Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof. Dr.
Christian
Rohr
Institution
Historisches Institut, Universität Bern
Place
Bern
Year
2011/2012
Abstract
Die Arbeit wurde publiziert: Zürich, Chronos Verlag 2014
(Verkehrsgeschichte Schweiz 1)
Die Luftfahrtgeschichte der Schweiz stellt in der Verkehrsgeschichte ein ausgesprochenes Forschungsdesiderat dar. Der Schweizerische Nationalfonds bewilligte daher 2008 das von der Abteilung für Wirtschafts-, Sozialund Umweltgeschichte des Historischen Instituts sowie ViaStoria – Zentrum für Verkehrsgeschichte gemeinsam initiierte Forschungsprojekt „Geschichte der Schweizer Luftfahrt“. In diesem Rahmen entstanden in den vergangenen vier Jahren drei Dissertationen zu verschiedenen Teilaspekten der Thematik, darunter auch eine über die Entstehung und Entwicklung der zivilen Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz, die im Folgenden kurz vorgestellt wird. Unter dem Begriff „Luftfahrtinfrastruktur“ sind einerseits Flugplätze und Flughäfen zu verstehen. Andererseits werden in der Dissertation aber auch Luftstrassen und Luftverkehrsstrecken – d. h. die eigentlichen Verkehrswege der Luftfahrt – sowie alle übrigen Flugsicherungsanlagen und -dienstleistungen als Infrastrukturen begriffen. In seiner Studie nahm der Autor in erster Linie eine ganz grundsätzliche Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der Luftfahrtinfrastruktur in der Schweiz vor. Dabei untersuchte er auch, welche Rahmenbedingungen und Akteure sich in welcher Weise auf diese Entwicklung auswirkten und welche erwünschten, aber auch unerwünschten Effekte von der Luftfahrtinfrastruktur selber ausgingen. Zur Beantwortung der Fragestellung konsultierte der Verfasser einerseits öffentliche Archive wie das Schweizerische Bundesarchiv und die Staatsarchive der Kantone Zürich, Bern, Basel und Genf, andererseits aber auch diverse Unternehmensarchive wie etwa diejenigen der früheren Swissair und der Flugsicherung Skyguide. Methodisch arbeitete er u. a. mit den Konzepten der Pfadabhängigkeit und der grosstechnischen Systeme von Hughes und Mayntz.
Die weitgehend chronologisch strukturierte Arbeit beginnt mit einem kurzen Prolog über die Luftfahrtinfrastruktur in der Vorkriegszeit. Darin wird verdeutlicht, dass die gesamte Luftfahrt bereits in ihren frühesten Anfängen stark von der Verfügbarkeit umfangreicher logistischer bzw. infrastruktureller Grundlagen abhängig war. Die anschliessend abgehandelte Zwischenkriegszeit versteht der Autor als Initialphase des grosstechnischen Systems „Luftverkehr“. Damals wurden erstmals kommerzielle, nach einem festen Flugplan verkehrende Fluggesellschaften gegründet. Zu diesem Zweck waren Flugplätze erforderlich, die nicht mehr nur als Startund Landeflächen für Akrobatik-, Rundflugund Militärflugzeuge, sondern auch als Verkehrsknotenpunkte zu dienen hatten. Die für die Entstehung des Luftverkehrs erforderlichen Grundvoraussetzungen „Sicherheit“, „Zuverlässigkeit“ und „Regelmässigkeit“ konnten wiederum nur mit ausgebauten Flugsicherungsdiensten erreicht werden. Den Bau und Betrieb der stark defizitären Flugplätze finanzierten in der Zwischenkriegszeit in erster Linie die Städte und Kantone, weshalb sich die Anlagen der wirtschaftlich bedeutsamsten und bevölkerungsreichsten Zentren Zürich, Basel und Genf schon damals zu den Luftverkehrsknotenpunkten der Schweiz – dem sogenannten „Flugplatzdreieck“ – entwickelten.
