Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2013/2014
Abstract
Die Arbeit widmet sich der Analyse von druckten Predigten deutschsprachiger Geistlicher beider Konfessionen aus dem Raum der Eidgenossenschaft während der Regeneration (1830/31 -1848). Darin nähert sie sich den Predigten entlang vier historischen Knotenpunkten im methodischen Rahmen einer Neuen Politikgeschichte und wendet das ideengeschichtliche Konzept politischer Sprachen auf die Kanzelreden an. Auf diese Weise möchte die Studie Predigten als politische Texte im 19. Jahrhundert rehabilitieren. Sie setzt dabei ein Politikverständnis voraus, das davon ausgeht, dass sich politisches Handeln massgeblich über die Kommunikation von Normen und Vorstellungen zur Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung artikuliert.
Indem die Untersuchung geistliche Akteure in die politische Geschichte der Eidgenossenschaft des 19. Jahrhunderts integriert, möchte sie einem Geschichtsverständnis, das sich stark an einer modernisierungstheoretischen Säkularisierungsthese orientiert, relativierend entgegenwirken. Gerade während der Regenerationszeit ging es im politischen Kommunikationsraum massgeblich um den diskursiv geführten Kampf um die richtige Ordnung der Gesellschaft, der grundlegende Implikationen für das Feld der Kirchen nach sich zog und zunehmend konfessionalistisch überlagert wurde. Dabei prüft die Studie auf der Ebene des Diskurses, inwiefern sich die Geistlichen im Konzept eines Zweiten Konfessionellen Zeitalters (Olaf Blaschke) verorten lassen. Sie situiert sich damit in einer Spannungsgeschichte (Friedrich Wilhelm Graf) zwischen Säkularisierungsund Konfessionalisierungsparadigma.
In der Analyse der Predigten stellt sich heraus, dass die Religionsdiener – sowohl reformierter als auch katholischer Konfession – Sprecher einer integrativen republikanischen Sprache waren, welche auf die „sittliche V eredlung des V olkes“ abzielte. Dadurch lässt sich der Predigtdiskurs im aufklärerisch-bürgerlichen Wertehorizont des 19. Jahrhunderts verorten. Die Kirchenmänner forderten von den Bürgern leidenschaftsloses Handeln zum Gesamtwohl der Gesellschaft und verurteilten illegalen politischen Umsturz. Obwohl das Diktum des Wandels allgegenwärtig war in den Predigten, sollte sich jener in Mässigung, Ruhe und Ordnung zum Besten des Gesellschaftskörpers entwickeln.
In der angestimmten bürgerlichen Sprache zeigte sich das Amtsverständnis der Geistlichen in auffälliger Analogie zu jenem der Prediger des Ancien Régime. Man verstand sich als Legitimität stiftende Instanz politischer Herrschaft sowie als Mahner und Kritiker der Bürger und wies sich damit als intermediäre Akteursgruppe zwischen Regierenden und Regierten aus.
Die gesellschaftlichen V erhältnisse in der Eidgenossenschaft wurden äusserst pessimistisch geschildert und als im Zerfall begriffen. Materialistischer Zeitgeist und Gottvergessenheit als Ausdrücke des Säkularisierungsnarratives wurden wahrgenommen und als Ursachen für den scheinbar verkommenen Zustand der Gesellschaft ausgewiesen. „Selbstsucht,“ „Eigennutz“ und grassierender „Unglauben“ wurden in enger V erbindung gedacht und stets mit vollkommener Tugendhaftigkeit kontrastiert. Glaube wurde unter dem theologischen Konzept der Neologie als das rationale „Heilmittel“ und „Rettungsmittel“ der Gesellschaft vorgestellt, wodurch die Predigtsprache ihren spezifischen politischen Akzent erhielt.
Als diskursive Vermittlungsinstanzen der geforderten Tugenden fungierten durch die Predigten hindurch immer wieder Jesus, der in den Predigten als Idealtypus des gehorsamen und gesetzestreuen Bürgers vorgestellt wurde, und die Alten Eidgenossen als historische Projektionsfläche für die sittliche Vollkommenheit.
In Bezug auf die These eines Zweiten Konfessionellen Zeitalters zeigt die Studie ein ambivalentes Ergebnis auf: Zum einen wurde die konfessionalistische Überlagerung des politischen Konflikts zwischen Liberalen und Konservativen in den Predigten konfessionsübergreifend als „Parteiung“ intensiv thematisiert, wobei besonders das Pressewesen und andere polemische Stimmen in der bürgerlichen Öffentlichkeit kritisiert wurden. Zum anderen versuchten die untersuchten Prediger aber gerade in vermittelnder Weise integrativ auf die gespaltene Gesellschaft zu wirken, in dem sie an gemeinsame Glaubensgrundlagen erinnerten und zu patriotischer Bruderliebe zwischen den Kantonen aufriefen. So untermauern die eidgenössischen Kleriker dieser Zeit die These eines Zweiten Konfessionellen Zeitalters mit ihrer Wahrnehmung, gleichzeitig widerlegen sie diese aber mit ihrem vermittelnden und integrativen Sprechhandeln.