Als Lady Arbella Stuart 1615 nach vierjähriger Gefangenschaft im Tower von London starb, geriet sie keinesfalls in Vergessenheit. Ihre Geschichte wurde vom 17. bis ins 20. Jahrhundert in Balladen, Gedichten und Romanen immer wieder erzählt. Dabei hegten die Autoren ein besonderes Interesse für ihre heimliche Vermählung mit William Seymour im Jahr 1610 und die damit verbundene Gefangenschaft. Mit Arbella als Hauptfigur spiegeln diese Werke die sozialen, kulturellen sowie politischen Probleme der jeweiligen Epoche wieder.
Arbella gehörte zu den intellektuellsten und gebildetsten Frauen ihrer Zeit, die eine beachtliche Menge an Ego-Dokumenten in Form von Briefen hinterliess. Diese beinhalten reichhaltige Informationen zur elisabethanischen und jakobinischen Gesellschaft. Zusätzlich liefern sie Angaben über ihre Handlungsspielräume hinsichtlich der dynastischen Herrschaftssicherung. Da Arbella einem Seitenhaus der Tudor Dynastie angehört, wurde ihr dynastisches Handeln durch das bestehende Spannungsfeld zwischen ihr und Elisabeth I., sowie Jakob I. erschwert. Dieser Aspekt in der Adelsforschung des englischen Hofes wurde bislang nicht erforscht.
Das Erkenntnisinteresse basiert hierbei auf der Frage, in welcher Art und Weise sich das Spannungsfeld zwischen der Seitenlinie des Königshauses und dem Monarchen oder der Monarchin äusserte. Ferner stellt sich die Frage, welche Handlungsspielräume zur Machtstabilisierung und -erweiterung ihrer eigenen Dynastie Arbella Stuart als Frau innerhalb dieses Spannungsfeldes zur Verfügung standen.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Der erste orientiert sich an den dynastischen Prinzipien: Sicherung der Erbschaft und Heiratspolitik zur Ausweitung der Macht der eigenen Dynastie. Darin wird der Streit um das Erbe der Familie Lennox erläutert, sowie die Unterschlagung desselben, die daraus resultierende finanzielle Abhängigkeit Arbellas von den Regenten und die Möglichkeiten, die ihr offen standen, dieser Abhängigkeit entgegenzuwirken. In einem weiteren Kapitel wird auf die Heiratspolitik eingegangen. Der Fokus liegt hier auf der Art und Weise, wie unterschiedliche Personen in Arbellas Umfeld Heiratsprojekte für sie in die Wege leiteten, um daraus einen Nutzen zur Sicherung ihrer eigenen Dynastie zu ziehen. Der zweite Teil behandelt die beiden Aufenthalte am Hof Elisabeths I. sowie ihr Leben am Hof Jakobs I. Hierbei wird ein Vergleich der beiden Aufenthalte am elisabethanischen und jakobinischen Hof angestellt, soweit dies möglich ist. Das Hauptinteresse liegt dabei in der Beantwortung der Frage, welche Mittel Arbella am Hof zur Verfügung standen, um ihre Position und die ihrer Familie zu sichern und wenn möglich deren Macht zu erweitern.
Die Edition der Briefe von Sara Jayne Steen „The Letters of Lady Arbella Stuart“ bildet die Quellengrundlage dieser Studie. Die Zeitspanne der Korrespondenz von Arbella erstreckt sich über 23 Jahre (1588–1611). Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass für den Zeitraum von 1589 bis 1601 bislang keine Briefe bekannt sind.
Aufgrund der unregelmässigen Dichte von Arbellas Briefen war es zur Beantwortung meiner Fragestellung unabdingbar, weitere Quellen hinzuzuziehen. In der Briefsammlung von Sara Jayne Steen sind 17 weitere Briefe abgedruckt, die an Arbella gerichtet wurden. Diese stammen zum Teil aus der Zeitspanne, für die keine Briefe von Arbella überliefert sind. Die Historikerinnen Elizabeth Cooper und Emily T. Bradley aus dem 19. Jahrhundert veröffentlichten weitere Dokumente in Form von Bittbriefen ihrer Familie an einflussreiche Personen Englands, Verhören sowie königlichen Haftbefehlen, die mit Arbellas Leben in Verbindung stehen.
Die Analyse der Quellen zeigt, dass das Spannungsfeld zwischen Arbella und Elisabeth I., beziehungsweise Jakob I., sich auf ihre Handlungsspielräume zur dynastischen Herrschaftssicherung auswirkte. Aufgrund ihres hohen Anspruchs auf den englischen Thron konnte Arbella für die jeweilig regierenden Monarchen zur Gefahr werden. Deshalb hatten diese versucht Arbellas Macht mit unterschiedlichen Mitteln einzudämmen. Dies geschah vor allem durch das Schaffen einer finanziellen Abhängigkeit und Untersagung, ohne königliche Einwilligung zu heiraten. Als Folge dessen wurde Arbella in ihren Möglichkeiten zur dynastischen Herrschaftssicherung enorm beeinträchtigt. Ferner wird gezeigt, dass Arbella ihrer politischen Wichtigkeit wegen nicht nur zur Herrschaftssicherung ihrer eigenen Dynastie diente, sondern auch von der englischen Königin Elisabeth I. als Mittel zum Erreichen ihrer Ziele eingesetzt wurde. Weitere europäische Mächte wie Philip II., König von Spanien, und Papst Clemens VIII. hegten ebenfalls Interesse an ihr.
Spannungsfelder im Königshaus Tudor und Stuart. Handlungsräume zur dynastischen Herrschaftssicherung am Beispiel der Lady Arbella Stuart
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Windler
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2010/2011
Abstract