An der diesjährigen SGEAJ-Tagung stand die periodische Presse in der Schweiz während der Zeitspanne von 1623 bis 1803 im Zentrum.1 Die Beiträge befassten sich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Formen der periodischen Presse in einem konfessionell, sprachlich und politisch diversen Kontext. Die thematische Vielfalt der Referate reichte von der Entstehung und Entwicklung der periodischen Presse in der Schweiz über die journalistische Tätigkeit und die Leserschaft bis hin zu einer transnationalen Perspektive der Informationszirkulation und der Rezeption europäischer Periodika in der Schweiz.
In ihrer Einleitung vermittelten CLAIRE GANTET (Fribourg) und ANDREAS WÜRGLER (Genf) einen Überblick über die Presselandschaft der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Nachdem die erste Zeitung 1605 in Strassburg in deutscher Sprache gedruckt worden war, verbreitete sich die periodische Presse in Europa und fand ihren Weg 1610 über Basel in die Schweiz. Nebst den Zeitungen entstanden Zeitschriften, die sich mit wissenschaftlichen und politischen Themen auseinandersetzten, sowie Intelligenz- oder Avisblätter, die überwiegend Anzeigen und Nachrichten beinhalteten. Die historische Forschung hat sich diesen Medien bisher nur ansatzweise genähert. Die Referierenden stellten fest, dass es in der Pressegeschichte der Schweiz nach wie vor massiven Forschungsbedarf gibt.
Die erste Sektion, in der es um die Entwicklung der periodischen Presse ging, eröffnete HADRIEN DAMI (Genf) mit einem Beitrag zur Vorgeschichte der periodischen Presse in Genf. Bereits vor deren Entstehung war Genf ein Zentrum der gedruckten politischen Information. In Form von Reiseberichten, historischen Abhandlungen und polemischen Pamphleten wurden politische Aktualitäten diskutiert und verbreitet. Die ersten Periodika, die sich schliesslich in den letzten Jahren des 17. Jahrhunderts in Genf etablierten, hätten somit keinen Bruch mit vorangehenden Publikationstraditionen dargestellt, sondern sind laut Dami in deren Kontinuität zu verstehen.
In der darauffolgenden Präsentation stand ein spezifisches Medium im Zentrum: Das Basler Avisblatt. SUSANNA BURGHARTZ (Basel) und ALEXANDER ENGEL (München) erläuterten, wie dieses Intelligenzblatt einen extremen Erfolg verzeichnete und sich insbesondere durch seinen ausgeprägten Marktcharakter auszeichnete. Im Avisblatt konnten Anzeigen aller Art publiziert werden, unter anderem auch Anfragen und Angebote für Kredite. Letzteres habe das Medium deshalb zu einem wichtigen Instrument des Frühkapitalismus gemacht.
Anzeigen in der periodischen Presse waren ebenfalls Untersuchungsgegenstand im Vortrag von CLOTILDE BOITARD (Rouen). Anhand von Avisblättern in Lausanne und Neuchâtel untersuchte sie die Rolle von Tieren in diesen Anzeigen. In der Regel wurden Tiere dort zum Kauf oder Verkauf angeboten, manchmal wurde auch deren Verlust gemeldet. Boitard argumentierte, dass die Annoncen ein Bild der Mensch-Tier-Beziehungen vermitteln, das von einem starken Bedürfnis nach Kontrolle über die Tiere zeuge, aber auch das Entstehen von emotionalen, affektiven Bindungen zu denselben dokumentiere.
Der Beitrag von JANIK HUG (Bern) führte wieder zurück in den Bereich des Politischen. Im Fokus standen die sogenannten Monatlichen Gespräche von Johann Heinrich Tschudi – ein Periodikum, das von den platonischen Dialogen beeinflusst war. Der Verfasser äusserte sich anhand von Gesprächen vier fiktiver Diskutanten zu aktuellen politischen Ereignissen. Hug konnte aufzeigen, dass Tschudi dabei keinesfalls eine neutrale Position einnahm, sondern dezidiert eine evangelisch-eidgenössisch-glarnerische Perspektive vertrat.
