Im September 2006 haben die Bernerinnen und Berner über die Reform der dezentralen Verwaltung abgestimmt. Damit wird die Gliederung des Kantons Bern in den Regierungsstatthaltern unterstellten Amtsbezirken einschneidende Veränderungen erfahren. Die Lizentiatsarbeit befasst sich mit den Oberamtmännern, die den Amtsbezirken 1803–1831 vorstanden, und entstand im Auftrag des Vereins der bernischen Regierungsstatthalterinnen und -statthalter anlässlich des 200- Jahre-Jubiläums der Regierungsstatthalterämter. Erkenntnisleitend ist die Frage nach Wandel und Kontinuität im institutionellen und personellen Bereich. Verwaltungsreform und Elitenwechsel werden dabei als sich gegenseitig beeinflussende Aspekte der Modernisierung verstanden. Als theoretische Grundlage dient Max Webers Idealtypus der Bürokratisierung. Wichtige Quellen sind die Amtsberichte der Oberamtmänner an die Regierung. Nach 1813 liegen sie nur noch vereinzelt vor und wurden durch „Zuschriften der Amtsbezirke“ ersetzt. Dabei handelt es sich um gemischte Schreiben der Oberamtmänner an den Geheimen Rat. Für eine Prosopographie stützt sich die Arbeit in erster Linie auf die Regimentsbüchlein. Darüber hinaus wird auf verschiedene gedruckte und ungedruckte Quellen zurückgegriffen, die teils autobiographische Aufzeichnungen enthalten. Die Überlegungen zu einem Generationenwechsel unter den Beamten basieren auf dem inzwischen weiterentwickelten Generationenmodell Karl Mannheims.
Berner Verwaltungsgeschichte und administrativ- politische Eliten zwischen 1803 und 1831 sind bisher dürftig erforscht. Die Oberamtmänner der Mediation und Restauration werden in der Literatur mehrheitlich als Nachfolger der Landvögte bezeichnet. Die 1803 neu eingerichtete Berner Bezirksverwaltung stützte sich aber auf die Einteilung in Amtsbezirke ab und übernahm damit das „französische Präfektursystem“ (Alfred Kölz). Bezogen auf die Aufgaben der Oberamtmänner im Finanz- und Rechtswesen und ihre Einkommensgestaltung erfolgte allerdings gegenüber den Errungenschaften der Helvetischen Republik von 1798–1803 ein Rückschritt.
Die Amtsberichte ermöglichen unter anderem Einblicke in praktische Probleme der Bezirksverwaltung, die von der Vergrösserung einzelner Amtsbezirke und dem Anschluss von Teilen des Bistums Basel überfordert war. Das konkrete Handeln der unkoordinierten dezentralen Verwaltung hing deshalb stark von der jeweiligen Persönlichkeit des Oberamtmanns ab. Weniger die Vorschriften der Regierung als die persönlichen Überzeugungen der Beamten (z. B. Gleichbehandlung aller als höchste Pflicht) förderten die formale Rationalität im Vollzug.
Tendenziell liberale Beamte wie der von Johann Gottlieb Fichte begeisterte Albrecht Friedrich May waren aber selten. Gäste und Mitglieder der Ökonomischen, Helvetischen und Schweizerisch gemeinnützigen Gesellschaft stellten nicht nur eine Minderheit unter den Oberamtmännern. Sie waren ausserdem bei der Wahl zum Oberamtmann durchschnittlich zehn Jahre älter als die übrigen Beamten. Beim Übergang von der Helvetik zur Mediation fand 1803 eine Auswechslung der grösstenteils nichtpatrizischen Distriktsstatthalter durch konservative Patrizier statt, die sogleich Spitzel anwarben und jegliche Opposition zu unterdrücken suchten. Einheimische oder „Aufsteiger“ kamen im untersuchten Zeitraum nur in abgelegenen Amtsbezirken zum Zug.
Die These von einem Generationenwechsel in den Führungsschichten der Restauration kann für die Berner Oberamtmänner nicht bestätigt werden. Auf die „Generation, die das Ancien Régime getragen hatte“, (Christian Simon) folgte nicht eine aufgeschlossene Generation, „die mit der Revolution herangewachsen war und unter den Freiheitsbäumen getanzt hatte“ (Georges Andrey). In Aufzeichnungen jüngerer Oberamtmänner erscheint die Revolution von 1798 mit der Ermordung von Offizieren durch die eigenen Truppen als traumatisches Erlebnis. Jugendliche Patrizier des Jahres 1798 wie der spätere Oberst Rudolf Emanuel Effinger betrieben als Oberamtmänner mindestens so eifrig politische Repression wie ihre älteren Kollegen. Anstelle eines Generationenwechsels erfolgte 1831 ein ähnlich markanter Wechsel wie 1798 und 1803: Bis 1833 wechselten die Liberalen sämtliche ehemaligen Oberamtmänner aus. 1835 befand sich noch ein Patrizier unter den 28 Regierungsstatthaltern. Die neue Verfassung teilte die Funktion des Oberamtmanns auf Regierungsstatthalter und Gerichtspräsident auf (Gewaltenteilung).
Daniel Flückiger, Benjamin Steffen, Christian Pfister: Repräsentanten der Obrigkeit – volksnahe Vermittler. 200 Jahre Regierungsstatthalter im Kanton Bern, in: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 68, Heft 1, 2006, S. 1-62.