenienz, Weltanschauung und gelebten Frömmigkeit auf. Nichtsdestotrotz sind in der Betrachtung ihres Hintergrundes einige allgemeine Züge auszumachen: So ist etwa als allgemeine Entwicklung neben dem deutlichen Bedeutungsrückgang des diesbezüglich einst so wichtigen landwirtschaftlichen Sektors als Berufungsmilieu auch die höhere Vorbildung sowie das tendenziell höhere Eintrittsalter und die kleinere Geschwisterzahl festzustellen. Vor allem aber ist bei den meisten ihrer Biographien kein Automatismus des Weges in die Klostergemeinschaft mehr zu beobachten, wie er für die Zeit davor oft der Fall war, nicht selten auch verbunden mit einem gewissen sozialen Druck. Es zeigt sich also, dass mit den neuen Mönchen stets Kinder der jeweiligen Zeit ins Kloster eintreten, die damit auch eine gewandelte Mentalität sowie Selbst- und Weltsicht in die Gemeinschaft einbringen, sodass sich mit den verschiedenen Generationen unter einem Dach eine nicht selten herausfordernde Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ergibt.
Ein besonders dichter Wandlungsprozess vollzog sich in den 1960er Jahren – wie in der gesamten katholischen Kirche der Schweiz – gerade auch hinsichtlich der klösterlichen Mentalität, Spiritualität und Alltagsgestaltung, indem man sich bewusst von als veraltet und überkommen wahrgenommenen Lebens- und Erscheinungsformen verabschiedete: Diese Zäsur ist einerseits als Folge von schon länger andauernden gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zu verstehen, andererseits aber auch als eine Konsequenz der Verlautbarungen des zu dieser Zeit tagenden Zweiten Vatikanischen Konzils (1962- 1965), das seinerseits wiederum als Reaktion der Kirche auf die veränderten Zeitumstände zu sehen ist.
Es wäre indes irreführend zu meinen, dass der in Einsiedeln für die vergangenen achtzig Jahre zu beobachtende vielfältige Wandel lediglich fremdbestimmt gewesen sei: Vielmehr ist er nämlich auch als Folge von autonom gefällten Entscheidungen im Kontext einer teils bewusst gesuchten Anpassung an die Welt zu verstehen. Zwar führte etwa die Entwicklung hin zu einem kleiner werdenden Konvent und dessen steigendes Durchschnittsalter infolge des Rückgang der Zahl der Neueintritte sowie die daraus resultierende Abnahme eigener Arbeitskräfte zwangsläufig zur Aufgabe oder Externalisierung verschiedener Aufgaben, doch der Schritt hin zu einer erhöhten Professionalisierung in den verschiedensten Arbeitsbereichen des Klosters beispielsweise war vielmehr eine selbstbestimmte Entscheidung der Mönche und keinesfalls eine logische Notwendigkeit. Dies zeigt die dynamische Lebendigkeit, mit der die Einsiedler Mönche unter sich stets verändernden Umständen ihren selbstgesetzten Auftrag in Kirche und Gesellschaft auch in Zukunft wahrzunehmen versuchen.