Als Abschluss der ersten Sektion widmete sich AUGUSTE BERTHOLET (Lausanne) dem Journal Helvétique, einer wichtigen Plattform des Austauschs aktueller und teils revolutionärer Ideen, die europaweit rezipiert wurden. Nebst literarischen, philosophischen und theologischen Auseinandersetzungen war die Zeitschrift auch ein Zentrum ökonomischer Debatten. Die Beiträge im Journal Helvétique würden an den europäischen ökonomischen Diskurs anschliessen, zeugten aber gleichzeitig von einem entstehenden spezifisch waadtländisch geprägten ökonomischen Denken ab der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Den Einstieg in die zweite Sektion – in der Lektüre und Lesende periodischer Medien im Zentrum standen – machte THOMAS LAU (Freiburg) mit einer Präsentation der Sammlung Johann Heinrich Fries'. Fries trug in 15 Bänden Informationen zusammen, die von Wetterberichten bis hin zu aktuellen politischen Ereignissen reichten. Die handschriftlichen Notizen ergänzte er durch Ausschnitte aus Zeitungen, Korrespondenzen und Mandaten, so dass seine Sammlung den Charakter einer collageartigen Chronik erhielt. Die Arbeit Fries' zeuge von Versuchen, so Lau, den Überblick über die grosse Nachrichtenmenge zu behalten, die unter anderem durch das Aufkommen der periodischen Presse generiert wurde.
Mit der Lektüre periodischer Medien beschäftigte sich auch TIMOTHÉE LÉCHOT (Freiburg). Anhand des Fallbeispiels Rousseaus zeigte er auf, wie Presseberichte rezipiert wurden und Reaktionen hervorriefen. Während er sich in Môtier im Exil befand, informierte sich Rousseau mithilfe abonnierter Periodika wie beispielsweise der Gazette de Berne oder literarischer Journale aus Frankreich. Nicht nur hätten ihn diese Medien über aktuelle Ereignisse informiert, sondern ihm auch ein Bild der medialen Rezeption seiner eigenen Person vermittelt. Da diese überwiegend kritisch ausfiel, habe sich Rousseaus allgemeine Bewertung der Presse stark zum Negativen verändert.
Der Beitrag von BÉATRICE LOVIS (Lausanne) rückte die Journalistin Elisabeth Polier ins Zentrum. Polier leitete nach Aufenthalten an verschiedenen Höfen im Reich während sechs Jahren das Journal de Lausanne (später Journal littéraire de Lausanne), eine Zeitschrift, die sich schweizerischer und europäischer Literatur widmete und insbesondere eine Brücke zwischen deutsch- und französischsprachiger Literatur etablieren wollte. Lovis betonte zudem, dass die explizit unpolitische Haltung des Journals auffällig sei. Polier veröffentlichte keine politischen Inhalte, obwohl sie selbst eine politische Haltung vertreten und sich gegen die Revolution ausgesprochen habe.
Ebenfalls mit der waadtländischen Presse setzte sich DAMIANO BARDELLI (Lausanne) auseinander. Die obrigkeitliche Zensur war dort auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichsweise liberal – für ausgewählte Kreise wohl gar zu liberal: Überraschenderweise hätten gerade aufgeklärte Mitglieder der lokalen Elite potentielle Exzesse befürchtet und sich deshalb gegen zu viel Pressefreiheit gerichtet. Diese Haltung beurteilte Bardelli jedoch nicht als reaktionär, sondern sie rühre vielmehr aus der Idee, dass das Wohl des grössten Teils der Bevölkerung nicht durch eine komplette Pressefreiheit gefährdet werden sollte.
