Schilthorn - vom "brachliegenden Kapital" zum "Piz Gloria"

AutorIn Name
Daniel
Bernet
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christoph Maria
Merki
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2007/2008
Abstract

Die Lizentiatsarbeit schildert einen Schritt in der Geschichte des mechanisierten Alpentourismus: Der Bau der Schilthornbahn ist ein Beispiel für den Gipfelbahnbau der Nachkriegszeit und Ausdruck der damals in der Schweiz grassierenden „Seilbahnitis“. Die Luftseilbahn in vier Sektionen von Stechelberg über Mürren aufs Schilthorn war in den 1960er Jahren die längste Luftseilbahn der Welt. Sie führte zum ersten Drehrestaurant auf einem Berggipfel, verfügte über einen der grössten Parkplätze der Schweiz, hatte Baukosten von gegen 30 Mio. Franken verursacht und erreichte Weltruhm durch den James-Bond-Film „On Her Majesty’s Secret Service“.

 

Beim betrachteten Zeitfenster handelt sich um eine Phase ausserordentlich raschen Wandels im traditionsreichen Kurort Mürren, die sich anbietet für Fragestellungen aus der Perspektive der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte. Entlang der Grundfrage, wie eine Gegend zur kommerziell verwertbaren Landschaft wurde, zeichnet die Lizentiatsarbeit die Schritte hin zur Bewirtschaftung eines ursprünglich „brachliegenden Kapitals“ nach. Die Lokalstudie stützt sich auf bisher unbenutzte Quellen aus öffentlichen und privaten Archiven und umfasst auch einen Bildteil.

 

Als alpentouristisches Produkt steht die Schilthornbahn auf dem soliden Fundament einer historischen Reiselandschaft. Das Projekt im Zeitgeist der 1960er Jahre galt als Zeichen des technischen Fortschritts und als Pioniertat einer neuen Generation. Die Luftseilbahn brachte einen kulturgeschichtlich interessanten Wandel des Bergtourismus, indem sie die Besteigung eines fast 3000 m hohen Gipfels zu einem Tagesausflug verdichtete. Die bestehenden Bahnen im Jungfraugebiet hatten die neue Konkurrenz vehement bekämpft. 

 

Umweltgeschichtlich interessant sind die ästhetischen Vorbehalte, welche gegen die Schilthornbahn als Gipfelbahn geäussert wurden, während am Eingriff in die alpine Landschaft kaum jemand Fundamentalkritik übte. Wirtschaftsgeschichtlich sticht die kostenlose Aneignung so genannten Niemandslands für den Bau der Bergstationen ins Auge. Zudem galt die Schilthornbahn als Prestigeprojekt für die Seilbahntechnikfirma Von Roll, die sich über das übliche Mass hinaus an der Aktiengesellschaft beteiligte.

 

Kritiker warfen dem Schilthornprojekt zwar spekulativen Optimismus vor, die Konzessionsbehörde sah die finanzielle Sicherheit jedoch durch den Grossaktionär Neue Warenhaus AG mit der EPA- Warenhauskette garantiert. Durch rein private Finanzierung und den Charakter als Geschenk an die Bevölkerung wurde in Mürren ein schlagartiger Ausbau der Infrastruktur möglich. Die Erschliessung des abgelegenen Bergdorfs Gimmelwald trug wesentlich zum Konzessionserfolg bei.

 

Eine Finanzierung durch fremde Investoren weckte in Mürren keine Bedenken. Das Engagement des kanadischen Hauptinvestors J. Bartlett Morgan wurde in der Öffentlichkeit aber geradezu verschwiegen, obwohl er hinter den Kulissen von Beginn weg involviert war. Während der Bauzeit scheiterte das Projekt nur deshalb nicht, weil Morgan beinahe grenzenlos Geld in das Schilthornprojekt fliessen liess. Insbesondere das werbewirksame Gipfelgebäude hätte ohne Morgans Hilfe nicht gebaut werden können.

 

Die finanzstarken und wortgewandten Initianten um Ernst Feuz und Walter Amstutz waren unter anderem über den Schweizerischen Akademischen Ski-Club ausgezeichnet vernetzt und gingen mit sehr persönlichem Engagement zu Werke. Das Initiativkomitee war vor Ort breit abgestützt.

 

Bevor unfruchtbares Hinterland tatsächlich fruchtbar gemacht, bevor das Schilthorn als Aussichtspunkt mit Luftseilbahn und Drehrestaurant zur alpinen Ikone wurde, summierten sich seit 1965 die Verluste. Da kam 1968 die Filmfigur James Bond für die Schilthornbahn wie gerufen. Umgekehrt stellten Berg und Bahn für das Filmteam von Eon Productions einen idealen Drehort dar. Die unvollendete Gipfelstation wurde rasch fertigund sogar ausgebaut. Die Schlüsselszenen des Films „On Her Majesty’s Secret Service“ spielten sich rund um den fiktiven Berg „Piz Gloria“ ab. Mürren erlebte eine für die Schweiz bis heute einzigartige Verwandlung vom Bergdorf zum Bond-Drehort. Die Filmproduzenten benutzten das Lauterbrunnental, als wäre es eine überdimensionale Studiohalle. Mit rasanten Verfolgungsjagden war der längste aller Bond-Filme auf der Höhe der damaligen filmischen Möglichkeiten. Die Landschaft wurde als dramatische Kulisse instrumentalisiert. Der Film seinerseits verlieh der Bergwelt zusätzlichen Wert, indem sie um einen bleibenden Mythos bereichert wurde. Jeder neue Bond-Film in den Kinos verlieh dem Etikett „James-Bond-Drehort“ wieder Werbewirkung.

 

Durch die Steigerung der blossen Bergbesteigung zur Luftseilbahnfahrt zu einem inszenierten Aussichtspunkt mit Drehrestaurant, Sonnenterrasse, berühmtem Bergpanorama, Skigebiet und einer Geheimagentengeschichte wurde aus einem unbedeutenden Berg das profilierte touristische Produkt „Schilthorn – Piz Gloria“.

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