Der um 1500 in der Gegend von Strassburg bekannte Begriff Karsthans bezeichnete den Typus des ehrbaren Bauern. Mit der zu Beginn des Jahres 1521 in der freien Reichsstadt gedruckten anonymen gleichnamigen Flugschrift wurde die Metapher über die Grenzen des Elsasses hinausgetragen. „Karsthans“ gilt als erste volkssprachliche Dialogflugschrift schlechthin. Noch im gleichen Jahr wurde „Karsthans“ in sechs weiteren, zumeist süddeutschen Städten nachgedruckt. Die insgesamt zehn Auflagen lassen auf eine aussergewöhnlich grosse Nachfrage schliessen. Die Mehrzahl der zum Traktat gehörenden Titelholzschnitte zeigen einen mit einem Karst (Erdhacke) ausgestatteten Bauern, Karsthans, der im Laufe des Gesprächs seine profunde Bibelkenntnis unter Beweis stellt und sich klar zur neuen Lehre bekennt. Gestützt auf Luthers Reformationsschriften des Jahres 1520, insbesondere jener an den „christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen Standes Besserung“, war der ursprüngliche Begriff umkodiert worden, die Metapher wurde innert kürzester Zeit nahezu als Synonym für den gewitzten reformatorisch gesinnten gemeinen Mann gebraucht. Propagandistisch wurde sie nutzbar gemacht, um Luthers Ideen zu verbreiten.
In der in vier Teile gegliederten Lizentiatsarbeit werden in erster Linie die 28 Flugschriften (83 Ausgaben) untersucht, in denen die Figur des Karsthans’ vorkommt. Der Herkunft des Begriffs wird nachgegangen, dessen zeitliche und regionale Verbreitung aufgezeigt und die Umkodierung analysiert.
Der erste Teil geht auf die Flugschrift „Karsthans“ ein. Entstehung, Rezeption und Inhalt werden in den Kontext von Strassburger Humanistenmilieu und öffentlich ausgetragener Kontroverse zwischen Luther und seinem Kontrahenten Murner gesetzt. Im fiktiven Gespräch mit dem Franziskanermönch Thomas Murner, einem der scharfsinnigsten Gegner Luthers, und seinem Sohn, einem Theologiestudenten, greift der Bauer die hierarchisch gegliederte Kirche und die Geistlichkeit an, nicht ohne seine Kritik mit reformatorischem Gedankengut plausibel abzustützen. Gleichzeitig verteidigt Karsthans als Dorfvogt kommunale Werte (Frieden und Gemeinen Nutzen), Voraussetzungen für das Funktionieren der genossenschaftlich organisierten Gemeinde. Die beiden Referenzsysteme lassen die Synthese von Evangelium und Kommunalismus zur Gemeindereformation erahnen. Sie wurde nach 1521 zwischen Strassburg, Basel und Augsburg verbreitet eingefordert. Die Analyse zeigt, dass die meisten Nachdrucke in eben diesem geographischen Raum hergestellt wurden, die reformatorische Bewegung an den Druckorten weit fortgeschritten war und die obrigkeitliche Zensur Nachdrucke nicht verhinderte.
Der in „Karsthans“ definierte Bauerntypus tauchte differenzierter oder abgeändert im gleichen Jahr in weiteren Flugschriften auf. Eine zentrale Rolle spielt er in „Neukarsthans“ (2 Ausgaben), wo der gemeine Mann ein Widerstandsrecht reklamiert und nicht davor zurückschreckt, der neuen Lehre gewaltsam zum Durchbruch zu verhelfen. Auf dem Titelholzschnitt der „Göttlichen Mühle“ (5 Ausgaben) ist der Bauer statt mit einem Karst mit einem Flegel ausgestattet, mit einem Gerät, das nicht nur am Anfang einer Reihe von Arbeitsschritten zur Herstellung von Brot (Evangelium) stand, sondern Aufständischen damals auch als Waffe diente. Die Darstellung lässt sich als Angriff auf die römische Kurie interpretieren, Karsthans in dieser Sichtweise als Revolutionär. Im „Dialog zwischen einem Pfarrer und einem Schultheiss“ (17 Ausgaben) gelingt es dem Typus des reformatorisch gesinnten Bauern, den altgläubigen Dorfgeistlichen von Luthers Ideen und der Pfarrerwahl durch die Gemeinde zu überzeugen. Eine Reihe von weiteren Flugschriften erinnerte bis 1525 an diesen Typus, zwei Prediger bedienten sich der Metapher als Pseudonym. Der plötzliche Aufstieg des Begriffs kann als kometenhaft bezeichnet werden, er war ab Beginn des Jahres 1521 aussergewöhnlich stark präsent.
Der Boom der von reformatorischer Seite durchwegs positiv gezeichneten Figur des Karsthans’ hielt bloss ein knappes Jahr an, um sich danach praktisch für immer zu verabschieden. Die zeitliche Beschränkung mag durch verschiedene Schriften, nicht zuletzt aus dem eigenen Lager, verursacht worden sein, namentlich aus der „Vermahnung sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung“. In der Schrift bringt Luther zwar für die Nöte des gemeinen Mannes Verständnis auf, vertritt gleichzeitig jedoch in aller Deutlichkeit die Meinung, dass der Reformation nicht mit Gewalt zum Durchbruch verholfen werden könne. Allen Karsthansen, Identifikationsfigur für den gemeinen Mann, ruft er darin die Gehorsamspflicht den Obrigkeiten gegenüber in Erinnerung. Das Edikt von Worms stellte ausserdem die reichsrechtliche Grundlage dar, um die neue Lehre zu verhindern. Im Anschluss daran entstanden landesherrliche Mandate, welche reformatorische Aktivitäten einschränkten oder unter Strafe stellten. Auch der in „Karsthans“ direkt angegriffene Thomas Murner holte zum Gegenschlag aus, als er 1522 seinen „grossen lutherischen Narren“ drucken liess. Die beissende Satire gegen den Reformator ist eine Abrechnung, die auch Luthers Anhängern einschliesslich Karsthans galt.
Als Erklärung für die geographische Konzentration auf das Gebiet zwischen Strassburg, Augsburg und Basel bieten sich die auf diese Region beschränkte Verbreitung des Begriffs „Karst“ (Erhebung über Wörterbücher) und der im süddeutschen Raum hochentwickelte Kommunalismus an.