„Gedenkpark Berlin“. Die Ausdifferenzierung deutscher Geschichtskultur bezüglich des Nationalsozialismus seit 1989, nach- gezeichnet anhand der publizistischen Rezeption verschiedener Denkmalprojekte in Berlin

AutorIn Name
Raphael
Petit
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2008/2009
Abstract


Die deutsche Geschichtskultur bezüglich des Nationalsozialismus hat seit der Wiedervereinigung eine bemerkenswerte Ausdifferenzierung erfahren. In Stein erbaut steht dieser Teil des kulturellen Gedächtnisses Deutschlands in Berlin und erinnert an einzelne Opfergruppen der Naziherrschaft. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, auch bekannt unter dem Namen Holocaust-Mahnmal, das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma und das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erinnern an die jeweiligen Verfolgten und Ermordeten der einzelnen Opfergruppen. Wie es zu dieser in Stein erbauten Ausdifferenzierung und, so die These der Arbeit, gleichzeitig zu einer Hierarchisierung der Opfergruppen kam und wem warum ein staatsoffizielles Denkmal gewidmet wurde, ist Gegenstand dieser Arbeit. Dabei wird die publizistische Rezeption betrachtet, die die rund 20 Jahre währende Genese dieser drei Denkmäler begleitete. Es wird allerdings nur jener Teilbereich der Debatten betrachtet, der zu der in Stein gebauten Ausdifferenzierung geführt hat, nämlich die Frage, wem das jeweilige Denkmal gewidmet sein soll. Deshalb wäre die Betrachtung der in den Medien geführten Debatten um die genannten Denkmäler nicht vollständig, würde sie nicht um eine weitere Denkmaldebatte erweitert, jene um die Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland in der Neuen Wache unter den Linden. Die 1993 auf dem Vollzugswege von Bundeskanzler Kohl gegen alle Widerstände realisierte Gedenkstätte, die wegen ihrer alles einebnenden Widmung (Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft) scharf kritisiert wurde, war entscheidender Faktor für eine exklusive Widmung des Holocaust-Mahnmals nur für die Juden. Diese exklusive Widmung machte wiederum erst den Bau eines Denkmals für Sinti und Roma und für die Homosexuellen notwendig. Die beiden letztgenannten zwei Denkmäler waren somit dem Denkmal für die Juden in jedem Sinne nachgelagert, sowohl zeitlich als auch von ihrem Standort, ihrer Grösse und ihrem finanziellen Aufwand her gesehen. Die an sich begrüssenswerte Ausdifferenzierung der Geschichtskultur hat also auch eine gewissen Hierarchisierung der Opfergruppen mit sich gebracht. An der Spitze dieser Hierarchie stehen die Juden, gefolgt von den Sinti und Roma und den Homosexuellen. Das Schlusslicht bilden jene Gruppen von Verfolgten, denen kein staatsoffizielles Denkmal gewidmet wurde. Quellen sind mehrere Hundert zu den Denkmalprojekten in Zeitungen erschienene Artikel sowie Pressemitteilungen der Bundesregierung und der Senatsregierung Berlins, die zum Teil in Dokumentationen vorlagen, zum Teil im Internet recherchiert werden mussten. Nebst dem bereits erwähnten Gegenstand untersuchte die Arbeit folgende Fragen: Wer waren die zentralen Akteure und welche Prozesse liessen sich anhand der stattgefundenen Denkmaldebatten beobachten? Lassen sich aus der Analyse übergeordnete Prinzipien für die Entwicklung der Geschichtskultur ableiten? Lassen diese Prinzipien Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung, oder genauer auf eine weitere Ausdifferenzierung der deutschen Geschichtskultur, zu? Um die komplexen Fragestellungen und die Ergebnisse dieser Arbeit besser strukturieren zu können, wurde eine von Jan-Holger Kirsch erschaffene Typologie der fünf Erinnerungsdimensionen beigezogen, die sich mit impliziten und expliziten Zwecken deutscher Denkmäler in Erinnerung an den Nationalsozialismus auseinandersetzt. Die ersten drei Erinnerungsdimensionen sind dabei von Aleida Assmann entwickelt worden, die sich im wesentlichen auf die wegweisenden Arbeiten von Jan Assmann und Maurice Halbwachs stützt. Diese Typologie wurde in einem theoriebildenden Teil diskutiert und auf die zu behandelnden Denkmäler zugeschnitten, um dann schliesslich beim Zusammenfassen der Resultate im Fazit zur Anwendung zu kommen. Das Kernstück der Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden die Debatten um das Holocaust-Mahnmal und die Neue Wache in den Jahren 1989 bis 1999 und im zweiten Teil die Debatten um die Denkmäler für die Homosexuellen und die Sinti und Roma in den Jahren 1999-2008 nachgezeichnet.

In der Arbeit konnte dargelegt werden, dass wenn der Staat sich dazu entschliesst, Opfergruppen einzeln zu gedenken, diese zueinander in ein Konkurrenzverhältnis um staatliche Zuwendung treten. Der Staat wiederum verteilt seine Zuwendung mediendemokratisch, je mehr öffentliche Aufmerksamkeit eine Opfergruppe generieren kann, desto höher wird die staatliche Zuwendung sein. Wie viel öffentliche Aufmerksamkeit eine Opfergruppe generieren kann, ist unter anderem wiederum davon abhängig, ob sie als Opfergruppe des Nationalsozialismus und Mitglied der heutigen Mehrheitsgesellschaft anerkannt ist. Das Resultat dieser Konkurrenz der Opfergruppen im Ringen um Aufmerksamkeit ist die Hierarchie der Opfer im steingewordenen Gedächtnis Deutschlands.

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