Der Zweite Weltkrieg markierte auch in der Luftfahrtgeschichte eine tiefe Zäsur. So konnte in der Kriegszeit selber nur ein marginaler Luftverkehr aufrecht erhalten werden, während für die Nachkriegszeit erwartet wurde, dass sich das vormals kontinentale Luftverkehrsnetz zu einem interkontinentalen Verkehrssystem mit Grossflugzeugen entwickeln würde. Um für diesen neuartigen Verkehr gewappnet zu sein, wollte die Bundesverwaltung den Konkurrenzkampf unter den Flugplatzkantonen beenden, um stattdessen das Heft mit der Entwicklung einer eidgenössischen Flugplatzkonzeption selber in die Hand zu nehmen. In diesem Zusammenhang erwog sie auch das bisherige Flugplatzdreieck Zürich-Basel-Genf zugunsten eines gesamtschweizerischen Zentralflughafens in Bern-Utzenstorf zu überwinden, was aber aus verschiedenen Gründen scheiterte. Stattdessen beschlossen die eidgenössischen Räte, in ZürichKloten einen Interkontinentalflughafen zu errichten.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit stand die Schweiz vor der Herausforderung, sich an das im Entstehen begriffene neue globale Luftverkehrssystem zu adaptieren und zu integrieren. Schon bald zeigte sich, dass nicht nur Zürich-Kloten, sondern auch Genf-Cointrin interkontinental angeflogen wurde, weshalb dieser Flughafen 1957 offiziell zum zweiten Interkontinentalflughafen der Schweiz ernannt wurde. Insgesamt konnte in dieser Phase ein unerwartet starker Anstieg des Luftverkehrs festgestellt werden, der die eben erst erbauten bzw. ausgebauten Flughäfen an ihre Kapazitätsgrenzen führte und erneut umfangreiche Ausbauten der gesamten Luftfahrtinfrastruktur erforderlich machte.
Das anhaltend starke Wachstum des Luftverkehrs wurde mit dem Aufkommen der Düsenverkehrsflugzeuge Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre zusätzlich beschleunigt, was nicht zuletzt auch die negativen Auswirkungen des Luftverkehrs vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit rücken liess. Insbesondere die Fluglärmthematik entwickelte sich in dieser Zeit endgültig zu einem Politikum ersten Ranges, was sich nicht nur in der gelegentlichen Verwerfung von Flugplatzprojekten in Volksabstimmungen äusserte, sondern auch seinen Niederschlag in der Gesetzgebung fand. Wie die durch eine Pistenverlängerung erzielte Aufwertung von Basel-Mülhausen zum dritten Interkontinentalflughafen der Schweiz sowie der Bau einer zusätzlichen Piste in Zürich-Kloten in den 1970er-Jahren zeigen, waren Erweiterungen der Infrastruktur grundsätzlich zwar weiterhin möglich. Insgesamt blieben grössere Projekte jedoch die Ausnahme. Stattdessen erfolgte der Ausbau der bestehenden Infrastruktur fortan nur noch in kleinen Schritten. So blieb das grundsätzliche Pistendesign der Schweizer Landesflughäfen seit der Vollendung des eben genannten Zürcher Projekts beispielsweise bis heute weitgehend erhalten.
Ein für ihre Verhältnisse beträchtliches Wachstum liess sich ab den 1980er Jahren hingegen auf gewissen Regionalflugplätzen feststellen. Dort führte der im Kontext der weltweiten Liberalisierungstendenzen und der Verbreitung entsprechender Flugzeugtypen einsetzende Regionalluftverkehr zu einer vermehrten Anbindung an das Luftverkehrsnetz und auch zu Anpassungen der Infrastruktur.
Die Dissertation wird voraussichtlich auch in Buchform publiziert. Resultate dieser Forschungen sind bereits als Aufsätze präsentiert worden: Fehr, Sandro: Unsichtbare Verkehrswege. Vom Sichtflug der Pioniere zum internationalen Luftstrassensystem, in: Wege und Geschichte 2011/2, S. 35–40; Fehr, Sandro: Luftverkehr, in: Martig, Peter / Dubler, Anne-Marie / Lüthi, Christian et al. (Hg.): Berns moderne Zeit. Das 19. und 20. Jahrhundert neu entdeckt. Bern 2011, S. 396– 399; Fehr, Sandro: Als Bern noch das Zentrum der Schweizer Luftfahrt war, in: UniPress 145 (2010), S. 24–25; Fehr, Sandro: Die Schaffung einer eidgenössischen Flugplatzkonzeption, 1935–1956, in: Duc, Gérard / Schiedt, Hans-Ulrich / Perroux, Olivier et al. (Hg.): Histoire des transports et de la mobilité, entre concurrence et coordination (1918 à nos jours). Neuchâtel 2013 (im Druck); Fehr, Sandro: Fluglärm in der guten Stube. Zu den Wechselwirkungen zwischen Luftfahrtinfrastrukturen und wohnräumlichen Strukturen in der buch für Wirtschaftsund Sozialgeschichte 28 Schweiz, 1936–1958, in: Schweizerisches Jahr (2013) (im Druck).
Book version