Sexualverbrechen deutscher Soldaten und die Militärgerichtsbarkeit der Wehrmacht, 1939-1945. Eine exemplarische Studie über sexuelle Gewalt im Krieg

AutorIn Name
Birgit
Beck
Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2001/2002
Abstract

Von den über 17 Millionen Angehörigen der Wehrmacht wurden während des Zweiten Weltkrieges schätzungsweise 1,5 Millionen durch Militärgerichte verurteilt. Laut der offiziellen Wehrmachtkriminalstatistik, die nur bis 1944 überliefert ist, zählten dazu auch mehr als 5.300 Männer, die sich der so genannten „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ nach dem Reichsstrafgesetzbuch schuldig gemacht hatten. Die quantitative Dimension weist bereits darauf hin, dass Delikte wie vollendete und versuchte Vergewaltigung, „unzüchtige Handlungen“ sowie der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen keine wesentliche Rolle im Rahmen der Wehrmachtjustiz spielten. So waren bei der überwiegenden Anzahl der Verurteilten die Schuldsprüche wegen militärischer Delikte wie Fahnen ucht, unerlaubte Entfernung oder „Zersetzung der Wehrkraft“ ergangen. Ihrer Funktion als Disziplinierungsinstanz entsprechend gingen die Kriegsgerichte unerbittlich gegen Soldaten vor, die ihrer Ansicht nach durch solche Handlungen die „Manneszucht“ gefährdeten und eine Bedrohung für den Zusammenhalt der Truppe darstellten. Wie die Auswertung von militärischen Gerichtsverfahren zeigt, orientierte sich auch die strafrechtliche Verfolgung von Sexualverbrechen an dieser Zielsetzung – je nach den militärischen, politischen sowie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den besetzten Gebieten und abhängig von der Person des Angeklagten reichten dabei die Strafmasse von einigen Monaten Gefängnis über mehrjähriges Zuchthaus bis hin zur Todesstrafe.

 

Ausgehend von der bisherigen Debatte über „Krieg und sexuelle Gewalt“ untersucht die Dissertation die rechtlichen Grundlagen für die Strafverfolgung und analysiert den unterschiedlichen Umgang mehrerer Divisionsgerichte mit Sexualverbrechen deutscher Soldaten in den okkupierten Ländern. Darüber hinaus beleuchtet sie die jeweiligen Tatumstände genauer und stellt das System der Wehrmachtbordelle vor. Durch die Einrichtung von medizinisch überwachten Bordellen für die Soldaten sollte einerseits die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten verhindert, andererseits auch die Entstehung homosexueller Beziehungen unterbunden werden. Die Überlegungen der Wehrmachtführung zu diesem Komplex verweisen auf deren grundsätzliche Auffassungen von männlicher Sexualität, die sich teilweise auch in den gerichtlichen Urteilsbegründungen wieder finden lassen.

 

Die dokumentierten Sexualverbrechen – die tatsächliche Verbreitung solcher Delikte ist aufgrund der Quellenlage und der hohen Dunkelziffer nicht abschätzbar – weisen eine grosse Bandbreite auf. So wurden nicht nur Frauen unterschiedlichen Alters und Familienstandes, sondern auch Kinder beiderlei Geschlechts Opfer sexueller Gewaltverbrechen. Häufig ereigneten sich derartige Übergriffe, wenn sich Soldaten für eine längere Zeit in der Nähe eines Ortes aufhielten oder in Zivilhäusern einquartiert waren, wie dies vor allem in den besetzten Gebieten der Sowjetunion der Fall war. Mehr als ein Drittel der vor Gericht verhandelten Straftaten bezog sich auf Gruppenvergewaltigungen durch zwei oder mehrere Männer. In den besetzten Gebieten Frankreichs meldeten die betroffenen Frauen – oder im Falle von Minderjährigen deren Eltern – oft selbst die Tat bei der französischen Polizei, die dann die zuständigen Stellen der Wehrmacht informierte. In Polen oder in der Sowjetunion gelangten derartige Straftaten weniger durch die Betroffenen selbst, als vielmehr durch Dolmetscher oder andere Wehrmachtangehörige zur Anzeige. Vor allem an der Ostfront griff die Militärjustiz aber nicht immer entsprechend ein, da in den besetzten Gebieten der Sowjetunion der kriegsgerichtliche Ausnahmezustand herrschte: Der so genannte Gerichtsbarkeitserlass „Barbarossa“ sah eine militärgerichtliche Ahndung von Straftaten, die deutsche Soldaten gegenüber russischen Zivilisten verübt hatten, nur dann vor, wenn diese Delikte eine Gefahr für die Disziplin oder die Sicherheit der Truppe bedeuteten. Diese gravierende Bestimmung führte in der Praxis dazu, dass zahlreiche individuelle Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung entweder gar nicht oder nur auf disziplinarischem Wege bestraft wurden.

