Verantwortung: Regula Ludi
Referierende: Sarah Probst / Lena Joos / Cenk Akdoganbulut / Paola De Martin
Kämpfe um politische Sichtbarkeit würden in einem doppelten Akt des Aufdeckens nicht nur das unsichtbare Gemachte, sondern auch das unsichtbare Wirken symbolischer Gewalt ans Licht bringen, eröffnete REGULA LUDI (Fribourg) das Panel. Solche Kämpfe machten die Hürden erkennbar, die Akteurinnen und Akteure überwinden müssen, um im eigenen Namen sprechen zu können und als Subjekte wahrgenommen und gehört zu werden. Die vier Referierenden skizzierten anhand verschiedener Beispiele Kämpfe um die Teilhabe am Politischen.
SARAH PROBST (Fribourg) thematisierte das (un)sichtbare Private anhand der Namensrechtsklage der Solothurner Juristin und Sozialdemokratin Lucie Hüsler (*1947) aus dem Jahre 1977. Auch nach ihrer Heirat mit Meinrad Hagmann 1973 trat Lucie Hüsler unter ihrem Ledignamen auf. Dies wurde erst zu einem Problem, als die SP-Politikerin 1977 für den Solothurner Kantonsrat kandidieren wollte: Der Solothurner Regierungsrat verwehrte ihr eine Kandidatur unter ihrem Ledignamen. Lucie Hüsler legte daraufhin Beschwerde ein, die sie bis nach Strassburg an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zog – erfolglos. Probst zeigte anhand einer aus dem Privatarchiv Hüslers stammenden, anonymen Postkarte den heftigen Gegenwind auf, den Hüsler zu spüren bekam. Sie wurde als «Verräter an der Heimat» bezeichnet.
An diesem Fallbeispiel verdeutlichte Probst die Verbindung von Privatheit und Öffentlichkeit. Entsprechend der damaligen geschlechterspezifischen Rollenverteilung sei den Frauen die Privatheit zugewiesen worden. Mittels geschlechterhistorischer Analyse machte die Referentin anschliessend die institutionellen Praktiken der Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit im historischen Verlauf deutlich: Mit dem Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1907/1912 wurde das Namensrecht im Eherecht geregelt, d.h. die Ehefrau erhielt den Namen ihres Mannes. Auch im Eherecht von 1988 blieb der Name des Ehemannes der Familienname, Frauen hatten lediglich die Möglichkeit, ihren Namen «voranzustellen». Erst seit 2013 herrscht eine Gleichstellung im Namensrecht: Frauen können bei einer Heirat ihren eigenen Familiennamen ohne Doppelnamen behalten oder jenen ihres Mannes annehmen – gleiches gilt für Männer. Hüsler habe sich auf die abgesonderte, private Sphäre, zu der auch der Geburtsname der Frau gehört, bezogen, um mehr politische Sichtbarkeit zu erlangen, argumentierte Probst schliesslich, eine Sphäre, die Hüsler aber zugleich zu verlassen versuchte.
Im zweiten Referat beleuchtete LENA JOOS (Bern) die transnational organisierte Gruppe Development Alternatives with Women for a New Era (DAWN), die 1984 gegründet wurde. Auf den UN-Weltfrauenkonferenzen der 1970er und 1980er Jahre forderten Frauen aus dem globalen Süden mehr Anerkennung und Sichtbarkeit gegenüber der vornehmlich mittelständischen Politik westlicher, weisser Feministinnen. Aus diesem Kampf gegen die Unsichtbarkeit materieller Fragen und mehrfacher Unterdrückung seien neue transnational organisierte Gruppen wie zum Beispiel DAWN entstanden. Joos erklärte, dass sich DAWN für arme Frauen aus dem globalen Süden einsetze und alternative Visionen feministischer Politik entwickle: keine Unterdrückung aufgrund von Klasse, Geschlecht, Race und Nationalität; Reproduktion als gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung; Abrüstung und Umverteilung von Ressourcen; Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die eigene Sexualität und Gesundheit; demokratische Entscheidungsprozesse sowie Mitbestimmung – Ziele, die alle die Selbstermächtigung der Frauen anstreben. Joos betonte, dass es sich bei den DAWN-Mitgliedern vor allem um Frauen aus der oberen Mittelklasse und um Akademikerinnen mit beachtlichen Karrieren handle, darunter etwa die karibische Aktivistin Peggy Antrobus oder die beiden indischen Wissenschaftlerinnen Devaki Jain und Gita Sen. Joos zeigte sich überzeugt, dass Kämpfe um Sichtbarkeit nicht abgeschlossen sind. Gruppenidentitäten könnten als strategische Koalition genutzt werden und vor allem brauche es eine feministische und dekoloniale Perspektive auf Entwicklung, Reproduktion, Bevölkerung und Umwelt.
