Verantwortung Michèle Steiner, Nathalie Büsser
Referierende: Michèle Steiner, Nathalie Büsser, Margareth Lanzinger
Kommentar: Charlotte Backerra
Mit unterschiedlichen Vermögensarten und -praktiken gehen unterschiedliche Handlungsspielräume einher – diese Prämisse machten NATHALIE BÜSSER (Zürich) und MICHÈLE STEINER (Basel) in ihrer Einführung zum Panel explizit. So sei Vermögen eine ambivalente, vielseitige Kategorie und je nach Art des Vermögens verschieden fass- und sichtbar, sowohl in den Quellen als auch für die Menschen in der Frühen Neuzeit. Aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive die Kategorie Vermögen zu historisieren, ermögliche es, soziale Beziehungen und Normen – oftmals implizit gegendert – im Umgang mit dem Besitz in den Blick zu bekommen. Dieses Vorhaben teilten die drei Referentinnen.
Im ersten Beitrag rückte Michèle Steiner den Handlungsspielraum einer spezifischen Personengruppe ins Zentrum – nämlich denjenigen von Nonnen in Solothurner Frauenklöstern. Die Buchhalterinnen von zwei Frauenklöstern mussten sich alljährlich einer obrigkeitlichen Finanzkontrolle unterziehen. Die Ratsherren wollten auf diese Weise eine klösterliche Misswirtschaft verhindern, doch die Kontrollen blieben nicht frei von Konflikten. Vor diesem Hintergrund identifizierte die Referentin «Nicht-Sichtbarmachung» als eine bewusste, subversive Strategie der Nonnen: Diejenigen Rechnungsbücher, die die Nonnen dem Rat vorwiesen, waren weniger ausführlich als jene, die der klosterinternen Buchhaltung dienten. Zum Teil wurden auch Finanztransaktionen bewusst in separaten, nicht dem Rat übergebenen Belegen ausgewiesen, beispielsweise bei einer Aussteuer beim Eintritt einer jungen Frau ins Kloster, für die bewusst zwei Verträge angefertigt wurden. Nonnen nutzten also Schlupflöcher und wichen somit in ihrer Vermögenspraxis von der eigentlich klar geregelten Norm der obrigkeitlichen Kontrolle ab. Diese mutierte dadurch zu einer «Pseudo-Kontrolle», wie Steiner sie bezeichnete. Dieser Handlungsspielraum der Nonnen konnte Steiner dank der Verwendung von (Un-)Sichtbarkeit als Analysekategorie herausarbeiten. Zudem zeigte sie auf, dass selbst Rechnungsbücher nicht nur als «nackte Zahlen», sondern als narrative Quellen gelesen werden sollten, die stets mit einer Absicht verfasst wurden.
Nathalie Büsser thematisierte ebenfalls Handlungsspielräume frühneuzeitlicher Frauen in ihren Untersuchungen von Vermögenswerten und -praktiken. Diese veranschaulichte sie exemplarisch an einem Erbschaftsstreit im Kontext der patrizisch-katholischen Elite der Eidgenossenschaft. So stellte die Witwe Anna Elisabeth Wallier ihren Schwager Beat Zurlauben vor vollendete Tatsachen, als sie sich grosse Teile des Vermögens ihres verstorbenen Ehemanns Heinrich Zurlauben von Zug nach Solothurn liefern liess. Dies widersprach der in dieser Zeit zunehmend patrilinearen Vererbungsnorm, die die Weitergabe von Vermögen in der männlichen Linie der Familie vorsah. Die ausgeprägte agency der Witwe erklärte Büsser einerseits mit der höheren sozioökonomischen Stellung der Familie Wallier gegenüber der Familie Zurlauben; andererseits mit der spezifischen Art des Vermögens, das sich Wallier aneignete, nämlich Mobilien wie Luxusgegenstände, aber auch Rechnungsbücher des Soldgeschäftes des verstorbenen Mannes, Siegel und seinen Adelsbrief. Nachdem Büsser weitere Widersprüche zu patrilinearen Verwandtschaftsmodellen aufgrund von weiblichen Vermögenspraktiken aufgezeigt hatte, schloss sie mit der Frage, ob sich – thesenhaft zugespitzt – gar von einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zwischen «männlichem» Regieren und «weiblichem» Finanzieren sprechen lässt. Büsser unterstrich das Potenzial, das bisher wenig untersuchte Handeln mit Vermögen von patrizischen Frauen in der Eidgenossenschaft weiter zu beleuchten.
