Rollen- und Selbstbilder der sogenannten Ostfrauen. Ostdeutsche junge Frauen zwischen Entideologisierung, Reprivatisierung und emblematischer Affirmation 1965 – 1985: Paternalistische Frauenpolitik, mediale Rollenbilder und weibliche Selbstbilder in der DDR.

AutorIn Name
Elisa
Colella
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Dr. habil.
Carmen
Scheide
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2022/2023
Abstract

Auch über dreissig Jahre nach dem Mauerfall wird in deutschen Medien das Bild der selbstbewussten, unabhängigen und erfolgreichen „Ostfrau“ weitertradiert. Die Basis für das Bild der „Ostfrau“, als Teilaspekt der sogenannten „Ostalgie“ nach 1989, bildeten die Rollenbilder, welche über Frauen in der DDR von den 1960er bis zu den 1980er Jahren entworfen wurden. Diese Zeit des „entwickelten Sozialismus“ war geprägt von einer Auseinanderentwicklung von Politik und Gesellschaft. Gleichzeitig war es eine Zeit vieler frauen- und familienpolitischen Entscheidungen wie dem Familiengesetz von 1965, dem Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch 1972 und dem internationalen Jahr der Frau der UNO von 1975. Die Repräsentation von Frauen und ihren Lebenswelten im real entwickelten Sozialismus ist von besonderer Relevanz, ist jedoch in der bisherigen Forschung zur Geschlechtergeschichte nur untergeordnet berücksichtigt worden.

 

Die Masterarbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche weiblichen Rollen- und Selbstbilder sich im real existierenden Sozialismus entwickelten und wie sie sich über die Zeit veränderten. Dies wird anhand des Konzeptes der hegemonialen Weiblichkeit nach R.W. Connell und verschiedenen Dimensionen des Selbstbildes untersucht. Der Fokus der Analyse im Untersuchungszeitraum von 1965 bis 1985 liegt auf den frauenpolitischen Entscheidungen, vorherrschenden Frauenbildern in der Zeitschrift Für Dich sowie Selbstbildern von Frauen der Generation von 1950 bis 1960. Aus der Analyse medialer Frauenleitbilder von 1965 bis 1985 wird eine Typologie hegemonialer Weiblichkeit in der DDR erstellt. Der Vergleich mit drei exemplarischen Oral History-Interviews zeigt den Wandel des Verhältnisses von Rollen- und Selbstbildern auf und macht Kontinuitäten, Brüche und Bedeutungsverschiebungen sichtbar. Ausserdem kann so das Spannungsfeld von Ideal, Norm und Praxis weiblicher Lebenswelten in der DDR in den Blick genommen werden.

 

Bei den untersuchten Quellen handelt es sich um zwanzig Märzausgaben der Zeitschrift Für Dich, welche jeweils um den internationalen Frauentag am 8. März veröffentlicht worden sind sowie um Oral History-Interviews des Vereins OWEN e.V.. Die Frauenzeitschrift und politische Illustrierte Für Dich befand sich aufgrund des engen Leser:innenbezugs und den ständigen Aushandlungsprozessen zwischen Staat und Medien in der DDR an der Schnittstelle zwischen den realen Lebenswelten der Frauen und den medial vermittelten Frauenbildern. Die Für Dich spiegelte dabei soziale Prozesse stark wider. Die Interviews von OWEN e.V. mit ostdeutschen Frauen entstanden in den Jahren 2000 bis 2002 im Rahmen des internationalen Projektes Women’s Memory, das die Biografien und Identitäten von Frauen im Sozialismus beleuchtete. Die Betrachtung der Interviews öffnete viele wichtige Themenbereiche der realen Lebensentwürfe von Frauen der untersuchten Generation von 1950 bis 1960.

 

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die medial verbreiteten staatlichen Frauenleitbilder und damit das hegemoniale Weiblichkeitsideal von den Frauen in der DDR verinnerlicht und in ihre Selbstbilder integriert worden sind. Damit ergibt sich trotz aller Ambivalenzen in einigen Lebensbereichen eine Übereinstimmung der Frauenleitbilder und Selbstbilder. Die Frauenleitbilder stehen aber teilweise auch in grossem Kontrast zu den Lebensrealitäten von DDR-Frauen, besonders bei als untergeordnet oder marginalisiert betrachteten Frauen, wobei auch Brüche und Bedeutungsverschiebungen sichtbar werden. Das nach der Wende betonte Ideal der „selbstbewussten, erfolgreichen Ostfrau“ entsprach im Untersuchungszeitraum längst nicht der Lebensrealität aller DDR-Frauen.

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