Im dritten Referat widmete sich CENK AKDOGANBULUT (Fribourg) dem Antirassismusgesetz, das 1994 vom Schweizer Stimmvolk mit einem knappen Ja angenommen wurde. Die zuvor hitzig geführte Abstimmungskampagne habe dazu geführt, dass in der Schweiz öffentlich über Rassismus diskutiert wurde. Die Wissensproduktion und ein Aushandlungsprozess über Rassismus seien angekurbelt worden, sodass Asyl neu als globales, strukturelles und längerfristiges Problem wahrgenommen wurde. Akdoganbulut beschäftigte sich mit der Rolle des «Migrantischen», «Ausländischen» und «Fremden» in den Kampagnen sowohl auf Seite der Befürworterinnen und Befürworter als auch auf der Gegenseite. Er fragte nach der Rolle migrantischer Perspektiven und Akteure sowie ihrer Unsichtbarkeit respektive Sichtbarkeit. Die Gegnerschaft habe in ihrer Abstimmungskampagne den Rassismus verneint und die Xenophobie als natürliche Reaktion dargestellt. Es habe sich das Bild verfestigt, dass Rassismus ein rechtes Randphänomen sei, so Akdoganbulut. Er analysierte, dass Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchtete sichtbar und als Gefahr für die nationale Identität und Gesellschaft wahrgenommen wurden. Sie seien als Konkurrenz auf dem Wohn- und Arbeitsmarkt dargestellt worden und hätten als Ursache für Status- und Anerkennungsverlust gegolten. Hingegen seien sie insofern unsichtbar geblieben, dass sie weder in Bezug auf die Fürsprache noch in ihrer Handlungsfähigkeit präsent waren. Akdoganbulut präzisierte, dass es keine migrantische Stimme in den Abstimmungsvorlagen der Gegnerschaft gegeben habe und auch in den Kampagnen der Befürworterseite seien kaum Migrantinnen und Migranten präsent gewesen, die von Rassismus betroffen waren. Einzig das Komitee Stopp den Rassismus habe Betroffene zur öffentlichen Veranstaltung «Rassismus im Alltag» eingeladen und sie von ihren Erfahrungen mit Alltagsrassismus in der Schweiz erzählen lassen.
Im vierten Referat veranschaulichte PAOLA DE MARTIN (Zürich) in poetischer Sprache, wie sie den eigenen Namen einsetzt, um das ganze Spektrum von Rassismus zu verdeutlichen. Dabei suche und erforsche sie auch immer den Namen anderer. De Martin kritisiert den sogenannten «Rassismus ohne Rassen» (Noémi Vanessa Michel), der sich mit zunehmender Schärfe in der Schweiz manifestiere. Jener Rassismus also, der sich nicht auf biologische Rassen, sondern auf «homogene» Kulturen bezieht, der Rassismus als vergangen erklärt oder ihn ausserhalb von Europa verortet.
De Martins autobiografischer Bezug ist in ihren Forschungsarbeiten und ihrem politischen Engagement stark sichtbar. Sie ist die Tochter italienischer Saisonniers, war Primarlehrerin, liess sich zur Textildesignerin ausbilden und studierte anschliessend Geschichte, um ihr Unbehagen in der Designwelt fassbar zu machen. Sie habe dieses Unbehagen historisch und soziologisch erforschen und nach Worten für ihre ambivalenten Gefühle suchen wollen, die zwischen Dazugehören und Nicht-Dazugehören schwankten. De Martin erfuhr einerseits unsichtbare Privilegien aufgrund des errungenen sozialen Status gegenüber den Menschen aus der Arbeiterschicht und aufgrund ihres Weissseins gegenüber People of Color. Andererseits habe sie Diskriminierung erlebt, und auch im Feld der Wissenschaft habe sie mit Delegitimierung, struktureller Gewalt auf hohem Niveau und Opferkonkurrenz zu kämpfen gehabt. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative 2014 habe schliesslich ein neues Verantwortungsbewusstsein hervorgerufen und aktivistisches Handeln ausgelöst. 2021 initiierte De Martin den Verein TESORO, der sich seiner Webseite zufolge «für die Aufarbeitung des Leids illegalisierter migrantischer Familien» engagiert, deren Aufenthalt einst dem Saisonnier- oder Jahresaufenthalterstatut unterlagen. In ihrem Erfahrungsbericht kam De Martin immer wieder auch auf den Wert der Freundschaft und des gegenseitigen Austauschs zu sprechen, beides bestärke sie im Widerstand gegen Diskriminierung und ermögliche, zentrale Fragen zu formulieren.
In der anschliessenden Diskussion wurden wiederum die Rolle von Freundschaften, Netzwerken und passenden Räumen im Umgang mit Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen betont. Sarah Probst stellte selbstkritisch fest, dass sie in ihrem Vortrag den Anfeindungen mehr Raum gegeben habe als den Freundschaften, die Lucie Hüsler ebenfalls erfahren habe. Abschliessend lässt sich resümieren, dass die Perspektive auf den jeweiligen Forschungsgegenstand durch die eigene Erfahrung geprägt ist und daher selbstkritisch mitreflektiert werden muss.
Panelübersicht
Sarah Probst: Das (un)sichtbare Private. Die Namensrechtsklage der Solothurner Juristin Lucie Hüsler von 1977
Lena Joos: «Finding our Own Voice»: Transnationale Kämpfe von Frauen aus dem ökonomischen Süden um Sichtbarkeit und politische Visionen, 1980-2000
Cenk Akdoganbulut: (Un-)Sichtbarkeit migrantischer Perspektiven in den Abstimmungskampagnen zur Rassismus-Strafnorm
Paola De Martin: Wir suchen, wenn wir kämpfen, auch den Namen der anderen