Die zweite Sektion beschloss Claire Gantet mit einem Beitrag zur Presse in Fribourg. Fribourg wurde bisher oft als Enklave beschrieben, in der der intellektuelle Austausch limitiert war und die Aufklärung kaum Fuss fassen konnte. Diesem Bild widersprach Gantet mit ihrer Präsentation der Freiburger Avisblätter und der französisch- sowie deutschsprachigen Almanache, die von der Existenz einer gedruckten Presse in Fribourg zeugen. Periodika seien in Fribourg zudem auch gelesen worden, wie die bisher kaum ausgewerteten Kataloge privater Bibliotheken belegen. Die Rezeption beschränkte sich dabei nicht auf lokale Medien, sondern hatte durchaus eine transnationale Dimension.
Die transnationale Presse war ebenfalls das Thema der dritten Sektion, die von HANS-JÜRGEN LÜSEBRINK (Saarbrücken) eröffnet wurde. Anhand von Almanachen vom Typ des Hinkenden Boten (französisch: Messager Boiteux), die in ganz Europa verbreitet waren, näherte sich Lüsebrink dem kulturellen Transfer an. Die unterschiedlichen Editionen würden aufgrund enger Kontakte zwischen Verlagshäusern und gemeinsamen Erwartungen des lesenden Publikums viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Dennoch seien lokale, regionale und besonders seit der französischen Revolution zunehmend auch «nationale» Partikularitäten feststellbar.
Mit einem «Hinkenden Boten» setzte sich auch BÉRANGÈRE POULAIN (Genf) auseinander. Im Fokus ihres Beitrags stand die Illustration des Deckblatts des Messager boiteux de Berne et Vevey, die über einen Zeitraum von 300 Jahren nur minimal verändert wurde. Zentral ist die Darstellung dreier diskutierender Männer sowie eines Boten, der als Hinweis auf die Funktion des «Messagers» als Informationsvermittler zu deuten ist. Poulain machte zudem auf einzelne auffällige Details aufmerksam, die auf jeweilige politische Gegebenheiten verweisen. So tauchten ab 1799 beispielsweise vermehrt allegorische und patriotische Elemente in den Illustrationen auf.
In der folgenden Präsentation nahm sich MARION BRÉTÉCHÉ (Orléans) der Beziehung zwischen der Presse und der Obrigkeit am Fallbeispiel Genfs an. Genf produzierte im 17. und 18. Jahrhundert keine eigene Presse, sondern limitierte sich auf den Nachdruck zweier ausländischer Periodika. Mit dieser Strategie habe sich die Genfer Regierung eine Entpolitisierung der lokalen Presselandschaft erhofft. Dies reflektierte sich der Referentin zufolge auch in der Wahl der zugelassenen Zeitungen: Die Gazette d’Amsterdam sei etwa für ihre hohe Qualität und die Moderation ihrer Inhalte bekannt gewesen.
Mit dem Genfer Nachdruck der Gazette d’Amsterdam beschäftigte sich auch Andreas Würgler. Obwohl das Original in der Regel inhaltlich fast unverändert übernommen wurde, kam es zu einzelnen Anpassungen. Dies konnte Würgler anhand eines Vergleichs der Darstellung der Genfer Unruhen im Original und im Nachdruck der Gazette illustrieren. Von einer Zensur im Nachdruck waren insbesondere Artikel betroffen, die von Genfer Autoren für die Gazette d’Amsterdam verfasst worden waren. Es gab jedoch durchaus Artikel, die die Anliegen der Obrigkeit unterstützten und deshalb im Nachdruck mit Vorliebe übernommen wurden.
In Genf wurden nicht nur die genannten Gazettes, sondern auch der sogenannte Courier de l’Europe nachgedruckt, womit sich MURIEL COLLART (Brüssel) befasste. Das Original wurde in französischer Sprache in London gedruckt und sollte über historische Fakten und aktuelle Geschehnisse informieren. Obwohl der Nachdruck in Genf beanspruchte, das Original wortgetreu wiederzugeben, konnte Collart Unterschiede ausmachen: Nicht nur wurde das Format angepasst und einige Begriffe verändert, dem Journal wurden auch lokalspezifische Informationen und Anzeigen hinzugefügt.
