Die Geschichte der schweizerischen Naturschutzbewegung ist nahezu unerforscht. Diese Dissertation versucht, diesem weissen Fleck im gesellschaftlichen und politischen Gedächtnis der Schweiz einige Farbtöne zu verpassen. Dies geschieht anhand der Geschichte der Schweizerischen Naturschutzkommission SNK (1906-1938). Die SNK war die erste Organisation, die sich in der Schweiz landesweit kontinuierlich mit Naturschutzfragen befasste. Die Geschichte der Gründung, Entwicklung und Auflösung der Naturschutzkommission ist zugleich die Geschichte des Übergangs der Schutzidee von einem kleinen, naturwissenschaftlich dominierten Zirkel auf breitere Teile der Bevölkerung.
Die Dissertation folgt dem konstruktivistischen Ansatz der Umweltgeschichte, der sich im Spannungsfeld zwischen Mentalitätsgeschichte, Sozialgeschichte und politischer Geschichte ansiedelt. Die Leitfragen lauten: Wer kam wann und aus welchen Motiven auf die Idee, eine Kommission zum Schutze der Natur zu gründen? Welche Entwicklungen wurden als problematisch wahrgenommen, wie wurde ihre Entstehung erklärt und mit welchen Mitteln versuchte man, Abhilfe zu schaffen? Wie veränderte sich die Organisation im laufe der Zeit; wo waren Erfolge zu verzeichnen, wo Misserfolge? Daneben werden Mentalitätsstrukturen, Naturvorstellungen und Menschenbilder der Naturschützer thematisiert und das historische Umfeld beleuchtet. Im Zentrum der Analyse, die mit den herkömmlichen historischen Methoden der Quellenkritik arbeitet, steht also nicht die Natur, sondern der Mensch.
Als Hauptquelle diente das Archiv der Kommission. Die umfangreichen Bestände bestehen grösstenteils aus Briefwechseln der Kommission mit Behörden, anderen Organisationen und Privaten, aus Korrespondenzen der SNK-Mitglieder untereinander, aus Sitzungsprotokollen, Verträgen, Gutachten, Vortragsmanuskripten, Zeitungsartikeln, Flugblättern und behördlichen Erlassen. Als besonders ergiebig erwiesen sich die handschriftlichen Notizen, die Paul Sarasin, der langjährige Präsident der Naturschutzkommission als Gedankenstützen für sich selbst verfasst hatte. Sie enthalten beispielsweise Zusammenfassungen von verschiedenen persönlichen Treffen des SNK-Vorsitzenden mit Vertretern des Bundesrates. Die SNK-Akten wurden durch das Hinzuziehen anderer Quellen ergänzt (Bundesarchiv, Zeitungen, Archiv des Schweizerischen Bundes für Naturschutz SBN). Daneben wurden die SNK Jahresberichte von 1906 bis 1938 sowie die beiden Zeitschriften "Schweizerische Blätter für Naturschutz" und "Schweizer Naturschutz" ausgewertet.
Die Arbeit liefert zunächst einen Überblick über verwandte Strömungen im Ausland. Sodann werden frühe Ansätze von Naturschutz in der Schweiz beschrieben, die sich mehrheitlich als "Menschenschutz" oder als wirtschaftlich motivierte Bestimmungen entpuppen. Anschliessend wenden wir uns der Gründung der Naturschutzkommission als Spross der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft zu. Besonders interessiert hier der geologische Naturschutz, da der Kampf um einen Riesenfindling im Wallis der Auslöser für die Bildung der Kommission war. Die Analyse der Biographien der SNK-Mitglieder zeigt, dass diese eine recht homogene Gruppe bildeten: konservative, meist akademisch geschulte Bildungsbürger, die in der Regel in die politische und sozioökonomische Elite der Schweiz eingebunden waren und deren Weltbild von einem elitären Wissenschaftsverständnis geprägt war. In einem speziellen Kapitel wird das Spannungsfeld zwischen Bildungsbürgertum, Wissenschaft und Natur ausgeleuchtet. Als Naturwissenschaftler standen die frühen Naturschützer nach eigener Einschätzung mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität. Damit argumentierten sie aber auch unweigerlich auf dem Boden des nicht mehr in Frage gestellten Industriesystems, dessen negative Folgen es zu mildern galt. Als "unpolitische Experten" sahen sie es nicht als ihre Aufgabe an, die sozioökonomische Entwicklung zu hinterfragen. Die Verantwortung des industriekapitalistischen Systems für die Umweltschäden wurde von ihnen denn auch kaum wahrgenommen. So schlug die SNK eine reformerisch-konservative Richtung ein. Fundamentalopposition hatte in ihren Reihen so wenig Platz wie zukunftsweisende Utopien.
Viel Platz wird der ersten grösseren Debatte innerhalb der SNK eingeräumt, der Frage der Konzessionserteilung für eine Bahn aufs Matterhorn. Einerseits brachte diese Diskussion das junge Gremium bereits an den Rand der Auflösung, andererseits wurde hier erstmals ersichtlich, welche Motive die Naturschützer antrieben und welches Naturverständnis dahinter steckte. Integriert sind in diesem Kapitel auch Ausführungen zu Tourismus und Alpenästhetik. Es folgt ein Blick auf das institutionelle und ideologische Umfeld der Natuschützer: Im Zentrum stehen zum einen das Vereinswesen - besonders die Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz - und zum anderen die geschichts- und naturorientierten Muster des schweizerischen Nationalbewusstseins, auf die die Naturschützer in ihrem Diskurs immer wieder zurückgreifen.
