Natürliches - Übernatürliches. 27. Jahrestagung des AK Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

29. October 2022 bis 30. October 2022
Conference

Schon in der Frühen Neuzeit wurde der Verweis auf die natürliche Ordnung dazu genutzt, Erscheinungsformen menschlichen Lebens, als natürlich oder "wider die Natur" zu qualifizieren. Mit Blick auf Geschlechterdifferenzen, -ordnungen oder deren Überwindung geht die Tagung Diskursen und Praktiken nach, die sich mit Natürlichem, Über- oder Widernatürlichem befassten bzw. darauf zurückgeführt wurden.

Die Natur ist im lateinisch-christlichen Mittelalter zunächst allumfassend die Schöpfung Gottes, deren Krone die Menschen (bzw. Mann und Frau) darstellen und die in ihrem Urzustand auch die bestmögliche Realisierung erfahren hat; durch den Sündenfall wird diese ursprüngliche Einheit und Schönheit zerstört und der Mensch/Mann soll nun zur Strafe im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen, die Frau „unter Schmerzen Kinder gebären“ und ihrem Mann untergeben sein. So geraten also beide, Mann und Frau, von der schönen paradiesischen Natur in einen „Kulturzustand“, der Mühen, Not, Schmerzen und schließlich den Tod mit sich bringt, der allerdings auch Erkenntnis, Bildung, Verbesserung des irdischen Elends usw. verspricht.

Diese Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte hat bereits in der frühen Neuzeit zu einer breit angelegten Debatte geführt, der „querelle des femmes“, in der u.a. auch kritisch nach der Verankerung von Geschlechterhierarchien in der als Schöpfung verstandenen Natur gefragt wurde. Daneben wurde der Zugang zum „Übernatürlichen“ im Sinne einer Reihe in der Natur nicht vorkommender Kräfte und Wesen gesucht. Geister oder Hexen besaßen in der Wahrnehmung der Zeitgenossen spezielle – übernatürliche – Kräfte. Diese hatten nicht selten selbstverständlich auch ein Geschlecht – oder es wurden ihnen je besondere Wirkungen auf Frauen und Männer zugeschrieben.

Nicht zuletzt war es nach frühneuzeitlicher Auffassung auch möglich, die „natürliche Ordnung (der Geschlechter)“ ganz zu überwinden – durch göttlichen Willen nämlich, was etwa bei der Legitimierung weiblicher Herrschaft ein gerne genutztes Argument war, oder gar durch ein (oder mehrere) Wunder, die es auch Frauen ermöglichten, über ihre „niedere“ Natur hinauszuwachsen und zu wirken, wie dies bei berühmten Klosterfrauen und Heiligen (etwa bei der hochberühmten Theresa von Avila oder der späteren französischen Nationalheiligen Jeanne d`Arc ) der Fall war.

Dabei wurde der Verweis auf Natur oder die natürliche Ordnung schon vor-aufklärerisch dazu genutzt, diverse Verhaltensweisen, aber auch Erscheinungsformen menschlichen wie tierischen Lebens als „wider die Natur“ gerichtet zu be- oder gar zu verurteilen; dazu zählen vor allem Sexualpraktiken (etwa gleichgeschlechtlicher Art, aber auch bestimmte Stellungen beim heterosexuellen Geschlechtsakt), aber auch Formen der körperlichen Missbildung bei Mensch und Tier. Hier grenzt dann das Widernatürliche, ja, Dämonische, direkt an das Übernatürliche an, da beide in gewisser Weise „jenseits der Natur“ angesiedelt wurden.

Bei unserer diesjährigen Tagung wollen wir solchen Diskursen und Praktiken nachgehen, die sich direkt oder indirekt mit Natürlichem, Über- oder sogar Widernatürlichem befassten bzw. darauf zurückgeführt wurden, und zwar immer mit Blick auf Geschlechterdifferenzen, -ordnungen oder deren Überwindung.

Die Tagung bietet eine Plattform zur Präsentation und Diskussion aktueller Forschungsarbeiten und vernetzt Forscher:innen der unterschiedlichen wissenschaftlichen Karrierestufen.

Tagungsleitung
Prof. Dr. Antje Flüchter, Universität Bielefeld
Prof. Dr. Andrea Griesebner, Universität Wien
Prof. Dr. Michaela Hohkamp, Universität Hannover
Johannes Kuber, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Dr. Monika Mommertz, Universität Basel
Prof. Dr. Claudia Opitz-Belakhal, Universität Basel

Programm

Donnerstag, 29. Oktober 2022

16:00 Uhr: Tagungsbeginn mit Kaffee/Tee

17:00 Uhr: Begrüßung, Vorstellungsrunde und Einführung ins Thema

18:00 Uhr: Abendessen

19.30 Uhr: Key Note
Prof. Dr. Anna Becker, Universität Arhus (Dänemark): Natur und Geschlecht in der polit. Theorie der FNZ (Arbeitstitel)

danach gesellige Runde in der Denkbar

Freitag, 30. Oktober 2022

ab 08:00 Uhr: Frühstück

09:00 UHR PANEL I. RELIGION

Dr. Hannah Elmer, Universität Hannover: Leben an der Grenze zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen: die Reanimationen in der Kapelle zu Oberbüren am Anfang der Frühen Neuzeit

Jessica Vollstädt M.A., Freiburg/Njimwegen: Jeanne d’Arc – widernatürliche Kreatur in Männerkleidern oder geschlechts- überwindende Prophetin Gottes?

11:00–11.30 Uhr: Kaffee/Tee

Tanita Schmidt M.A., Universität Kassel: „[...] daß sie nicht schon ein Himmel für uns ist“ – Naturerfahrung als Geschlechterbeziehung bei J. F. W. Herbst

12:30 Uhr: Mittagessen

15:00 UHR PANEL II. EMOTIONEN

Anne Sauder M.A., Universität des Saarlandes: Über die Natur der weiblichen Liebe in der venezianischen Querelle des Femmes und vor dem Sant’Uffizio, 1580–1620

Aline Vogt, Universität Basel: Tierische Beziehungen: Mitleid und Geschlecht in der französischen Aufklärung

17:00–17.30 Uhr: Kaffee/Tee

Mag. Stephanie Rieder-Zagkla, BA, Universität Wien: Sexualpraktiken „wider die Natur“ im Fokus von Scheidungsverfahren vom ausgehenden 18. bis ins 19. Jahrhundert

18:30 Uhr: Abendessen danach gesellige Runde in der Denkbar

Samstag, 31. Oktober 2022

ab 08:00 Uhr: Frühstück

09:00 UHR PANEL III. REPRÄSENTATION

Florian Kehm M.A., Universität Mainz: Natürlichkeit und Widernatürlichkeit der Geschlechter in Fernreiseberichten des 15. und 16. Jahrhunderts

Sina Menke, M.A., Philipps Universität Marburg: Natur und Übernatürlichkeit in der Konstruktion von Geschlecht in Utopien frühneuzeitlicher Philosophinnen

11:00–11.30 Uhr: Kaffee/Tee

Dr. Imke Lichterfeld, Universität Bonn: Natürliche Tiere – Übernatürliche Hexen. Macbeth 2021

12.30 Uhr: Schlussdiskussion

13.00 Uhr: Mittagessen

Organised by
AK Geschlechtergeschichte der Frühen Neuzeit

Veranstaltungsort

Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart – Tagungszentrum Hohenheim
Paracelsusstraße 91
70599 
Stuttgart

Kosten

CHF 0.00