Von "alten Freyheiten" und "Neuerungssucht". Regimekritik in der Republik Bern zwischen 1789 und 1798

AutorIn Name
Bettina
Duttweiler-Widmer
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
André
Holenstein
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2008/2009
Abstract


1798, im Jahr der Helvetischen Revolution(en), kam es auch in Bern zu einem Umsturz. Dieser erfolgte weder von oben wie in Basel noch von unten wie in Zürich. Es waren die französischen Truppen, die dem Ancien Régime ein Ende bereiteten. Hatte es in Bern im Vorfeld keinerlei revolutionäre Bestrebungen gegeben? Waren die Berner dem Neuen gegenüber tatsächlich so schwer zugänglich, wie es Richard Feller in seiner Berner Geschichte beschrieb? Die Quellen – Manuale und Akten des Geheimen Rates sowie diverse Verhörsprotokolle – sprechen eine andere Sprache. Bereits in den frühen 1790er Jahren wurden Revolutionslieder gesungen, revolutionäre Zeitschriften gelesen und unerlaubte Gemeindeversammlungen abgehalten. Wer waren die Regimekritiker? Wie übten sie Kritik aus? Wodurch wurden sie beeinflusst? Weshalb übten sie Kritik aus und wie reagierte die Obrigkeit auf sie?

Die Lizentiatsarbeit beschränkt sich auf die Zeitperiode zwischen Französischer Revolution und Helvetischer Revolution und auf das Gebiet der damaligen Republik Bern, ohne Berücksichtigung der Vorgänge in der Waadt und im Aargau. Der Fokus liegt auf den politischen Patrioten und Radikalpatrioten, für welche im Gegensatz zu den Reformpatrioten blosse Reformen nicht mehr ausreichten. Die Staatsordnung sollte vollständig umgewandelt werden.

Verschiedenste Personen, Medien, Konstellationen und Ereignisse werden betrachtet: Darunter die Bittschriften der Landgerichte Seftigen und Konolfingen von 1792/93, Schriften und Machenschaften des schillernden Langenthaler Arztes Andreas Dennler, die Verbindungen zweier Mumenthaler aus Langenthal zum Memorialund Stäfnerhandel 1794/95, die Lesegesellschaft von Trubschachen und die Agitationen des revolutionären „Langnauer Komitees“. Ausführlich wird auf den Augsburger-Prozess eingegangen – die Umstände rund um die Verhaftung des als Revolutionär verdächtigten Obmanns Niklaus Augsburger aus Grosshöchstetten und seine Verbindungen zu den politischen Patrioten der Stadt Bern, insbesondere zu Cornelius Henzi und zu Samuel Salomon Plüss.

Regional gesehen ist eine Konzentration von Regimekritik in den Landgerichten Seftigen und Konolfingen, im Emmental und im Oberaargau – namentlich in den Protoindustrieorten Langnau und Langenthal – sowie in der Stadt Bern feststellbar. Als Kritiker taten sich Vertreter der ländlichen Oberschicht hervor: Inhaber von dörflichen Ämtern, Landärzte, Wirte und Negozianten. In der Hauptstadt erwuchs der Protest aus den Kreisen politisch benachteiligter Burger. Kritikausübung geschah auf verschiedenen Wegen: Einreichen von Bittschriften, Abhalten von unerlaubten Versammlungen, öffentliches Verlesen der alten Freiheiten, Hinterfragen von Regierungsentscheiden, Vernachlässigung der Untertanenpflichten (zum Beispiel der Meldepflicht), Singen von Revolutionsliedern, Halten regimekritischer Reden, Lesen und Verbreiten von „gefährlichen“ oder verbotenen Zeitungen, Aufwiegelung der Landbevölkerung oder der Truppen, Kontakte mit Franzosen, Anflehen französischer Hilfe, Kontakte zu bekannten Radikalpatrioten wie Frédéric-César de la Harpe oder Andreas Staub, Verfassen und Verbreiten von „gefährlichen“ Schriften und Proklamationen, Befehlsverweigerung der Truppen. Beeinflusst wurden die Regimekritiker durch die Aufklärung, die Ideen der Französischen Revolution und vor allem durch Presseerzeugnisse aus Frankreich. Eine wichtige Rolle bei der Rezeption dieser Schriften und der Verinnerlichung neuer Ideen nahmen Lesegesellschaften und politische Klubs ein. Zudem hatte der sozio-ökonomische Aufstieg in den Protoindustriegebieten ein wachsendes Selbstbewusstsein bestimmter Gesellschaftsgruppen zur Folge.

Mannigfaltig waren die Kritikgründe. In die alten Forderungen mischten sich Elemente der neuen Ideen und des neuen Bewusstseins: Man pochte auf alte Rechte und Freiheiten, wollte hinderliche Handelsschranken beseitigen, sowie gewisse Abgaben, Zehnten und Zölle abschaffen. Gleichzeitig regte sich Widerstand gegen die obrigkeitlich praktizierte Arkanpolitik, gegen oligarchische Zustände und die Ungleichheit unter den Stadtburgern. Die Obrigkeit reagierte auf Regimekritik und Regimekritiker in erster Linie durch Repression: verschärfte Zensur, Überwachung der Gesinnung auf dem Lande, Proklamationen, verschärfte Polizeiordnungen, Verhaftungen, Verhöre und Bestrafungen.

Trotz nachgewiesener Verbindungen politischer Patrioten in der Stadt und auf dem Land kam es in Bern zu keiner geschlossenen Bewegung, die sich für eine Beseitigung der bestehenden Ordnung eingesetzt hätte. Die Arbeit zeigt auf, dass dennoch während der ganzen 1790er Jahre im Kanton unterschiedlichste Bestrebungen stattgefunden haben, um das System oder zumindest Teile davon zu verändern

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