Verwalteter Tanz. Luzerns K(r)ampf mit der Lust. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts.

AutorIn Name
Helmut
Bühler-Bättig
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Martin
Körner
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
1997/1998
Abstract

Seit dem 1. Januar 1998 gilt im Kanton Luzern ein neues Gastgewerbegesetz, welches auch einige Bestimmungen zu Tanzveranstaltungen enthält. In den Gesetzesberatungen im Grassen Rat entschied sich eine bürgerliche Mehrheit für ein Festhalten am Tanzverbot an hohen kirchlichen Feiertagen wie etwa Weihnachten, Aschermittwoch und Karfreitag. Der Antrag der Ratslinken, den „alten Zopf" des Tanzverbotes abzuschneiden, unterlag knapp einer Argumentation, welche den Fall der ,,letzten Bastion der Ruhe" befürchtete oder gar das „Fundament der christlichen Kultur' bedroht sah. Tanzreglementierungen haben im katholischen Kanton Luzern eine lange Tradition. Bis in die Gegenwart besitzt der Tanz zudem ein Hauch von Anrüchigkeit. 

 

Die vorliegende Arbeit untersucht den Tanz im Kontext der Beziehung zwischen Herrschaft und Untertanen im Luzerner Stadtstaat des 18. Jhs. Im Vordergrund stand das Bemühen, mit der Auswertung von Tanzgesetzen und Tanzdelikten das Verhältnis zwischen dem Drang der Gesellschaft nach Freiräumen und dem Bedürfnis der Obrigkeit nach Ordnung auszuloten. Der Tanz stellte in der Tat ein typisches Element jener Volkskultur dar, welche ins Visier obrigkeitlicher Disziplinierungspolitik geraten war. Daher sollte die Mikrountersuchung im Raum Luzern auch von den aktuell diskutierten theoretischen Konzepten der Sozialdisziplinierung und der „guten Polizei" begleitet werden. 

 

Ein allgemeiner Überblick über die Entwicklung des Tanzens im 18. Jh. berücksichtigte soziokulturelle Aspekte und ebenso den theologischen Diskurs. Zur Sprache kamen insbesondere die jahrhundertealte Reserviertheit der Kirche dem Tanztreiben gegenüber sowie der massgebende kirchliche Einfluss auf die Luzerner Tanzgesetzgebung. 

 

Ein zentrales Kapitel war der Entwicklung der Luzerner Tanzgesetzgebung im 18. Jh. gewidmet. Hier konnten handschriftliche Quellen - vorab Mandate und Ratsprotokolle - aus dem Luzerner Staatsarchiv herangezogen werden. Bereits deren quantitative Erfassung gab Hinweise auf einen beachtlichen, in der zweiten Jahrhunderthälfte stark wachsenden Regelungsbedarf. Die systematische inhaltliche Quellenauswertung förderte schliesslich ein überraschend vielschichtiges Bild des Luzerner Tanzgeschehens zu Tage. Nebst den traditionellen Sonntags- und Feiertagstanzverboten wurden Verbote hauptsächlich bei besonderen Ereignissen verhängt. So wurde zwischen einem kriegerischen Ereignis, dem Auftauchen eines Kometen, einer Epidemie, einer Wirtschaftskrise und dem vermeintlichen Verfall von Sitte und Moral der Gesellschaft wiederholt ein ursächlicher Zusammenhang gesehen. Nur Reue, Busse und sittsamer Lebenswandel (damit war zwingend auch Tanzabstinenz gemeint) vermochten "den gerechten Zorn Gottes zu besänftigen". 

 

Die Tanzpolitik der Luzerner Obrigkeit erschöpfte sich indes nicht im Mittel der Prohibition. Mit zunehmend verfeinerter Gesetzgebung versuchte Luzerns regierendes Patriziat das Tanzgeschehen in den Wirtshäusern und bei privaten Anlässen gestaltend zu kontrollieren. Wohldosiert wurde der Tanz im Frühjahr zur Fasnachtszeit und im Herbst bei den Kirchweihen und Schwörtagen freigegeben. Ferner erlaubte der Luzerner Rat auch saisonunabhängige Tänze, etwa anlässlich einer Hochzeit, eines Jahrmarkts oder bei Solddienstwerbung. Tanzanlässe endeten mit der Sperrstunde, welche für Bürger der Stadt meistens später angesetzt war als für Untertanen auf der Landschaft. Tendenziell rückte die Sperrstunde im laufe des Jahrhunderts tiefer in die Nacht hinein. 

 

Sachlich abschliessend oder auf längere Frist hin wurde das Tanzproblem im ganzen Zeitraum nie geregelt. Hierzu waren die obrigkeitlichen Interessen wohl zu inkonsistent. Einerseits erachtete es der Rat als seine gottgegebene Aufgabe, auf das "allgemein Beste" hinzuwirken und für "gute Ordnung und Polizei" im Einflussbereich zu sorgen. Anderseits war er bei seiner Rechtssetzungspraxis auch wiederholt von ökonomischen oder von diplomatisch-herrschaftsstabilisierenden Motiven geleitet. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Luzerner Tanzgesetzgebung insgesamt als weniger restriktiv zu beurteilen ist als jene reformierter Gebiete der Eidgenossenschaft. 

 

Dem gesetzten Tanzrecht wurden in einem weiteren Kapitel die Tanzdelikte aus der Landvogtei Willisau gegenübergestellt. Aus den Landvogteirechnungen konnten quantifizierende Angaben zur ländlichen Tanzdelinquenz herausgearbeitet werden. Unter den Gebüssten wegen verbotenen Tanzens sticht ein beträchtlicher ,,Ausländeranteil" von Bernern im luzernischen Grenzgebiet ins Auge, was auf einen regen bernischen Tanztourismus im katholischen Nachbarkanton schliessen lässt. Ferner fällt auf, dass in Regionen mit geschlossener Dorfsiedlung seltener verbotenerweise getanzt wurde, als im hügeligen Napfgebiet mit seinen typischen Einzelhofsiedlungen. Tanzanlässe waren hier bedeutungsvoll für die Vergesellschaftung der bäuerlichen Bevölkerung. 

 

Insgesamt ist den von der Luzerner Obrigkeit gesetzten Tanznormen auf der Landschaft nicht wie gewünscht nachgelebt worden. Trotz einer Flut von Mandaten blieb stets eine Distanz zwischen gewollter und erreichter Ordnung bestehen, was auf ein eigentliches Durchsetzungsdefizit hindeutet. 

 

 

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