Republik im Konflikt. Schwäbische Reichsstädte und bürgerschaftliche Politik 1650 - 1800

AutorIn Name
Urs
Hafner
Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
1999/2000
Abstract

Sowohl in den schwäbischen Reichsstädten als auch über sie kann die Tradition eines alteuropäischen, reichsstädtischen Republikanismus rekonstruiert werden, der den herrschenden fürstlich-monarchischen Prinzipien der Zeit entgegenzusetzen ist. Vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die untersuchten Reichsstädte in zahllosen Reiseberichten als ÑRepublikenì bezeichnet, und zwar - begriffsgeschichtlich gesehen - in einer Bedeutung, die dem freistaatlichen Strang dieses Begriffes nahekommt. Die Reichsstädte wurden am Ausgang des 18. Jahrhunderts, unter dem Eindruck der Amerikanischen und Französischen Revolution, von politisch aufmerksamen Zeitgenossen - wieder - in einen Traditionszusammenhang gerückt, der im Verlauf der Frühneuzeit weitgehend verschüttet worden war - und es bis heute auch weitgehend geblieben ist. Allerdings existierte in der Frühneuzeit keine spezifisch republikanischreichsstädtische Staatstheorie, welche eine zeitgenässische Definition des Republikanismus erleichtern würde. Reichsstädtischer Republikanismus meint hier in erster Linie einen heuristischen Begriff, der sich wesentlich auf Elemente der italienischen spätmittelalterlichen Republiktheorien abstützt.
 

Die schwäbischen Reichsstädte sind, vor allem in der zweiten Hälfte der Frühneuzeit, gekennzeichnet von innerstädtischen Konflikten, die in Landstädten seltener auftraten. Der Konfliktverlauf ist in den untersuchten Städten weitgehend ähnlich. Er wird geprägt durch die ihnen eigene Verfassung, deren zentrales Merkmal in den Schwär- und Wahltagen besteht. Im Konflikt realisierten die opponierenden Bürgerschaften in Ansätzen eine demokratisierte Version des Schwärtages; und im Konflikt realisierte sich ein Modell politischen Handelns, dem zufolge in der Versammlung das Private transzendiert und die Stadt neu zu gestalten gesucht wurde. Dabei hallten die spätmittelalterlichen Zunftverfassungen wie ein Echo nach. Die Forderungen der reichsstädtischen Bürgerschaften lassen sich mit den Definitionsmerkmalen in ‹bereinstimmungbringen, welche die italienischen Theoretiker auf die Stadtrepublik applizierten. Desgleichen zeichnet sich die bürgerschaftliche Mentalität, also diejenige der mittleren Schichten, durch republikanische Bestandteile aus, obschon nicht von einem explizit ausformulierten republikanischen Bewusstsein der opponierenden Bürgerschaften gesprochen werden kann. Hervorstechende Merkmale sind Tugendvorstellungen, welche in einer kommunalen Gemeinwohlorientierung gründen und politische Partizipation voraussetzen.
 

Vom bürgerschaftlichen Republikanismus lässt sich ein - quasi reduzierter - obrigkeitlicher „Republikanismus“ abgrenzen, ein polyarchischer Republikanismus. Zwar teilten die Obrigkeiten mit der bürgerschaftlichen Opposition die Ablehnung der Einherrschaft und die Pflege des reichsstädtischen Patriotismus, zwar bedienten sich die obrigkeitlichen Eliten des Rückgriffs auf die rämische Antike, um Autonomie und Autokephalie der Stadt zu untermauern, aber sie lehnten die Zusammenkünfte der Bürger strikt ab. Gerade im Konfliktverlauf formulierten sie ihren gättlich legitimierten Anspruch auf den absoluten Gehorsam ihrer «Untertanen». Dementsprechend verstanden sie unter Tugend vornehmlich eine Regententugend, der die Auftrennung der Stadtbevälkerung in Herrschende und Untertanen selbstverständlich war.
 

Die Bedeutung der Konflikte für die - Theorieì, die von den Reichsstädten handelt, ist kaum zu überschätzen. Ohne sie wären die zahllosen Texte, Kompilationen und Quellensammlungen nicht verfasst worden. Für die Reichspublizistik waren die Reichsstädte ein besonderer Reichsstand. Sie räumte nicht der Obrigkeit, sondern der Reichsstadt als ganzer die Landeshoheit ein. Aus diesem Grunde auch konnten die reichsstädtischen Bürger nicht wie die Bewohner benachbarter Territorien als Untertanen bezeichnet werden. Weite Teile der Aufklärung standen unter dem Eindruck des

sich Bahn brechenden Ideals des Grossstaates und des Triumphs der Monarchien und blickten deshalb mit Geringschätzung auf die kleinen, sich dem Fortschritt verweigernden Reichsstädte herab. Die Aufklärung war ausserstande, den reichsstädtischen Republikanismus zu erfassen, dessen politische Forderungen die ihrigen vorwegnahmen und an Ñdemokratischemì Gehalt übertrafen.

 

Der hier rekonstruierte «reichsstädtische Republikanismus» also meint zum einen die - besonders in theoretisch-publizistischen Texten hervorgehobene ñ reichsstädtische Verfasstheit, die in Verfassung und Tugend gründet, zum andern die - wiederum auf Verfassung und Tugend abzielende - kommunalgenossenschaftliche Werthaltung der Bürgerschaft als auch, mit polyarchischer Betonung, der Obrigkeit. Seine Artikulation findet der «reichsstädtische Republikanismus» allerdings in den und dank der sich opponierenden Bürgerschaften, die damit quasi ein «Ñ»Machiavelli-an Moment» (John G.A. Pocock) realisieren. Der reichsstädtische Republikanismus ist also wesentlich ein bürgerschaftlicher.

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