Ratgeberrubriken in populären Zeitschriften sind äusserst viel gelesene Spalten. Doch wer steckt hinter diesem Phänomen? Inwiefern können aus solchen Rubriken in einer Längsschnitt- Untersuchung soziale Leitbilder und normative Verhaltenskodizes abgeleitet werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die vorliegende Lizentiatsarbeit, und zwar anhand der Ratgeberrubrik „Ehe- “ bzw. „Lebensberatung“ der populären Schweizer Zeitschrift „Ringiers Unterhaltungsblätter“ / „Das Gelbe Heft“ [RUB(GH)]. Die Analyse umfasst den Zeitraum 1955 bis 1985. Dabei wird die Ratgeberrubrik als Schnittstelle zwischen privatem Leben und medialer Öffentlichkeit verstanden – sie fungiert somit als Teil eines öffentlichen Diskurses. Die Rubrik „Ehe-“ bzw. „Lebensberatung“ wurde über den gesamten Untersuchungszeitraum nachweislich von einer einzigen Person – dem Ehe- und Lebensberater Heinz von Känel – betreut, der die Hilfesuchenden ohne fundierte psychologische Ausbildung, nur mit seinem „gesunden Menschenverstand“ beriet. Der Vorteil dieser Kontinuität ist, dass man den Ratgeber gewissermassen als Personifikation des gesellschaftlichen Wandels ansehen kann. Von Känel war Repräsentant eines breiten gesellschaftlichen und nicht eines fachlichen Diskurses. Die Lizentiatsarbeit zeigt, dass er vor allem fallspezifisch und deshalb häufig inkonsequent antwortete. Natürlich stimmte das vom Ratgeber vermittelte Geschlechterverhältnis nicht exakt mit der gesellschaftlichen Realität überein. Medien bilden die Realität nur selektiv ab, wobei der Einfluss der verantwortlichen Redaktion oder des Verlags als subjektiv zu veranschlagen ist. Trotz der nicht massstabsgetreuen Abbildung der Realität bieten die Zeitschriften aber dennoch einen historisch relevanten Einblick in gesellschaftliche Umstände: So handelte es sich bei den durch die „Ehe-“ bzw. „Lebensberatung“ überlieferten Bildern im Grossen und Ganzen um gesamtgesellschaftliche Diskurse, die aber immer zielgruppenspezifisch – in diesem Fall für ein eher ländlich-konservatives und kleinstädtisches Publikum – zugespitzt wurden. Grundsätzlich lässt sich für die Leitbilder und Geschlechterverhältnisse in den RUB(GH) hervorheben, dass Kontinuität und Wandel nebeneinander existieren.
Der innere Wandel in der „Ehe-“ bzw. „Lebensberatung“ ist – trotz einiger beständiger Grössen – vor allem in den propagierten Werten und Rollenbildern für Männer und Frauen anzusiedeln: Die Umformung der vermittelten Geschlechterverhältnisse lässt sich besonders am Themenbereich Sexualität festmachen, z. B. indem nach 1980 intime Probleme deutlich häufiger anzutreffen sind. Auch neue Beziehungsformen kommen vermehrt zur Sprache. Ansonsten bleiben die Sorgen der Leserinnen und Leser praktisch gleich, wobei sich hier ein spezielles Kontinuum herauskristallisiert: Die Ehe gilt trotz der modernisierten gesellschaftlichen Konventionen in der Rubrik stets als höchster Wert. Von Känels Familienbild verändert sich nicht generell, sondern nur vordergründig, was ebenfalls im Titel dieser Lizentiatsarbeit zum Ausdruck kommt: „Streichen Sie Ihrem ‚Chnorzi’ doch ein wenig um den Bart.“ Es findet gewissermassen eine Emanzipation mit Vorbehalten statt: Im Titelsatz erkennt man einerseits von Känels direkte Art, wie er mit den LeserInnen umgegangen ist. Zum anderen wird seine Auffassung der Geschlechterverhältnisse erfasst – die Frau als einfühlsames Wesen, der Ehemann als der häuslich umsorgte Teil – und von Känel selber in gewisser Weise als „Chnorzi“ entlarvt. Aufgrund der erwähnten Fallspezifität kann denn auch keine systematische Demontierung des bürgerlichen Familienbildes durch den Ehe- und Lebensberater festgestellt werden, obwohl es parallel zu den Umwälzungen in der Gesellschaft zu einer gewissen Öffnung in der Rubrik kommt. So gibt es für die LeserInnen in zunehmendem Mass nicht nur einen bestimmten normativen Verhaltenskodex, sondern mehrere.
Da sich diese Untersuchung ausschliesslich auf die Lebensberatung einer einzelnen Zeitschrift bezieht, können keine allgemeingültigen Aussagen für den schweizerischen Publikumszeitschriftenmarkt vorgenommen werden. Dazu steht die Studie zu isoliert da. Die historischen Ergebnisse jedoch sind eklatant: In der Ratgeberrubrik fand eine Einebnung der dramatischen Umwälzungen in der Gesellschaft statt; die Veränderungen wurden vom Ehe- und Lebensratgeber Heinz von Känel für das breite Publikum gewissermassen verwässert. Für eine weiterführende Studie wäre in diesem Sinne ein Quervergleich mit anderen Schweizer Publikumszeitschriften (z. B. „Schweizer Illustrierte“ oder „Schweizer Familie“) über den gleichen Untersuchungszeitraum interessant.