Verantwortung: Philippe Thomet / Regina Fritz
Referierende: Klaudija Sabo / Regina Fritz / Kornelia Kończal
Denkmäler und Gegendenkmäler seien Interventionen im öffentlichen Raum, die Geschichtsinterpretationen anbieten und die Vergangenheit neu bewerten, so PHILIPPE THOMET (Bern/Wien). Dass Panel fokussierte dabei auf die Zeit nach dem Systemwechsel 1989/90 in Osteuropa. Am Beispiel von ausgewählten künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum ging es den Fragen nach, welche geschichtspolitischen Narrative diese Interventionen erkennen lassen und wie diese Erinnerungen schufen, die sich mit den staatlich institutionalisierten Geschichtsbildern nicht deckten. Dabei wurden nicht nur die geschichts- und gesellschaftspolitischen Botschaften untersucht, sondern auch die ästhetischen und semiotischen Mittel, um zu ergründen, ob von einer transnationalen Ästhetik gesprochen werden kann. Auf diese Weise wurde aufgezeigt, wie künstlerische Interventionen neue Lösungsansätze im Umgang mit ideologisch geprägten Denkmälern anbieten und wie dadurch öffentliche Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit angeregt werden können.
KLAUDIJA SABO (Klagenfurt) führte in ihrem Vortrag aus, wie im osteuropäischen Raum Helden- und Heldinnendenkmäler unter verschiedenen gesellschaftspolitischen Gegebenheiten immer wieder neu besetzt wurden. Ausgangspunkt war die These des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler, der davon ausging, dass Heldenfiguren in demokratisch orientierten Staaten keine Rolle mehr spielen würden. Dem stellte Sabo die These des Archäologen Ralf von den Hoff gegenüber. Dieser argumentierte, dass jede Zeit und jede Kultur heroische Figuren produziere. Gemäss Sabo sei es deshalb für eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Denkmälern notwendig zu unterscheiden, in welchem Kontext ein Monument entstanden sei, welche historischen Zusammenhänge ein Monument repräsentiere und in welchen Kontexten ein Monument gelesen werde.
Anhand von drei Beispielen aus dem osteuropäischen Raum zeigte Sabo auf, dass Denkmäler in Osteuropa oft Steine des Anstosses waren und als Projektionsfläche für künstlerische Interventionen dienten, die Gedenktraditionen sowie die Deutungshoheit über die Vergangenheit in Frage stellten. So wurde ein sozialistisches Soldatendenkmal in Sophia aus dem Jahr 1954 im Juni 2011 von anonymen Künstlern und Künstlerinnen zu Superhelden umgestaltet. Die Regierung entfernte die Eingriffe umgehend, was wiederum weitere Umgestaltungen dieses Denkmals auslöste. Das zweite Beispiel waren kleinere Interventionen an Statuen und Denkmälern, die der Künstler und Aktivist Igor Grubić in Form der Platzierung von Blumen oder dem Umbinden von Tüchern vornahm. Zuletzt ging Sabo auf die Performancekünstlerin Alexandra Pirici ein. Sie erweckte unter dem Titel «If you don’t want us, we want you» 2011 in Bukarest Denkmäler zum Leben, indem sie Statuen mit Menschen nachbaute, um auf die prekäre Situation von Künstlerinnen und Künstlern aufmerksam zu machen.
