Verhandeln mit Republiken. Die Ambassade des Marquis d’Avaray und die französisch-eidgenössischen Beziehungen im frühen 18. Jahrhundert

AutorIn Name
Andreas
Affolter
Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Windler
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2014/2015
Abstract
Mit den eidgenössischen Orten und der französischen Krone standen sich in der Frühen Neuzeit in vielerlei Hinsicht extrem ungleiche Akteure gegenüber: auf der einen Seite ein föderatives Netzwerk kleiner Republiken, auf der andern Seite eine monarchisch verfasste, europäische Grossmacht. Gerade diese Ungleichheit war jedoch die Ausgangslage für eine dauerhafte und für beide Seiten vorteilhafte Beziehung. Gegenstand der sich an einer sozial- und kulturhistorisch erneuerten Diplomatiegeschichte orientierenden Dissertation bilden die politisch- diplomatischen Aspekte dieser eidgenössisch- französischen Beziehungen. Gefragt wird einerseits nach dem Status der an den Aussenbeziehungen beteiligten Akteure, andererseits nach den Praktiken und Kanälen des Verhandelns. Mit der Ambassade von Claude-Théophile de Bésia de, Marquis d’Avaray, liegt der zeitliche Schwerpunkt der Arbeit auf dem frühen 18. Jahrhundert, wobei verschiedentlich der Blick auch auf die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts und bis ins späte 18. Jahrhundert gerichtet wird. Die Dissertation kann sich auf einen für die französisch-eidgenössische Diplomatiegeschichte exzeptionellen Quellenbestand stützen: das mehr als 4000 Briefe umfassende Korrespondenzarchiv des französischen Ambassadors d’Avaray. Die von eidgenössischen Akteuren verfassten Schreiben bieten nicht nur einen Einblick in die personalen Verflechtungszusammenhänge zwischen der Ambassade und den Eidgenossen, sondern auch in verschiedene, oft geheime V erhandlungen. Konsultiert wurden zudem Bestände aus den Archives diplomatiques in Frankreich, der Abschriftensammlung des Schweizer Bundesarchivs, mehreren Schweizer Staatsarchiven sowie Archiven in Deutschland und dem Vatikan. Der erste Teil der Dissertation fragt danach, wie sich die eidgenössischen Obrigkeiten und der französische König beziehungsweise ihre Repräsentanten entgegentraten. Mit welchem Selbstverständnis traten sie auf und welchen Status schrieben sie einander zu? Das Hauptaugenmerk liegt dabei zuerst auf den Interaktionen im Medium des diplomatischen Zeremoniells. Während die Krone den eidgenössischen Orten zwar die volle Souveränität zuerkannte, weigerte sie sich bis zum Ende des Ancien Régime, ihnen im diplomatischen Zeremoniell die Zeichen höchster sozialer Schätzung zuteilwerden zu lassen. Stattdessen wurde im Zeremoniell stets die eklatante Ungleichheit des sozialen Status von französischem König und eidgenössischen Obrigkeiten reproduziert. Dies legt nahe, dass die Orte zur Behauptung ihres Status als souveräne Völkerrechtssubjekte nicht auf die im Zeremoniell vermittelte Schätzung angewiesen waren. Ihre Souveränität manifestierte sich vielmehr in den völkerrechtlich relevanten Verträgen mit andern Souveränen und über die Einschlüsse in die grossen europäischen Friedensschlüsse. Angesichts der nicht nur im diplomatischen Zeremoniell offen zu Tage tretenden Asymmetrie zwischen französischem König und eidgenössischen Orten erweist es sich als weiterführend, ihre Beziehungen nicht nur mit dem Modell eines Verhältnisses zwischen (ungleichen) Souveränen, sondern auch mit einem Patron- Klient-Modell zu beschreiben. Die eidgenössisch-französischen Beziehungen lassen sich so als Patronagebeziehung im Sinn einer dauerhaften und reziproken Tauschbeziehung verstehen. Um in den Genuss vielfältiger Ressourcen zu kommen, zogen es die Orte oft vor, mit dem König im Rahmen einer Patron-Klient-Beziehung und nicht von Souverän zu Souverän zu interagieren. Eine ausschliessliche Festlegung auf ein Beziehungsmodell lässt sich allerdings bei keinem Ort beobachten. Vielmehr changierten die Obrigkeiten gegenüber dem König zwischen klientelistischer Ergebenheit und souveränem Selbstbewusstsein. Der zweite Teil der Dissertation richtet den Fokus auf