Ein Thurgauer kommt selten allein. Untersuchung zu den Universitätsbesuchern aus dem Thurgau zwischen 1450 und 1550

AutorIn Name
Natalie
Raimann
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Hesse
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2021/2022
Abstract

Die Arbeit beschäftigt sich mit den aus dem Thurgau stammenden Studenten zwischen 1450 und 1550. Untersucht wurden deren geographische und soziale Herkunft, die Studienorte, Karrierewege und sozialen Verflechtungen. Gearbeitet wurde nicht nur mit Archivmaterial, gedruckten Quellen und Sekundärliteratur, sondern auch mit Hilfe der Datenbanksoftware nodegoat beziehungsweise mit dem noch laufenden Forschungsprojekt REPAC an der Universität Bern. Sämtliche Informationen aus den Quellen und der Literatur wurden direkt in diese Datenbank eingetragen. Damit stehen sie der interessierten Öffentlichkeit und der Forschung zur Verfügung.

Ausgehend von den Matrikeleinträgen der verschiedenen Universitäten, die auch meistens einen Herkunftsort nennen, konnten rund 200 Thurgauer identifiziert werden. Als Thurgauer galten alle Personen, die aus dem heutigen Kantonsgebiet stammten, da sich die Grenzen seit 1460 nicht mehr nennenswert verändert haben.

Die Thurgauer hatten erkennbare Favoriten, wenn es um die Auswahl der zu besuchenden Universität ging. 73% der 246 Studienaufenthalte wurden an den nahegelegenen Universitäten Basel, Freiburg im Breisgau und Tübingen verzeichnet. Insgesamt konnten an 16 Universitäten Thurgauer nachgewiesen werden. Nur vereinzelt hatten sie sich an französischen oder italienischen Universitäten eingeschrieben. Sowohl bei der Anzahl Immatrikulationen als auch bei den Promotionen lagen je nach Jahr Schwankungen vor. Der schwerwiegendste Einbruch, ausgelöst durch die Reformation, war in den 1520er und 30er Jahren. Allerdings blieben die Thurgauer Studenten dem Studium oder der Graduierung nicht über längere Zeit fern. Über den gesamten Zeitraum lagen von den höheren Fakultäten, also von der medizinischen, der theologischen und der juristischen, elf Promotionen vor, die sich auf zehn Personen verteilten. Bei jenen Thurgauern, denen weitere Tätigkeiten im geistlichen oder weltlichen Bereich nachgewiesen werden konnten, war eine qualifizierende Wirkung der hohen Grade sichtbar. Der Grossteil der Graduierungen lag im artistischen Bereich, 57 Personen wurden zum baccalaureus, drei zum licentiatus und 27 zum magister artium promoviert.

Die meisten Thurgauer kehrten nach dem Besuch einer Universität in ihre Heimat zurück, und wurden vor allem in den Städten Bischofszell, Frauenfeld, Arbon und Diessenhofen aktiv. Aus diesen stammten knapp 75 % aller Thurgauer Studenten, wobei allein fast ein Drittel aus Bischofszell kam. Das erklärt sich dadurch, dass in diesen vier Städten bereits vor der Reformation Schulen bestanden und somit eine adäquate Vorbildung vorhanden war.

Knapp 15% der Thurgauer Studenten entstammten dem Adel oder dem Patriziat, einige dem finanzstarken (vielleicht wohlhabenden) Bürgertum. Auch sind mehrere Studenten aus den gleichen Familien an den Universitäten nachweisbar. Zwischen einzelnen Studenten bestanden Bekanntschaften, die durch Gruppenimmatrikulationen und ähnliche Tätigkeiten an den gleichen Orten sichtbar wurden. Gut dokumentierte Einzelereignisse, wie die Gründung der Bischofszeller Herrentrinkstube 1498, erlauben Einblicke in die Beziehungen der involvierten Personen und zeigen ein dichtes Netz an Verknüpfungen auch über die Region hinaus.

Der kleine Teil der Thurgauer, der Karriere am Fürsten- oder Königshof machte oder hohe geistliche Würden zu erlangen versuchte, kehrte dagegen nicht in den Thurgau zurück. Diejenigen, die in den Thurgau zurückkehrten, waren als Chorherren im Stift St. Pelagius in Bischofszell und vornehmlich in Pfarreien tätig. Insbesondere von den in die Reformationsbestrebungen Eingebundenen gibt es ausführlichere Quellenbelege zu ihren Tätigkeiten als Reformatoren und Prediger. Der Erhalt einer Pfründe setzte lange keinen Universitätsbesuch voraus. Durch das seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts herrschende Überangebot an Universitätsabgängern war es jedoch kaum noch möglich, eine Pfründe vor dem Universitätsbesuch zu erhalten, was sich auch bei den Thurgauern zeigte. Daneben versahen einige Studienabgänger auch weltliche Ämter, z. B. als Schultheiss oder Schreiber in den Städten.

Da Herrschaftsgrenzen zwar bestanden, aber keine wirklichen Trennlinien in der dicht verflochtenen Region darstellten, präsentiert sich ein interessantes Bild. Viele verliessen zwar den Thurgau an sich, aber nicht die durch mannigfache wirtschaftliche, soziale und kirchliche Beziehungen geprägte Region, aus der sie stammten. Im Gebiet der heutigen Ostschweiz und der Bodenseeregion bestand ein grosses Angebot an Pfründen in Domsowie Chorherrenstiften und in Pfarreien. Auch für Laien gab es nach einem Universitätsstudium zahlreichvorhandene Stellen. Das an der Universität erworbene Wissen wurde also direkt in den Thurgau oder in die Heimatregion zurückgetragen und dort angewandt.

Durch die in der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse zu Herkunfts-, Studien-, Tätigkeitsorten von Gelehrten und deren Pfründen kann das Bild des Thurgaus als eine Region ohne eigene Bedeutung zwischen Eidgenossenschaft und Reich revidiert werden, zumindest was das vorhandene universitäre Wissen angeht.

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