Zum Abschluss der dritten Sektion erläuterten LISA KOLB (Augsburg) und MARTIN STUBER (Bern) die Periodika der Ökonomischen Gesellschaft Berns in einer transnationalen Perspektive. Diese Periodika waren eine kollaborative Plattform, die den multilateralen Austausch zwischen lokalen Erfahrungen und universellen Wissensbeständen fördern sollten. Sie dienten den Berner Ökonomen dazu, sich sowohl zu wissenschaftlichen Themen zu äussern wie auch Neuerungen aus ganz Europa zu rezipieren. Kolb und Stuber charakterisierten die Periodika deshalb als eine Art Werkzeugkasten für die Ökonomen Berns.
In der Schlussdiskussion wurde gelobt, dass die Tagung diverse periodische Medien aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz in einen Dialog gestellt und in eine transnationale Perspektive eingebettet hat. Zugleich verwiesen einige Voten auf den weiterhin bestehenden Bedarf an Forschung zum Thema, insbesondere im Kontext der helvetischen Republik oder zu Teilen der Schweiz, die an der Tagung kaum zur Sprache kamen, wie etwa Zürich. Nicht zuletzt durch die geplante Veröffentlichung der Beiträge als Sammelband stellt diese Tagung jedoch eine wichtige Bestandesaufnahme des aktuellen Forschungsstands und eine ausgezeichnete Grundlage für weiterführende Projekte dar.
Anmerkungen
1 Dieser Tagungsbericht entstand im Auftrag des Organisationsteams.
Tagungsprogramm
Sektion 1: Die Entwicklung der periodischen Presse
Hadrien Dami : L’information imprimée à Genève avant les journaux : pour une préhistoire de la presse périodique genevoise (XVIIe siècle)
Susanna Burghartz / Alexander Engel: Das Basler Avisblatt (1729-1845) – ein Instrument des Frühkapitalismus?
Clotilde Boitard : «Un beau Canaris mâle, à bon compte», Lausanne, Feuille périodique, 9 juin 1767. Les animaux dans la presse périodique commerciale Suisse, 1750-1800
Janik Hug: Die Monatlichen Gespräche von Tschudi, eine frühaufklärerische Zeitschrift
Auguste Bertholet : Les sciences économiques dans le Journal helvétique
Sektion 2: Lektüren und Lesende
Thomas Lau: Leser und Sammler – die Chronik des Johann Heinrich Fries
Timothée Léchot : Au cœur des montagnes et de l’actualité : l’accès de Jean-Jacques Rousseau à la presse au moment de l’exil (Môtiers, 1762-1765)
Béatrice Lovis : Le parcours atypique de la journaliste vaudoise Elisabeth Polier (1740-1817)
Damiano Bardelli : Les limites de la liberté de presse. Les élites vaudoises entre intérêt et méfiance à l’égard de la presse périodique
Claire Gantet : Un monde dans une coquille : la presse lue et imprimée à Fribourg
Sektion 3: Eine transnationale Presse
Hans-Jürgen Lüsebrink : Almanachs populaires transnationaux. Les Messagers Boiteux suisses et les Hinkende Boten allemands à la fin du XVIIIe siècle – réseaux, relations, réécritures
Bérangère Poulain : La fabrique d’un invariant : les illustrations des pages de couverture du Véritable Messager boiteux de Berne et Vevey
Marion Brétéché : Jusqu’où se loge le politique ? Pratiques médiatiques de gouvernement et de lecteurs : le cas genevois, 1674-1768
Andreas Würgler: Die «Genfer» Gazette d’Amsterdam: Sinn und Funktion eines Nachdrucks (1703-1764)
Muriel Collart : La réimpression genevoise du Courrier de l’Europe
Lisa Kolb/Martin Stuber: Die Periodika der Oekonomischen Gesellschaft Bern in transnationaler Perspektive (AT)