„Viel Arbeit, es geht mir gut.‟ Kriegserfahrungen von deutschen Rotkreuzschwestern an der Ostfront 1941 bis 1945 und ihre Rolle im Krieg

AutorIn Name
Yvonne
Aregger
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Dr. habil.
Carmen
Scheide
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2023/2024
Abstract

Im Rahmen des Zweiten Weltkrieges standen deutsche Rotkreuzschwestern in den Lazaretten der Wehrmacht im Einsatz und pflegten Verwundete und Kranke. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK), dem die Rotkreuzschwestern angehörten, war seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 stetig auf die NS-Ideologie ausgerichtet worden. Durch diese Ausrichtung kam es auch zu einer Ideologisierung der Schwesternrolle, die sich an der NS-Frauenpolitik orientierte. Propagiert wurde das Bild einer Rotkreuzschwester, die sich heldenhaft und zugleich mütterlich mit ihren weiblichen Eigenschaften um Verwundete kümmerte und so ihren Beitrag für die Volksgemeinschaft leistete. Viele Schwestern begaben sich mit diesem Bild zu ihrem Einsatz, vor Ort wurden sie aber bald mit der gewaltvollen Realität der Kriegsschauplätze konfrontiert.

 

Die zahlreichen Selbstzeugnisse von DRK-Schwestern, die ihre Erfahrungen in deutschen Lazaretten dokumentierten, sind bisher kaum ausgewertet. Die Arbeit sieht sich als Beitrag zur Schliessung dieser Forschungslücke, indem sie die Selbstzeugnisse von sieben ausgewählten DRK-Schwestern als Quellengrundlage nutzt und die Kriegserfahrungen der DRK-Schwestern sowie ihre Rolle im Krieg untersucht. Da die von denDRK-SchwesterngemachtenErfahrungenje nach Einsatzort variierten, hat sich die Arbeit auf die Ostfront als Erfahrungsraum eingegrenzt.

 

Durch ihren Einsatz fern von der Heimat in den besetzten Gebieten im Osten betraten die DRK-Schwestern einen primär männlich besetzten Raum. Entsprechend bietet es sich an, nach der Rolle der Schwestern im Krieg zu fragen. Die Rolle wurde analysiert anhand ihrer Selbstzeugnisse (selbstzugeschriebene Rolle) und propagandistischen Publikationen, die die den Schwestern vom NS-Regime fremdzugeschriebene Rolle abbilden. Durch die Analyse und den anschliessenden Vergleich zwischen fremdund selbstzugeschriebener Rolle wird ein mehrdimensionales Bild der Schwesternrolle aufgezeigt. Zudem fragt die Arbeit, inwiefern sich Rollen und Kriegserfahrungen der Schwestern gegenseitig beeinflusst haben.

 

Die Analyse der Rolle hat gezeigt, dass die fremdzugeschriebene und die selbstzugeschriebene Rolle der Schwestern zwar in einigen Punkten deckungsgleich waren, dass es aber auch Diskrepanzen zwischen den Rollenbildern gab. So schrieben sich einige Schwestern vom NS-Regime nicht erwünschte, männliche Eigenschaften zu, indem sie sich etwa als ebenso trinkfest wie die Soldaten bezeichneten. Was die aus der NS-Frauenpolitik entlehnten, mütterlichen Eigenschaften der Schwesternrolle anbelangt, kam es kaum zu Diskrepanzen zwischen der fremdund der selbstzugeschriebenen Rolle. Was die Selbstzeugnisse jedoch zeigten, war eine stark ausgeprägte Arbeitsmoral, die sich die Schwestern selber zuschrieben. Die Verinnerlichung der Arbeitsmoral und des Durchhaltewillens überschritten bei weitem die Forderung von Diszipliniertheit von ideologischer Seite.

 

Die Erfahrungen, die die Schwestern in der Frontumgebung des Ostens machten, waren grundsätzlich sehr divers und individuell. Gleichzeitig lassen sich gewisse Schwerpunkte innerhalb der Selbstzeugnisse der Erfahrungsgemeinschaft feststellen, die sich als die Erfahrung von prekären Situationen subsummieren lassen. Prekäre Situationen gab es in der Frontumgebung viele. Sie prägten die Schwestern meist mehr als alltägliche Ereignisse, die nur selten verschriftlicht wurden. Nicht nur die Primitivität der Infrastruktur vor Ort, sondern auch Situationen, in denen sie alleine eine überfüllte Station betreuen mussten, zählten dazu, ebenso die zahlreichen Gewalterfahrungen oder gefährliche Situationen, wie die Bombardierung von Lazaretten oder die Gefahr, von der Front eingekesselt zu werden.

 

Bei der Untersuchung der gegenseitigen Beeinflussung von Kriegserfahrungen und Rolle liess sich feststellen, dass die fremdzugeschriebene Rolle primär zu Beginn des Krieges auf die Schwestern Einfluss nahm. Sie bildete die Grundlage der Motivation zum Einsatz im Krieg. Durch die Erfahrungen in der Frontumgebung verlor die NS-Ideologie für die Schwestern jedoch bald an Bedeutung. Es kam aufgrund der gemachten Erfahrungen zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen fremdund selbstzugeschriebener Rolle.

 

Die prekären Situationen in der Frontumgebung des Ostens bewirkten, dass die Schwestern in ihrer Rolle selbständiger und unabhängiger wurden. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich durch das Erfahren solcher Situationen die Stellung der Schwestern als Frauen – im Vergleich zur Stellung der Frauen in der Heimat – gegenüber den Männern steigerte.

 

Die hohe Arbeitsmoral und der Durchhaltewille der Schwestern hielten im Krieg trotz prekärer Situationen kontinuierlich an und waren die tragenden Pfeiler, auf die sich ihre Tätigkeiten stützten. Auch die gemachten Erfahrungen änderten an der Arbeitsmoral der Schwestern nichts. Sie wurde von einer schlichten Bescheidenheit getragen, die sie sich im Brief einer Schwester an ihre Eltern manifestierte: „Viel Arbeit, es geht mir gut.‟

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