Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof. Dr.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut, Universität Bern
Place
Bern
Year
2012/2013
Abstract
Die Schweizer Bevölkerung sah sich in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs mit einer Nahrungsmittelkrise konfrontiert. Die meisten Grundnahrungsmittel wurden aus dem Ausland importiert und verteuerten und verknappten sich im Lauf des Krieges aus produktionsund verteilungstechnischen Gründen. Milch und Milchprodukte hingegen wurden im Inland produziert und erfuhren in der Zeit von 1916-1918 eine Teuerung. Diese Verknappungen und Verteuerung auf dem Nahrungsmittelmarkt führten zu sozialen Spannungen, welche 1918 im Landesstreik gipfelten. Das Ziel der Arbeit ist es, die Konsequenzen, welche sich für die Politik aufgrund der angespannten Lage auf dem Nahrungsmittelmarkt ergaben, nachzuzeichnen und dabei zu analysieren, wie die verschiedenen politischen Akteure die Plattformen der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit den Milchpreisdiskussionen nutzten. Die Analyse stützt sich primär auf die Auswertung von Zeitungsartikeln der politischen und verbandlichen Presse. Dabei wird der Fokus sowohl auf die Vertreter der Konsumenten als auch auf die Vertreter der Landwirtschaft gelegt. Bisherige Forschungen zum Landesstreik bzw. zur Nahrungsmittelkrise in den Jahren 1916-1918 haben sich meistens ausschliesslich auf die Problematik der Verteilung der Nahrungsmittel konzentriert und dabei die Perspektive der nahrungsmittelproduzierenden Landwirtschaft vernachlässigt. Daher stehen die Interessen der agrarischen Kreise sowie der politische Streit zwischen den Vertretern der Konsumenten und der Landwirte im Fokus dieser Arbeit. Doch auch die staatlichen Strategien zur Bewältigung der Krise finden hier Erwähnung. Denn vor dem Hintergrund der Nahrungsmittelkrise entwickelte der Staat erstmals Instrumente zur Intervention. Die Milchpreisdiskussionen der Jahre 1916-1918, die im Verlauf immer polemischer geführt wurden, bilden den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen der Arbeit, wobei der Landesstreik selbst keinen Eingang in die Darstellung findet. Hier geht es primär um die Zeit unmittelbar vor dem Landesstreik. Der Text gliedert sich in sechs Teile. Dem ersten Teil, der aus der Erläuterung der Fragestellung, den Erklärungen zur Quellenauswahl, dem Forschungsstand und dem theoretischen Hintergrund besteht, folgt ein zweiter Teil, der sich mit den Umbrüchen auf dem schweizerischen Milchmarkt und in der Politik um 1900 beschäftigt und so den Hintergrund der relevanten Entwicklungen darstellt. Im dritten Teil wird der wirtschaftliche Charakter des Ersten Weltkriegs herausgearbeitet und die Folgen für die Versorgung der Schweiz mit Nahrungsmitteln werden thematisiert. Der vierte Teil beschäftigt sich mit der Versorgungslage der Schweiz im Ersten Weltkrieg und deren Entwicklung von relativer Stabilität in den Jahren 19141916 zur Krise des Mangels in den Jahren 19161918. Im fünften Teil – dem eigentlichen Hauptteil der Arbeit – werden die öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen mit den realpolitischen Interessen und den ideologischen Hintergründen der einzelnen Akteure konterkariert.
Unter Berücksichtigung der Liz.-Arbeit von Mario Aeby „Die Missernten 1916/17 in der Schweiz“ von 2009 kommt die hier vorliegende Arbeit zum Schluss, dass sich die Bedingungen für die land wirtschaftliche Produktion in den Jahren 19161918 erheblich verschlechtert hatten. Zusammen mit den Verschärfungen des Wirtschaftskriegs bildeten diese Ereignisse eine Kette, welche die Nahrungsmittelkrise in der Schweiz in jenen Jahren katalysierte. Dennoch konnten durch staatliche Interventionen, die zwar oftmals einen gewissen Versuchscharakter aufwiesen, die Preise für Milch und Milchprodukte im Vergleich zu anderen Nahrungsmitteln relativ tief gehalten werden. Dies legt den Verdacht nahe, dass die Milchpreisdiskussionen aus politischem Kalkül von den Parteien an den Polen des politischen Spektrums bewusst angeheizt wurden. Der moralische Wert des Milchpreises ermöglichte es den politischen Akteuren, die Milchpreisdiskussion als Vehikel zu benutzen, um ihre realen Interessen zu legitimieren. Die Linke verlangte in diesem Sinn nach politischer Partizipation und die ländlich geprägte Rechte nach Stabilisierung ihrer politischen Stellung, die sie sich im Rahmen der staatlichen Ernährungspolitik im Ersten Weltkrieg erarbeiten konnte. Für diese Sicht spricht auch, dass konstruktive Beiträge zur Bewältigung der Nahrungsmittelkrise aus den eigenen Reihen nicht berücksichtigt wurden. Bewältigungsstrategien, welche gleichermassen produktionsund verteilungstechnische Bedingungen berücksichtigen, wurden aber im Zweiten Weltkrieg bestimmend.
Gewisse Aspekte dieser Masterarbeit werden in einem von den Herausgebern Daniel Krämer, Christian Pfister und Daniel Marc Segesser geplanten Sammelband mit Beiträgen zu Energie-, Versorgungsund Gesundheitskrise erscheinen.