Gesandtschaften der evangelischen Orte des Corpus helveticum – 1685 – 1688. Zwischen Aushandlung, Religion, Akteuren, Rang, Status und Mächtepolitik

AutorIn Name
Nico
Sidler
Academic writing genre
Master thesis
Status
laufend/en cours
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2023/2024
Abstract

Ausgehende Gesandtschaften an fremde Machtzentren sind ein wenig behandeltes Thema der Aussenbeziehungen des Corpus helveticum. Es ist allgemein bekannt, dass die Orte keine ständigen Gesandtschaften an fremden Machtzentren unterhielten und nur selten ad hoc Gesandtschaft entsandten. Die Masterarbeit stellt fünf Gesandtschaften der evangelischen Orte Zürich und Bern während des Zeitraums zwischen 1685 bis 1688 ins Zentrum der Untersuchung. Vier davon betrafen die in Savoyen wegen ihres Glaubens verfolgten Waldenser. Zwei von ihnen gingen nach Turin, eine zu den protestantischen Reichsfürsten und in die Niederlande und eine nach Württemberg. Die fünfte Gesandtschaft wurde von Zürich und Bern wegen des Rechtsstreits zwischen Genf und dem Bischof von Annecy nach Paris entsandt.

 

Anknüpfend an die kulturgeschichtlichen Ansätze der Diplomatiegeschichte stehen die Akteure und ihre Praktiken im Mittelpunkt der Arbeit. Die Quellengrundlage bilden die Berichte der Gesandten während und am Ende der Mission. Die Gesandten berichteten regelmässig an ihre Obrigkeit, um über ihr Vorgehen zu informieren und Rechenschaft über das Verrichten ihrer Tätigkeit abzulegen. Daneben fliessen die Ratsprotokolle, Abschiede, Missiven und die Korrespondenzen der fremden Gesandten in die Arbeit mit ein.

 

Den evangelischen Orten fehlte ein erfahrenes corps diplomatique. Während des Untersuchungszeitraums war jeder Gesandter jeweils für eine Mission bestimmt, was den Obrigkeiten in Zürich und Bern einen gewissen Handlungsspielraum einbrachte. Um die Gesandten zu analysieren, stützt sich die Masterarbeit auf das Model des Gesandten vom type ancien von Thiessen. Die Gesandten stammten aus den politischen Eliten von Zürich und Bern. Während der Mission äusserten die Gesandten Schwierigkeiten mit der Kultur an den fremden Machtzentren. Einerseits fehlte es den Gesandten an Wissen über die Vorgänge und Akteure am Hof. Das Wissen und die Kontakte wurden den Gesandten durch zahlreiche „Karrieremigranten‟ aus dem Corpus helveticum oder durch die Zürcher Stadtgeistlichkeit vermittelt. Andererseits besassen die Gesandten nicht die honores regii und erhielten dadurch eine zeremoniell schlechtere Behandlung. Ein Kuriosum innerhalb der „Fürstengesellschaft‟ waren die mehrköpfigen Gesandtschaften der Orte, da sowohl ein Gesandter aus Zürich und Bern auf der Mission vertreten waren, die denselben Rang bekleideten. Die Gesandten mussten sich daher über ihr Vorgehen absprechen, was zu Differenzen führte, da sie aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft verschiedene Interessen vertraten.

 

Unter dem Blickwinkel der neueren Schweizergeschichte zeigt die Arbeit, dass jeder Ort als eigenständiges politisches Gebilde betrachtet werden muss, mit jeweils eigenen Akteuren und Interessen. Die Gesandtschaften entsandten die evangelischen Orte im „Gemeinen evangelischen Namen‟, dennoch musste jede Gesandtschaft zwischen den Orten ausgehandelt werden. Die Initiative ging dabei von Zürich und Bern aus, die sich zuerst untereinander absprachen, bevor sie sich mit den weiteren evangelischen Orten auf den Sonderkonferenzen berieten. Dabei diskutierten die Akteure, wer für die Mission infrage kam und wie die Instruktion aussehen sollte. Letztlich lag die Entscheidungsgewalt bei den Räten von Zürich und Bern, welche im Nachgang der Konferenzen die Gesandten wählten und instruierten. Die Zuständigkeit der einzelnen Orte spiegelte sich auch in der Berichterstattung wider, legten die Gesandten doch während und am Schluss ihrer Mission zuerst vor ihrer Obrigkeit Rechenschaft ab und rapportierten erst anschliessend persönlich vor der evangelischen Sonderkonferenz. Mit seinem Bericht legte der Gesandte auch Rechnung über seine Ausgaben für die Mission ab. Die Kosten wurden dem Gesandten anschliessend nach der Skala von 1673/74 durch die Orte zurückerstattet. Eine Ausnahme bildete die Gesandtschaft nach Paris, bei der lediglich Zürich und Bern für die Finanzierung aufkamen, da die restlichen Orte sich nicht an der Gesandtschaft beteiligen wollten.

Das gemeinsame Anliegen der untersuchten

 

Gesandtschaften bestand in der Unterstützung und Intervention zugunsten von Glaubensgenossen in Not. Bevor die Orte eine Gesandtschaft entsandten, versuchten sie mittels Korrespondenz und gegebenenfalls über den Gesandten der fremden Macht in Solothurn oder Luzern ihr Anliegen durchzusetzen. Erst wenn beide Kanäle nicht die gewünschte Wirkung erzielten, entschlossen sich die Orte zur Entsendung einer kostspieligen Gesandtschaft. Damit stärkten die evangelischen Orte ihre Reputation innerhalb der protestantischen Glaubensgemeinschaft in Europa. In dieser Gemeinschaft herrschte ein starker Solidaritätsgedanke. Gesandtschaften waren neben Buss-, Fast- und Bettagen oder der finanziellen Unterstützung die letzte Option der Unterstützung. Eine militärische Intervention oder eine Allianz mit den weit entfernten protestantischen Mächten kamen dagegen für die evangelischen Orte aufgrund der engen Beziehung und der gemeinsamen Grenze mit Frankreich sowie wegen der komplexen bündnispolitischen Beziehungen zu den katholischen Orten nicht infrage.