Sportkörper (ab)bilden. Fabelhafte Fassaden, angestrengte Amazonen oder verheissungsvolle Vorbilder?

Author of the report
Robin
Graf
Universität Luzern
Citation: Graf, Robin: Sportkörper (ab)bilden. Fabelhafte Fassaden, angestrengte Amazonen oder verheissungsvolle Vorbilder?, infoclio.ch Tagungsberichte, 26.09.2025. Online: <https://www.doi.org/10.13098/infoclio.ch-tb-0350>, Stand: 05.10.2025

Verantwortung: Marianne Meier

Referierende: Noemi Steuerwald / Yvonne Schüpbach / Daniel Alsarve

 

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Mit einer kurzen Einführung zur Geschlechtergeschichte des Sports eröffnete MARIANNE MEIER (Bern) das Panel zur Darstellung von Sportlerinnen und Sportlern in der Fotografie. Sie führte aus, inwiefern die Genderforschung ein holistischer Ansatz ist, der mehr als nur Feminismus- und Frau­enforschung umfasse. Bei der Analyse müssten drei Gender-Dimensionen berücksichtigt werden: die individuelle Genderidentität, die systemische Genderstruktur sowie die Gendersymbolik. Dies gäbe Aufschluss darüber, inwiefern Diversität von den soziokulturellen Rahmenbedingungen abhän­gig sei. Als abschliessendes Beispiel zeigte sie den Widerspruch zwischen den soziokulturellen Schönheits­idealen und den Adjektiven für eine erfolgreiche Sportlerin auf. Während Maskulinität mit Adjektiven wie stark, muskulös oder aggressiv in Verbindung gebracht wird, sind es bei der Feminität Zuschrei­bungen wie sanft, schwach oder hübsch. Die Adjektive für eine erfolgreiche Sportlerin wür­den sich folglich mit den Maskulinitätsattributen überschneiden, was Meier als Grundproblematik identifizierte.

NOEMI STEUERWALD (Bern) erläuterte im ersten Vortrag die bildliche Selbstdarstellung von Reiterin­nen und behandelte die Fragen, wie Genderidentitäten zwischen 1880 und 1933 fotografisch darge­stellt wurden und wo Nonkonformität beobachtet werden kann. Dies geschah unter der Annahme, dass Fotografien immer eine bewusste Inszenierung des Gezeigten sind und somit nach soziokultu­rellen Genderregeln entstehen. In den untersuchten Fotografien von Reiterinnen machte Steuerwald dies unter anderem an den abgebildeten Sätteln fest. So werden Frauen meist mit einem Damensat­tel dargestellt, der, dem konservativen Frauenbild entsprechend, das Reiten mit Rock ermögliche, wäh­rend der sportlichere Herrensattel dem widerspräche. Es sei diesbezüglich von einer visuellen Gendernormativität zu sprechen. Die visuelle Konsistenz erklärte sie sich mit der Verbreitung von Abbildungen in pferdesportspezifischen Zeitschriften und Büchern, die als Vorbilder dienten. Steu­erwald betonte jedoch, dass durch diese generelle Konformität auch (kleine) Räume der Nonkonfor­mität geschaffen wurden. Sie zeigte drei Beispiele auf, in denen die abgebildeten Frauen männliche Ausrüstung und Kleidung trugen und es somit zu einer Vermischung von weiblicher und männlicher Symbolik kam. Bilder dieser Art waren oftmals private Fotografien, einzelne wurden aber in Zeit­schriften publiziert. Steuerwald sieht in diesem nonkonformen Verhalten die Bestätigung, dass Ge­schlecht ein soziales Konstrukt ist. Zusammenfassend hielt sie fest, dass Geschlechternormen in der Reitkultur visuell kodifiziert und allgemein bekannt waren. Dennoch nutzten Reiterinnen das Medium Fotografie als kreativen Raum, in dem mit Gendernormen gebrochen wurde. Daher sei es in Bildern nie nur um Repräsentation, sondern immer auch um Macht gegangen.

Im zweiten Beitrag ging YVONNE SCHÜPBACH (Bern) auf die (Un-)Sichtbarkeit von Schweizer Kunst­turnerinnen zwischen 1970 und 1985 ein. Anhand von 80 Fotografien aus dem Ringier Bildarchiv, ei­nem Film zum Frauenkunstturnen von 1972 und Interviews mit sechs Zeitzeuginnen untersuchte sie, was in den Medien gezeigt und was ausgeblendet wurde. Turnerinnen seien in zeitgenössischen Fo­tografien durch die gezeigte Pose und den gewählten Bildausschnitt stark sexualisiert worden. Schüpbach veranschaulichte anhand einer Fotografie der Turnerin Romi Kessler an den Olympischen Spielen 1980 in Moskau, wie die Attribute von Eleganz, Harmonie und Fragilität vermittelt werden sollten. Die meist männlichen Fotografen fokussierten die Bildausschnitte auf bestimmte Körperpar­tien wie Brust oder Gesäss, lichteten hauptsächlich als elegant geltende Posen ab und veröffentlich­ten mehrheitlich Bilder der Turnerinnen in knapper und enger Bekleidung. Schüpbach leitete daraus einen Fokus auf die Unterwürfigkeit und Sexualisierung der Protagonistin ab. Dies stünde im Gegen­satz zum Männerturnen, bei dem die fotografische Darstellung Attribute wie Stärke oder Wage­mut vermitteln würden. Frauenturnen wurde hingegen sanfter inszeniert, wirkte mit den ein­studierten Choreografien tänzerischer als das männliche Pendant und habe sich in Richtung Mäd­chenturnen entwickelt. Die Abläufe wurden gemäss Schüpbach entlang der soziokulturellen Gender­normen vorbereitet und diese durch den Einbau von Pflichtfiguren verfestigt. Im Gegensatz zum Männerturnen seien die Figuren weniger riskant, betonten weibliche Züge und seien tän­zeri­scher angelegt. Das Frauenturnen sollte nach dem Grundsatz «gesunde Mütter, gesunde Kin­der, gesunde Nation» propagiert werden. Frauenkunsturnen versuchte folglich, die Differenz zwi­schen der Rolle der Athletin, jener der Mutter und jener des Kindes zu überbrücken. Durch das Ge­zeigte – das Sichtbare – sollte das Frauenkunstturnen als natürlicher Ausdruck des Weiblichen dar­gestellt werden. Die soziale Konstruktion dahinter werde erst mit Blick auf das, was nicht gezeigt werde – dem Unsichtbaren – erkennbar.

