Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Jakob
Tanner
Institution
Neuzeit
Place
Zürich
Year
2009/2010
Abstract
Mit der Meiji-Revolution von 1868 öffnete sich Japan endgültig Richtung „Westen“. Diese Öffnung jedoch erfolgte nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Druck westlicher Kolonialmächte, die dem Land ab den frühen 1850er-Jahren mit Hilfe ungleicher Verträge einen semi-kolonialen Status aufgezwungen hatten. Der epochale Bruch von 1868 selbst markierte den Beginn eines geeinten japanischen Nationalstaates und ebnete den Weg für revolutionäre Reformenprojekte wie die Auflösung der Ständegesellschaft oder die Einführung einer allgemeinen Schul- und Wehrpflicht.
In dem Jahrzehnt vor und nach der Revolution bereisten Delegationen japanischer Politiker, Diplomaten, und Studenten Europa und Amerika. Zentrale Stationen ihrer Reisen waren Weltausstellungen, an denen der Westen seine zivilisatorische Mission ebenso wie seine technische, wirtschaftliche und militärische Überlegenheit zelebrierte. Die in diesen gigantischen Feiern des Fortschritts propagierte Modernisierung erschien den japanischen Gesandten als Vision einer eigenen, „zivilisierten“ Zukunft, ihre Implementierung in Japan als Voraussetzung für das Wiedererlangen der nationalen Souveränität und der Revision der ungleichen Verträge. Die Weltausstellungen wurden für Japan zu einer globalen Bühne, auf der sich das Land dem Westen als „zivilisierte“ Nation präsentierte. Westliche Japanbegeisterung und Japonisme zeugen von den [Er-]Folgen dieser Inszenierung.
In Japan selbst begann die neue Regierung in den 1870er-Jahren, nationale Industrieausstellungen nach westlichem Vorbild zu organisieren. Im Inland waren Ausstellungen ein Instrument der Volkserziehung, kulturellen Homogenisierung und politischen Machtkonsolidierung. Die Ausstellungen dienten den neuen Machthabern dazu, ihre Visionen von einer „zivilisierten“ und „aufgeklärten“ Zukunft der in ihren Augen noch in der Vergangenheit verhafteten Bevölkerung zu präsentieren und propagieren. In vielen Fällen machten erst diese Landes- und Industrieausstellungen die mit der Öffnung des Landes einhergehenden Umbrüche und Modernisierungsbestrebungen für die Menschen sichtbar. Die Ausstellungen dienten ihren Machern jedoch nicht nur als Plattform ihrer Visionen und Träume. Sie spielten auch beim Transfer westlichen Wissens nach Japan und bei der Verbreitung dieses Wissens eine entscheidende Rolle. Zentral ist zudem ihre ökonomische Funktion bei der Etablierung nationaler Produkte und der Schaffung eines landesweiten Absatzmarktes.
Somit wurden die Ausstellungen zu Institutionen einer Neu-Ordnung der Welt und zu Symbolen der Reformbemühungen der Meiji-Oligarchen. Die Reaktionen, die sie dabei in der Bevölkerung hervorriefen, reichen in den ersten Jahrzehnten nach der Meiji-Revolution von Zustimmung, über Desinteresse bis hin zu Ablehnung. Im Laufe der Meiji-Zeit veränderte sich ihr Erscheinungsbild und Funktion jedoch erheblich. Erziehung und Zivilisierung gerieten in den Hintergrund und Unterhaltung und Spektakel gewannen an Bedeutung; oft zum Missfallen der Verantwortlichen. In der zweiten Hälfte der Meiji-Zeit waren Ausstellungen Orte des Vergnügens und Konsums geworden, wobei es beliebt war, deren Besuch mit Reisen und Tourismus zu verbinden. Gleichzeitig dienten Ausstellungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer stärker der Repräsentation des japanischen Imperialismus und kolonialer Besitzansprüche.