 

Vor Gericht hatten die zivilen Zeuginnen meist eine schwierige Position: Zum einen waren sie als Angehörige von „Feindstaaten“ von vornherein einem besonderen Misstrauen von Seiten der Richter ausgesetzt, zum anderen stand bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit auch ihr Lebenswandel und ihr öffentlicher Ruf zur Diskussion. Die angeklagten Soldaten, unter ihnen viele Ehemänner und auch Familienväter, versuchten in der Regel, die ihnen zur Last gelegte Tat zu leugnen, sie zu bagatellisieren oder die Schuld an dem Geschehen dem Opfer zuzuschieben. Nur selten legten die Männer ein umfassendes Geständnis ab. Dieses Verhalten verweist auf traditionelle männliche Verteidigungsstrategien vor Gericht, wie sie sich beispielsweise für Sexualstrafverfahren im 19. Jahrhundert, aber auch für die Gegenwart belegen lassen.

 

Für die Militärrichter stand bei den Verfahren die Frage im Mittelpunkt, inwieweit ein Soldat durch ein Sexualverbrechen die Interessen der Wehrmacht gefährdet oder grundsätzlich die militärische Disziplin verletzt hatte. Je nach der militärischen Lage, dem Kriegsschauplatz, der ideologischen Einstellung des Richters sowie der Person des Angeklagten wurde dies unterschiedlich bewertet. Während des Westfeldzuges 1940 gingen einige Militärgerichte in Frankreich unerbittlich gegen Sexualstraftäter vor und verhängten im Hinblick auf eine geordnete Besatzungstätigkeit mehrjährige Zuchthausstrafen, vereinzelt auch die Todesstrafe. Dieses harte Vorgehen führte zum Eingreifen des Oberkommandos des Heeres (OKH), das im Sommer 1940 in zwei Erlassen die Richtlinien für die strafrechtliche Ahndung von Sexualstraftaten vorgab. Das OKH plädierte zwar dafür, solche Delikte grundsätzlich zu bestrafen, doch sollte die Täter angesichts der besonderen Umstände des Krieges nicht die volle Härte des Gesetzes treffen. Einige Gerichte setzten diese Vorgaben bei der Strafverfolgung konkret in die Praxis um, indem sie den angeklagten Soldaten mildernde Umstände zubilligten, weil diese angeblich im Alkoholrausch oder aus „Geschlechtsnot“ heraus gehandelt hätten. In diesem Zusammenhang spielte auch die weibliche „Geschlechtsehre“ eine wesentliche Rolle. Grundsätzlich stuften die Wehrmachtgerichte das Recht einer deutschen Frau auf Wahrung ihrer sexuellen Integrität und auf Schutz vor Übergriffen im Vergleich zu demjenigen einer französischen, polnischen oder russischen Zivilistin als höherwertig ein. Dementsprechend wurden sexuelle Verbrechen deutscher Soldaten an Ausländerinnen als weniger schwerwiegend angesehen. Da die Strafzumessung jedoch grundsätzlich zweckorientiert war und sich nach der militärischen Situation beziehungsweise nach besatzungspolitischen Überlegungen richtete, kam es auch in den osteuropäischen und sowjetischen Gebieten teilweise zu hohen Strafen. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn der angeklagte Soldat von seinen Vorgesetzten negativ beurteilt wurde oder bereits ähnliche Delikte verübt hatte. Auch wenn in der Einheit des Angeklagten schon Sexualstraftaten aufgetreten waren, verhängten die Richter ein hohes Strafmass und begründeten dies mit den Zielen Abschreckung und Prävention.

 

Sexualverbrechen wurden bestraft, aber auch bagatellisiert, und vor allem im Krieg gegen die Sowjetunion mitunter geduldet. Für die systematische Anwendung wie auch für die strategische Funktion solcher Taten als Mittel der Kriegführung ist aber trotz entsprechender Thesen bislang noch kein Nachweis erbracht.

 

Die Arbeit erscheint 2004 beim Schöningh Verlag Paderborn.

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