Im letzten Vortrag lenkte DANIEL ALSARVE (Örebro) den Blick auf die fotografische Darstellung von schwedischen Eishockeyspielern und wie diese eine «hegemoniale Maskulinität» im Sport wider­spiegeln. Er erläuterte, inwiefern Männer und Frauen in Fotografien unterschiedlich dargestellt wer­den und dass Jugendliche durch Sport die soziokulturellen Ansprüche an ihren Körper verinnerli­chen. Die Ansprüche führen insbesondere bei Mädchen und Frauen zu soziokulturellen Einschrän­kungen und in der Folge zu einer unvollständigen Nutzung ihrer körperlichen Leistungsfähigkeiten. Im Gegensatz dazu widerspiegeln, reproduzieren und verstärken Fotografien von Männern im Sport Ideale einer «hegemonialen Maskulinität». Unter der Annahme, dass eine Fotografie das Abgebildete objektifiziere, gleichzeitig aber auch soziokulturelle Ideale aktiviere, untersuchte er Medienbilder von schwedischen Eishockeyspielern in der Zeitschrift Hockey als Objekte in ihrem soziokulturellen Um­feld. Er schloss damit an die Forschung zur hegemonic masculinities thesis von Jeff Hearn und Raewyn Connell an, die er auf die Sportgeschichte übertrug. Alsarve zeigte anhand eines Fotos eines mit entblösstem Oberkörper im Wasser stehenden Eishockeyspielers beispielhaft das Risiko der Ob­jektifizierung und Sexualisierung von Sportlern in Mediendarstellungen auf. Als Gegenmassnahme identifizierte er die «Aktivierung» des Protagonisten. So wirke die Hervorhebung der Muskeln, eine vergrössernd wir­kende Perspektive von unten, die Ausspielung des Mann-versus-Natur-Sinnbildes sowie eine siegrei­che Haltung der Objektifizierung entgegen. Ähnliche Effekte hätten Symbole wie Pokale, Zigarren oder Nationaltrikots, die mit Maskulinität und Erfolg assoziiert werden. Anhand der Abbildung eines Eishockeyspielers mit Zahnlücke, der einen Pokal hält, verwies Alsarve auf die Wi­dersprüchlichkeit, die Bilder hervorrufen können. In diesem Fall sei dies die nicht maskulin konno­tierte Verletzlichkeit durch die Zahnlücke und der maskulin konnotierte Erfolg durch den Pokal. Er schloss mit der Er­kenntnis, dass Fotografien kulturelle Artefakte seien, die hegemoniale Werte re­produzieren und ver­stärken. In der Kultur des schwedischen Eishockeys der 1990er Jahre sei dies durch eine «hegemo­niale Maskulinität» deutlich zu erkennen. Soziale Macht ist folglich nicht nur ab­hängig von wirt­schaftlichen Faktoren, sondern insbesondere auch von kulturellen Narrativen.

In der abschliessenden Publikumsdiskussion wurde der Entstehungskontext der Fotografien und de­ren Verbreitung weiter vertieft. In allen Fällen der drei Beiträge handelt es sich grösstenteils um Me­dienfotografien, die in Zeitschriften oder Zeitungen abgebildet wurden. Während Steuerwald an­merkte, dass viele als nonkonform identifizierte Bilder dennoch veröffentlicht wurden, stärkte Schüpbach ihr Argument mit dem Verweis auf die meist männlichen Fotografen und deren Perspek­tivenauswahl. Alsarve ergänzte seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass Frauen im Eishockey mehrheitlich mit männlichen Attributen abgebildet wurden. In Reaktion auf die Frage, wer sich eine Nonkonformität überhaupt leisten konnte, waren sich die Vortragenden einig, dass dies in erster Li­nie vom soziokulturellen Status der abgebildeten Person abhing.

 

Panelübersicht

Noemi Steuerwald: Herrschaftliche Sportladies oder androgyne Amazonen? Praktiken der weiblichen (Selbst-)Inszenierung im Pferdesport (1880–1933)

Yvonne Schüpbach: Wunderbar, weiblich – und wagemutig? Vergeschlechtlichte Praxen des (Un)sichtbarmachens im Frauenkunstturnen in der Schweiz (1970–1985)

Daniel Alsarve: Photography, Sport and the Hegemony of Men. A Material(-)Discursive Perspective

 

Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.
Event
Siebte Schweizerische Geschichtstage
Organised by
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
Event date
-
Place
Luzern
Language
German
Report type
Conference