„Heil, Brasilien!“ Der Nationalsozialismus, der Integralismus und die Deutschbrasilianer in Blumenau, 1933–1938

AutorIn Name
Renate
Kunz
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2005/2006
Abstract

In der Forschung wurde lange die These vertreten, die deutschen Gemeinden in Übersee seien während der 1930er Jahre stark anfällig für den Nationalsozialismus gewesen. Auch wenn dieses Bild inzwischen relativiert worden ist, so blieb es doch bis heute in den Grundzügen bestehen. Ziel dieser Arbeit war es, diese These am Beispiel der Deutschen und Deutschstämmigen in Blumenau/ Brasilien zu überprüfen.

 

Die Auslandsorganisation (AO) der NSDAP hatte seit Beginn der 1930er Jahre in Brasilien eine mehr oder weniger effiziente Organisation aufgebaut. Dies vor allem in den drei südlichen Bundesstaaten Parana, Santa Catarina und Rio Grande do Sul. Die Auslandorganisation der NSDAP war jedoch nicht das einzige Angebot auf der radikalen Rechten. Die in den 1930er Jahren entstandene faschistische und integralistische AIB (Ação Integralista Brasileira) stellte eine Konkurrenz dar. Ihr Ziel war die Schaffung eines starken brasilianischen Nationalismus auf der Basis einer integrierten Volksgemeinschaft.

 

Bereits in den 1820er Jahren kamen die ersten deutschsprachigen Einwanderer nach Brasilien. Die relative Abgeschiedenheit der deutschen Siedlungen in Südbrasilien führte dabei zu einem System der Selbstorganisation auf kirchlicher, wirtschaftlicher, bildungspolitischer und verbandsmässiger Ebene. Deutsche Sprache und Kultur blieben so, trotz Anpassung an brasilianische Verhältnisse erhalten. Jedoch gab es innerhalb der deutschen Siedlungen konfessionelle, soziale und politische Divergenzen.

 

Die deutschen Gemeinden in Brasilien befanden sich so zu Beginn der 1930er Jahre in einer besonderen Situation. Sie waren bestrebt, einen Weg zwischen vollständiger Integration und Bewahrung ihrer kulturellen Eigenheit zu finden. Dies wurde durch die Heterogenität der Gruppe erschwert, denn die deutschen Gemeinden setzten sich aus den seit Generationen in Brasilien lebenden und aus den Neueinwanderern nach dem Ersten Weltkrieg zusammen.

 

Im Mittelpunkt der Lizentiatsarbeit steht somit die Dreiecksbeziehung zwischen NSDAP, der AIB und der deutschsprachigen Gemeinschaft in Blumenau. Ideologisch gab es durchaus Übereinstimmungen, etwa im Hinblick auf den Antisemitismus oder auf die antikommunistische, antiliberalistische und antidemokratische Grundhaltung. Erkennbar wird, dass die deutschen Gemeinden Anfang der 1930er Jahre in eine zunehmende Identitätskrise gerieten, welche die Nationalsozialisten und die AIB für ihre Zwecke nutzten. Dabei waren die Nationalsozialisten nur mässig erfolgreich bei dem Versuch, die Deutschsprachigen in Blumenau zu mobilisieren. Zwar waren Hitler und das nationalsozialistische Regime sehr populär, doch die Machtansprüche nationalsozialistischer Politik stiessen in Blumenau auf Widerstand. Beide Gruppierungen, die Nationalsozialisten und die Integralisten, begannen ab 1934 die bereits bestehenden Verbands- und Organisationsstrukturen der deutschsprachigen Gemeinschaften zu untergraben. Dies führte nicht nur zu Streitigkeiten innerhalb der deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen, sondern auch zu Auseinandersetzungen mit anderen ethnischen Gruppen, wie zum Beispiel den Italienern, und den Vertretern der brasilianischen Regierung. Nationalsozialismus und Integralismus verstärkten so die innere Zerrissenheit der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe zusätzlich.

 

Die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Organisationen trugen jenseits von ideologischen Fragen vornehmlich den Charakter von Provinzpossen. Eifersüchteleien beim Besuch von Prominenten in Blumenau, Machtkämpfe zwischen profilierungssüchtigen Persönlichkeiten, alte und neue Rivalitäten prägten das Bild. Die entscheidende Wendung 1937 wurde jedoch nicht von innen herbeigeführt, sondern kam von aussen. Die AO der NSDAP war behindert, weil die NS-Führung die wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu Brasilien nicht gefährden wollte. Die AIB auf der anderen Seite hatte zwar Zulauf, doch zerschellte sie an der autoritären Regierung Vargas im Zuge des Estado Novo. Im Klima der ideologischen Radikalisierung in Brasilien gegen Ende der 1930er Jahre versuchten die nationalsozialistische und die integralistische Bewegung ihre Position auszubauen. Sie scheiterten aber an den machtpolitischen Konstellationen und dem rigiden Vorgehen der Regierung Vargas, welche sowohl links- als auch rechtsextreme Bewegungen als Gefährdung der nationalen Souveränität betrachtete. Ende 1939 wurden sowohl die AIB als auch die AO der NSDAP von der brasilianischen Regierung verboten.

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