das personale Netzwerk des Ambassadors d’Avaray. Die Beziehungen des Ambassadors zu den eidgenössischen Magistraten gestalteten sich meist als Gabentauschbeziehungen: Die eidgenössischen Klienten versorgten den Ambassador mit Informationen aus ihren Orten und setzten sich dort für französische Interessen ein, wofür sie mit vielfältigen königlichen Patronageressourcen bedacht wurden. Aufgrund der dezentralen Struktur der Eidgenossenschaft musste der Ambassador sein Netzwerk vorwiegend über Distanz pflegen. Der Brief war dabei nicht nur das wichtigste Kommunikationsmittel, sondern auch ein zentrales Medium der Aufrechterhaltung personaler Beziehungen. Das Korrespondenzarchiv des Ambassadors bildete dessen soziales Kapital ab und diente als Arbeitsinstrument, das Informationen über vergangenes Handeln bereitstellte. Die unterschiedliche politische Kultur der eidgenössischen Orte führte dazu, dass den personalen Beziehungen zu fremden Gesandten nicht überall die gleiche Akzeptanz entgegengebracht wurde. In den reformierten Städteorten, in denen sich seit der Reformation ein „Ideal des Nicht-Verflochtenseins“ (Hillard von Thiessen) herausgebildet hatte, bedeutete die Pflege einer Gabentauschbeziehung zum Ambassador eine heikle Angelegenheit. Die Entgegennahme fremder Gelder war streng verboten und die partikulare Kommunikation zu fremden Gesandten wurde argwöhnisch beobachtet. Anders als die katholischen Korrespondenten mussten reformierte Magistraten deshalb eine ganze Reihe von Sicherungsmassnahmen ergreifen, um ihre Kommunikation mit der Ambassade geheim zu halten. Der dritte Teil untersucht die Kanäle, über welche die eidgenössischen Obrigkeiten und die Entscheidungsträger am französischen Hof miteinander kommunizierten und verhandelten. Weil die Orte auf diplomatische Repräsentanten am Hof verzichteten, verfügte der französische Gesandte in der Eidgenossenschaft als offizieller Kanal zwischen Krone und Obrigkeiten praktisch über eine Monopolstellung. Beide Seiten griffen allerdings situativ auf alternative, informelle Kanäle zurück. Eine besondere Bedeutung kam in dieser Hinsicht den eidgenössischen Offizieren in französischen Diensten zu, die dank ihrer Verflechtung am Hof und in der Eidgenossenschaft wie geschaffen waren, eine Mittlerrolle zu übernehmen. Vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis zum Ende des Ancien Régime praktizierten die Orte somit eine «Diplomatie ohne Diplomaten», die es ihnen erlaubte, zeremoniellen Demütigungen auszuweichen und beträchtliche Kosten einzusparen. Im vierten und letzten Teil werden am Beispiel der Bündnisverhandlungen mit den reformierten Orten Praktiken des Verhandelns untersucht. Für die französische Seite bedeuteten Verhandlungen mit der Eidgenossenschaft, sich auf gewisse republikspezifische Herausforderungen einzulassen. Während es in Monarchien möglich war, die Verhandlungen auf eine Person (und dessen Berater) zu konzentrieren, mussten in Polyarchien Mehrheiten gewonnen werden. Dies wurde durch die heftigen Faktionenkämpfe in den eidgenössischen Räten erheblich erschwert. Die Furcht der verschiedenen Faktionsführer, beim Verteilungskampf um materielle und symbolische Ressourcen zu kurz zu kommen, führte etwa bei den Verhandlungen zur Bündniserneuerung dazu, dass die Vorstösse der einen Faktion von ihren Gegnern durchkreuzt wurden, obwohl diese eine neue Allianz grundsätzlich befürworteten. Eine weitere Schwierigkeit des Verhandelns mit Republiken war die Unmöglichkeit, geheime, aber gleichzeitig vom Souverän autorisierte V erhandlungen zu führen. Geheimhaltung liess sich nicht bewahren, wenn ein hundertköpfiger Rat über ein Geschäft deliberierte. Die geheimen Verhandlungen zwischen dem Ambassador und den Berner Magistraten liefen somit ohne Autorisierung der Obrigkeit auf einer rein partikularen Ebene ab, was die Eröffnung offizieller Verhandlungen während d’Avarays Ambassade verunmöglichte.

Access to the work

Library

Academic works are deposited in the library of the university where they originated. Search for the work in the central catalogue of Swiss libraries