Die SNK-Gründung markierte den Übergang von einer bloss Veränderungen notierenden Beobachtungshaltung zum aktiven Schutzgedanken, der dort punktuell eingriff, wo man ein Gebiet, ein Objekt oder eine Lebensform als besonders gefährdet betrachtete. Daraus ergaben sich die beiden Hauptstrategien des Naturschutzes: die Schaffung von "Inseln" (Reservaten), die ein ganzes Gebiet von der übrigen Entwicklung abschotteten, und die Bestandeserhaltung, die jeweils ein bestimmtes Phänomen der Flora, Fauna oder Landschaft zu bewahren suchte. Der unausgesprochene Kompromiss mit der Industrie, die stillschweigende Hinnahme der Sachzwänge der Modeme, das Fehlen einer gesellschaftlichen Perspektive - all dies erlaubte nur eine reaktive Politik. Im besten Fall konnte man gewisse Gebiete oder Objekte den schädigenden Einflüssen entziehen, die man ansonsten akzeptierte.
Das Prunkstück unter den "Inseln" ist das Grossreservat Nationalpark im Engadin. Der Nationalpark bildete nicht nur einen der ersten Arbeitsschwerpunkte der SNK, er blieb auch ihr grösstes Erfolgserlebnis. Gleichzeitig war er aus finanziellen Gründen Anlass für die Gründung des SBN, die die Breitenentwicklung der Bewegung einleitete. Innerhalb der Strategie der "Bestandeserhaltung" gab es sowohl Versuche, umfassend auf gesetzlichem Wege vorzugehen (Pflanzenschutzverordnungen, Jagdgesetz), als auch den gezielten Schutz von Einzelarten oder -Objekten (alte Bäume, Raubvögel, Wildarten). Eine Sonderstellung unter den sonst meist defensiven Naturschutzmassnahmen kam der aktiven Wiederansiedlung von Arten zu (Steinwild), deren Machbarkeit unter den Fachleuten umstritten war. Die Durchsetzung und Verbreitung der Naturschutzidee förderte die SNK durch ihr Engagement an den Schulen. Der Abschnitt "Weltnaturschutz" befasst sich mit Sarasins Versuch, seinen Schutzprinzipien über den nationalen Rahmen hinaus "von Pol zu Pol" Nachachtung zu verschaffen. Der vielversprechende Beginn dieses Konzepts scheiterte schliesslich an den kriegerischen Ereignissen in Europa.
Eine Stärke der Naturschützer war ihr geschicktes taktisches Vorgehen: Sie wichen durch frühe Kompromissbereitschaft potentiellen Konflikten aus. Ihre Vorschläge waren bei der Veröffentlichung meist schon bis in die Details ausgearbeitet und mit den betroffenen Interessen vorabgeklärt. Durch die Berufung auf den wissenschaftlichen Sachverstand erhielten sie eine zusätzliche Legitimation. Sehr gezielt setzten die SNK-Mitglieder auch ihre Verbindungen in die obersten Stellen von Regierung und Verwaltung ein.
Die Organisationsstruktur der Naturschutzbewegung barg einiges Konfliktpotential und führte schliesslich zu teilweise gerichtlich ausgetragenen Kämpfen. Die zunehmenden internen Streitigkeiten und die Anpassungen der Strukturen an die veränderten Bedürfnisse (vor allem die Gründung der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission) führten schliesslich zur Auflösung der SNK.
Auf einer ideologischen Ebene lassen sich für die Naturschutzpioniere drei idealtypische gesellschaftliche Rollen herauskristallisieren, denen jeweils auch eine spezifische Argumentenpalette zugeordnet werden kann: Die Naturschützer als Wissenschaftler und Rationalisten, als Ästheten und Naturschwärmer sowie als Patrioten und Heimatpropagandisten.
Ein internationaler Vergleich zeigt, dass eine Besonderheit der schweizerischen Naturschutzbewegung das organisierte Nebeneinander einer elitären und einer volksverbundenen Struktur (SNK, SBN) war, die trotz aller Konflikte ihre Ziele gemeinsam verfolgten. Die rasche Verankerung in der Bevölkerung, die durch die Folgen des Wirtschaftswachstums, durch das intakte Ansehen der Naturwissenschaftler und durch die Tradition eines stark naturbezogenen Nationalbewusstseins gefördert wurde, sicherte der Bewegung ein langfristiges Überleben. Die schweizerische Naturschutzbewegung war zwar nicht eine der ersten, sie wies aber mit geschickten, pragmatischen Strategien sehr rasch Erfolge auf, übernahm mit ihrer strengen, wissenschaftlich ausgerichteten Reservatspolitik eine internationale Pionierrolle und fand gegen aussen frühzeitig zu einer grossen ideologischen Geschlossenheit. Die massiven inneren Konflikte waren nicht in erster Linie Richtungskämpfe, sondern organisatorische und strukturelle Probleme, die sich an persönlichen Zerwürfnissen kristallisierten.