REGINA FRITZ (Bern/Wien) ging am Beispiel des 2014 errichteten Denkmals für die Opfer der deutschen Besatzung in Budapest den Fragen nach, wie sich ein Denkmal verändert, wenn es durch ein Gegendenkmal in Frage gestellt wird und wie sich diese Gegenerinnerungen in die ungarische Erinnerungskultur einfügten. Dieses Monument zeigt Ungarn als Opfer, dargestellt durch den Reichsengel Gabriel, sowie das nationalsozialistische Deutschland, symbolisiert durch den Reichsadler, welches Ungarn von hinten angreift. Das Gedenken an die Schicksale der ungarischen Jüdinnen und Juden wurde hingegen ausgespart. Das Denkmal vermittelt somit eine simplifizierende Geschichtsdeutung, die kritische Stimmen oder alternative Deutungen nicht zulässt. Allerdings legten noch vor Beginn des Baus Menschen Gegenstände am Ort des geplanten Denkmals nieder und stellten Stühle für einen symbolischen Dialog auf. Zwar konnte dieses Gegendenkmal, das von Aktivistinnen und Aktivisten «lebendiges Denkmal» genannt wurde, den Bau des geplanten Denkmals nicht verhindern, wurde aber umplatziert und somit belassen. Fritz zeigte auf, wie durch das Gegendenkmal ein neuer Erinnerungsort geschaffen wurde, der eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit anregt. Dabei wurden persönliche Schicksale von Menschen in den Vordergrund gerückt, die von national-verfestigten Geschichtsnarrativen in der Regel vergessen werden.
KORNELIA KOŃCZAL (Bielefeld) beschäftigte sich zum Schluss mit den sogenannten «verstossenen Soldaten» (żołnierze wyklęci). Dieser Begriff entstand Anfang der 1990er Jahre, beschreibt die polnischen Partisanen, welche um 1945 gegen die kommunistischen und sowjetischen Machthaber kämpften und ist heute in der polnischen Erinnerungskultur fest verankert. Im Vordergrund stand dabei die Pantheonisierung der «verstossenen Soldaten» im Jahr 2015, mit der diese von den Rändern des Erinnerungsaktivismus aus einer rechtsextremen Nische ins Zentrum staatlich geförderter Geschichtspolitik transferiert wurden. In ihrem Vortrag identifizierte Kończal drei Etappen, die diese Überführung seit den 1980er Jahren prägten. So sammelten in den 1980er Jahren zunächst Historikerinnen und Historiker die Biographien dieser Partisanen. Im Jahr 1993 wurde eine antikommunistische Ausstellung unter dem Titel «Verstossene Soldaten» eröffnet. Mit der Wahl von Janusz Kurtyka zum Präsidenten des Instituts für Nationales Gedenken im Jahr 2005 fand das aktivistische Gedankengut dann den Weg in einen geschichtspolitisch-erinnerungskulturellen Mainstream. Im Jahr 2015 wurde schliesslich im Gedenken an die gefallenen Partisanen in Warschau ein Pantheon errichtet. Kończal zeigte auf, dass die nationale Erinnerung an diese Partisanengruppe bis heute ambivalent bleibt: Diese werden zwar zunehmend als Helden und Opfer bezeichnet, eine vollständige geschichtskulturelle Katharsis sei allerdings ausgeblieben.
Aus allen drei Beiträgen ging hervor, wie variabel Denkmäler sein können und wie sie Teil von Geschichtsdeutungen und Erinnerungsprozessen sind. Die Vorträge von Sabo und Fritz haben gezeigt, wie durch das Umgestalten von Monumenten etablierten Geschichtsnarrativen alternative Narrative entgegengestellt werden, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit intensivieren und teilweise in diese etablierten Narrative aufgenommen werden. Kończals Vortrag zu den «verstossenen Soldaten» zeigte wiederum auf, welchen Stellenwert Denkmäler für die Entwicklung einer nationalen Erinnerungskultur haben. Alle Beiträge haben dabei unterstrichen, dass es für eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschichtspolitik und Erinnerungskultur zentral ist, Denkmäler unter Einbezug der drei von Sabo genannten Zeitebenen zu untersuchen.
Panelübersicht:
Klaudija Sabo: Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum – der Umgang mit heroischen herrschaftlichen Denkmälern
Regina Fritz: Der Kampf um die Deutungshoheit. Das Denkmal für die Opfer der Deutschen Besatzung in Budapest
Kornelia Kończal: Pantheonisierung der Gewalt: Der Fall Polen