Auch MARGARETH LANZINGER (Wien) problematisierte das in der Historiografie auffindbare Bild der benachteiligten, besitzlosen Frauen in der Frühen Neuzeit, da es differenzierte Betrachtungen der jeweiligen sozialen Milieus und Rechtsräume bedürfe. Im Kontext des deutschsprachigen Tirols des 18. Jahrhunderts war nämlich bei Eheschliessungen eine Gütertrennung üblich. Lanzinger untersuchte in diesem Kontext Heiratsverträge, die aufzeigen lassen, was in die Ehe eingebracht wurde und was Eheleute als regelungsbedürftig empfanden. Ein aussergewöhnlich ausführlicher Heiratsvertrag stellt derjenige zwischen Anton Gasser und Maria Schenkin aus Kastelruth dar. Acht von zwölf Punkten im Vertrag sind Forderungen seitens der Braut, beispielsweise, dass sie für körperliche Arbeit auf einem Hof finanziell entschädigt werde oder dass ihr Mann ihr folgen müsse, falls sie auf einen anderen Hof zieht. Diese Ansprüche konnte sie geltend machen, weil sie die vermögendere der beiden Eheleute war und aus einer einflussreichen Familie stammte. In bestimmten Situationen, so folgerte Lanzinger, konnte Vermögen einen grösseren Handlungsspielraum garantieren als es das Geschlecht vorsah. Allerdings verkomplizierte sie diesen Befund wiederum, da in späteren Quellen Maria Schenkin als Opfer physischer Gewalt durch ihren zweiten Ehemann zutage trat. Situative und relationale Kontextualisierung sei daher notwendig, schloss Lanzinger, um weibliche Handlungsspielräume in Bezug auf Vermögen zu interpretieren.
In ihrem Kommentar unterstrich CHARLOTTE BACKERRA (Klagenfurt), dass Frauen- und Geschlechtergeschichte zwar breit etabliert sei, das Panel diesbezüglich aber trotzdem noch Unsichtbarkeiten aufzeigen konnte – genauso wie es auch die Unterrepräsentation der Geschichte des Wirtschaftens und des Finanziellen innerhalb der Kulturgeschichte verdeutlicht. Was die drei Beiträge gemein haben sei, dass Vermögen grundsätzlich, ob nun von Frauen oder Männern besessen, stets verwaltet werden musste und dass damit spezifische Herausforderungen einhergingen, was nicht frei von Widersprüchen war: So war die Vermögensverwaltung einerseits als männlich normiert, andererseits, insbesondere in Unternehmer- bzw. Adelsfamilien, war die systematische Integration von Frauen in die Vermögensverwaltung selbstverständlich. Backerra schloss mit dem Aufruf, die vorhanden Quellen zu Vermögenspraktiken aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive zu erforschen. Denn so liessen sich etablierte Postulate von «Ausnahmefrauen» kritisch prüfen und allenfalls falsifizieren. Gäbe es zu viele Ausnahmen, so liesse sich nämlich fragen, ob es sich nicht eher um die Regel handle.
Ein Aspekt, der bereits in den einzelnen Beiträgen mitschwang, wurde in der anschliessenden Diskussion aufgegriffen und expliziert: Die geschlechtergeschichtliche Perspektive dürfe nicht allein mit binären Kategorien arbeiten, sondern müsse weitere Dimensionen – wie zum Beispiel die sozioökonomische – in der Analyse mitberücksichtigen.
Insgesamt erwies sich das Panel als inhaltlich gut abgestimmt und die Beiträge ergänzten einander harmonisch. Alle drei Vorträge unterstrichen auf ihre Weise das Potenzial einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive für die Untersuchung von Vermögenspraktiken in der Frühen Neuzeit.
Panelübersicht:
- Michèle Steiner: Von A wie Armutsgelübde bis Z wie Zins: Klösterliche Praktiken der Vermögensverwaltung in der Frühen Neuzeit
- Nathalie Büsser: Finanzieren statt regieren? Die mächtigen Vermögen der Frauen in den eidgenössischen Patrizierfamilien (15.–18. Jahrhundert)
- Margareth Lanzinger: Vermögen und Verhandlungsmacht im Gericht Kastelruth im 18. Jahrhundert
- Charlotte Backerra: Kommentar
Dieser Panelbericht ist Teil der infoclio.ch-Dokumentation zu den 7. Schweizerischen Geschichtstagen.