Flucht nach Zion. Zionistische Absorptionspläne und das Hochkommissariat für deutsche Flüchtlinge, 1933–1939

AutorIn Name
Patrik
Zimmerli
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2003/2004
Abstract

Nachdem Adolf Hitler 1933 in Deutschland an die Macht gelangt war, stellte sich bald heraus, dass die dort lebende jüdische Gemeinschaft nicht länger geduldet war. Das Ziel der Nationalsozialisten war ein „judenfreies” Deutschland. Entsprechend wurden die Juden aus dem Wirtschafts- und Gesellschaftsleben verdrängt, in der Absicht, ihren Aufenthalt im Dritten Reich so unerträglich zu machen, dass ihnen keine andere Wahl als die Auswanderung blieb. Unter ihnen setzte dann tatsächlich eine Fluchtbewegung ein.

 

Im Jahr 1933 richtete der Völkerbund in Genf auf Initiative der Mitgliedsstaaten, die den Zulauf dieser armen Menschen nicht alleine bewältigen konnten, ein Hochkommissariat für deutsche Flüchtlinge ein. Seine zwei Hauptaufgaben waren erstens Hilfsmassnahmen von jüdischen Flüchtlingsorganisationen zu koordinieren und zweitens eine ständige Bleibe für die Vertriebenen zu finden. Eine jüdische Organisation, der im Hochkommissariat für deutsche Flüchtlinge eine bedeutende Rolle zukam, war die Zionistische Weltorganisation. Laut ihrer Leitung gab es eine einfache Lösung für die jüdische Not: Der Grossteil der Emigranten sollte im von den Briten verwalteten Palästina aufgenommen werden, nach zionistischer Ideologie die ureigentliche Heimat des Judentums. Dieser so genannte „Palästinozentrismus“ erschien auch deutlich in den Resolutionen, die an den Zionistenkongressen zwischen 1933 und 1939 verabschiedet und als Appelle an den Völkerbund gerichtet wurden.

 

Die Lizentiatsarbeit greift einerseits die Frage auf, mit welchem Rettungsprogramm die Zionistische Weltorganisation auf die zunehmende Vertreibung der Juden aus Hitler-Deutschland geantwortet hat. Anderseits interessiert, welche Argumentation die Zionisten entwickelt haben, um die ideelle und aktive Unterstützung des vom Völkerbund gegründeten Hochkommissariats für deutsche Flüchtlinge für die Absorption ihrer deutschen „Stammesgenossen“ in Palästina zu gewinnen. Drittens wird untersucht, wie die zionistischen Vorschläge zur Behebung des deutschen Flüchtlingsproblems aufgenommen wurden: Teilten die verschiedenen Flüchtlingskommissare die Ansicht, dass Palästina im Vergleich zu anderen Ländern und Regionen ein besonders geeignetes Refugium war? Unternahmen sie konkrete Schritte, um die Hindernisse, die sich den Zionisten bei der Umsetzung ihres Absorptionsprogramms in den Weg stellten, zu überwinden? Wenn nicht, was waren die Gründe und Umstände ihrer Untätigkeit?

 

Als hauptsächliche Quellengrundlage dienen dabei Sitzungsprotokolle des Hochkommissariats für deutsche Flüchtlinge und Resolutionstexte der drei grossen Zionistenkongresse zwischen 1933 und 1939.

 

Innerhalb des Hochkommissariats für deutsche Flüchtlinge lobbyierten die Vertreter der Zionistischen Weltorganisation bis 1939 intensiv für einen grossen Absorptionsplan für Palästina. Eine Neuansiedlung der deutschen Flüchtlinge ausserhalb dieses Gebietes widersprach der zionistischen Grundidee einer jüdischen Nationenbildung. Die so genannte „Judenfrage“ hatte nach zionistischer Ansicht ihre Ursache in der Diasporaexistenz und konnte deshalb nur mit der Auflösung ebendieser gelöst werden.

 

Beim Völkerbund fanden die Zionisten mit ihren Anliegen durchaus Gehör: In Genf wurden die entsprechenden Argumente wahrgenommen und akzeptiert. Doch solchen Sympathiebekundungen folgten nie Taten, die das Schicksal der deutschen Juden entscheidend erleichtert hätten. Dies hatte damit zu tun, dass die verschiedenen Hochkommissare den britischen Grundsatz der wirtschaftlichen Aufnahmefähigkeit des Landes respektierten. Die Organisation wandte stattdessen viel Energie und Zeit auf, für die Flüchtlinge anderswo permanente Siedlungsgebiete ausfindig zu machen.

 

Von Beginn weg stand das Vereinigte Königreich, vom Völkerbund mit der Verwaltung des Mandatsgebiets Palästina betraut, den zionistischen Absorptionsplänen ablehnend gegenüber. Die jüdische Immigration stellte für die Briten bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Stabilität in Palästina ein schwieriges Problem dar, weil die arabische Bevölkerungsmehrheit sie entschieden ablehnte und auch gewaltsam dagegen vorging.

 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Zionisten das Flüchtlingsamt des Völkerbundes nicht zu überzeugen vermochten, auf die Mandatsmacht Grossbritannien dahingehend einzuwirken, dass diese die Grenzen Palästinas für eine beträchtliche Anzahl von deutschen Flüchtlingen öffnete. Statt das Vereinigte Königreich unter Druck zu setzen, ging man den viel beschwerlicheren Weg, Siedlungsalternativen zu Palästina ausfindig zu machen. Doch vergeblich: Kaum ein Staat wollte Juden in grosser Anzahl aufnehmen. Teils ökonomische Ängste, teils unterschwelliger Antisemitismus überdeckten das humanitäre Gewissen der Regierungen.

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