Referierende: Dominique Wirz / Andreas Oefner / Riccarda Schmid
Das von DOMINIQUE WIRZ (Fribourg) und RICCARDA SCHMID (Zürich) organisierte Panel begann mit einer kurzen Begrüssung, in der Dominique Wirz den epochen- und fächerübergreifenden Charakter des Panelthemas hervorhob. Dabei betonte sie vor allem, dass den Rednerinnen und Rednern aller Epochen gemeinsam ist, Wertvorstellungen ansprechen und Emotionen hervorrufen zu wollen.
Damit waren auch gleich zwei Schlüsselstichworte gefallen, die zu ihrem eigenen Beitrag überleiteten. Wirz ging anhand eigener Untersuchungen der Frage nach, ob populistische Appelle mehr Emotionen auslösen als nicht populistische Argumente und daher besonders persuasiv seien. In einer medienpsychologischen Erhebung mit 580 Teilnehmenden aus dem deutschsprachigen Raum erfasste die Referentin anhand von Plakaten, die eine strengere Arbeitsmarkt-Regulierung fordern, die Emotionen Angst, Ärger, Hoffnung und Stolz sowie die Zustimmung zu politischen Forderungen bezüglich Lohngerechtigkeit. Dabei unterschieden sich die Plakate nur in der Art zu fordern, nämlich durch eine populistische konfliktive, eine populistische advokative oder eine nichtpopulistische Botschaft. Wirz kam zum Ergebnis, dass die populistischen Plakate mehr Angst und Ärger, aber auch mehr Hoffnung und Stolz ausgelöst hätten als nichtpopulistische Plakate. Daraus zog sie das Fazit, dass populistische Botschaften mehr Emotionen auslösen würden als nichtpopulistische und dass Hoffnung und Ärger zu einer stärkeren Zustimmung zur politischen Forderung führten. Die Persuasionskraft von Populismus machte Wirz abschliessend daran fest, dass die Darstellung eines Konflikts zwischen Volk und Elite über die Verteilung von Reichtum und Macht – was ein Nährboden von linkem und rechtem Populismus in der heutigen Gesellschaft ist – Emotionen auslösen würde.
ANDREAS OEFNER (Bern) ging in seinem Beitrag der Frage nach, wie Predigten im 19. Jahrhundert Reichtum behandelten. Der Referent begann mit einer Analyse der Quellengattung der Predigt an sich, die mündliche Reden darstellen, die aus verschiedenen Motiven – sei es Eitelkeit oder Verordnung der Obrigkeit – gedruckt und einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurden. Dabei betonte Oefner, dass die Geistlichen sich eingehend damit auseinandersetzten, welche rhetorischen Mittel sie brauchten, den Erwartungshorizont ihrer Zuhörer stets mitdachten bei der Konzipierung der Predigten und diese keinen Kommentar des Zeitgeschehens darstellten, sondern eher eine Orientierung zur Lebensführung sein sollten. Im Hauptteil seines Beitrages untersuchte der Referent drei Predigten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts darauf, wie auf rhetorischer Ebene Reichtum eingesetzt wurde und ordnete sie in einen historischen Kontext ein. Dabei kam er zum Schluss, dass Reichtum in einer Rhetorik der Kohäsion oder in einer Rhetorik der Distinktion verhandelt wurde. Erstere zeigte sich zum Beispiel in der in einer Predigt von 1846 verwendeten Metapher des Brunnens, die dazu diente, Wohlstandsunterschiede zu überbrücken und das Kollektiv zusammenzubinden. In der Rhetorik der Distinktion wurde zum Beispiel bei einer Luzerner Predigt das Eigene durch eine Familienmetapher und das Andere als Gegenmodell dargestellt, wodurch gemäss Oefner wohl eine Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls der Gesellschaft erreicht werden sollte.
Nach einem kurzen Abriss über die radikale Demokratie Athens im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus ging Riccarda Schmid anschliessend auf die Protagonisten ihres Beitrages, die Rhetores, ein, die die Aufgabe hatten, die Volksversammlung und Volksgerichtshöfe Athens mittels Reden zu einer Entscheidung zu bewegen. Die öffentlichen Reden der Rhetores seien ein zentrales Medium der politischen Kommunikation gewesen, hätten den Rhetores aber keine weitere Erwerbstätigkeit ermöglicht, was das Annehmen von Geldsummen für die Persuasion zum einzigen Verdienst machte. Gleichzeitig sei, so Schmid, Reichtum zwar keine Voraussetzung für den Aufstieg, aber wichtig für die Behauptung der Position gewesen, auch in Bezug auf die Rhetorik-Ausbildung. So destillierte die Referentin die Rhetorik als eine wichtige immaterielle Ressource athenischer Staatsmänner heraus, die diese zum Wohle des Demos einsetzen sollten. Anhand von verschiedenen Reden von Demosthenes, Aischines und Deinarchos zeigte Schmid, dass bereits die Rhetores mit ihren Reden gezielt versuchten, die Meinungen, Werthaltungen und vor allem die Emotionen des Publikums und somit die Entscheidungsfindung des Demos zu beeinflussen. In ihrem Fazit kam Schmid zum Schluss, dass die Rhetorik der Rhetores durch die Verwendung von Beispielen die Aussagen greifbar machten und so Emotionen ausgelöst hätten. Gleichzeitig sei durch die Konstruktion von kognitiven Deutungsrahmen über die Rhetorik die Wahrnehmung von Geschehnissen und Personen im politischen System beeinflusst worden. Diese Frames als kognitive Orientierungsmuster zur Beurteilung eines politischen Systems beurteilte Schmid als einflussreich in einer Gesellschaft wie der athenischen Demokratie, die nicht über eine schriftlich fixierte Verfassung verfügte.
Abschliessend diskutierten die Panel-Teilnehmenden gemeinsam darüber, wie sich der Einsatz der immateriellen Ressource der Rhetorik sowie der Einsatz von stark emotionalisierter Rhetorik zur Persuasion in allen drei Beiträgen, über die Epochengrenzen hinweg, gezeigt hat. Ebenso diskutierten sie über die Unterschiede der Rhetorik der Persuasion in den verschiedenen Epochen und stellten Bezüge zu aktuellen Beispielen von populistischer Rhetorik, wie jener des US-Präsidenten Donald Trump oder der Brexit-Debatte in Grossbritannien, her. Abschliessend wurde daraufhin geweisen, dass die Faktoren Reichtum und Macht in der politischen Rhetorik omnipräsent waren und sind. Dabei werde stets versucht, auf moralischer und emotionaler Ebene zu argumentieren, um die Wirkung des Gesagten zu verstärken und möglichst viel Zustimmung zu erhalten. Die drei Referierenden erachteten die interdisziplinäre Herangehensweise ihres Panels als gewinnbringenden Ausgangspunkt für Historikerinnen und Historiker, ihren Untersuchungsgegenstand auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Panelübersicht
Wirz, Dominique: Die Persuasionskraft populistischer Rhetorik
Oefner, Andreas: Sollten wir eigentlich reich(er) sein? Reichtum in Predigten im 19. Jahrhundert
Schmid, Riccarda: Persuasion mit allen Mitteln: Öffentliche Gerichtsprozesse im klassischen Athen
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 5. Schweizerischen Geschichtstagen