Academic writing genre
PhD thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Monika
Dommann
Codirection
Straumann Tobias
Institution
Historisches Seminar
Place
Zürich
Year
2021/2022
Abstract
Die Dissertation hat die Konjunkturbeobachtung als öffentliche Praxis und ihre politische und gesellschaftliche Bedeutung zum Gegenstand. Die Dissertation geht dabei der Frage nach, weshalb die Konjunkturbeobachtung in der Schweiz zu Beginn der 1980er Jahren zu einer staatlichen Aufgabe institutionalisiert wurde und untersucht dazu die Funktion, welche die Konjunkturbeobachtung in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zugewiesen bekam und wie sich diese in der Praxis im Laufe der Zeit wandelte.
Ausgehend von der These, dass die Erforschung der Konjunktur in Reaktion auf die Dynamisierung des Kapitalismus und der damit einhergehenden Krise des klassisch-liberalen Ordnungsverbunds entstand, argumentiert die Dissertation, dass die Konjunkturbeobachtung in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive untersucht werden muss, welche insbesondere die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Zeit berücksichtigt. Wie das Beispiel der öffentlichen Konjunkturbeobachtung in der Schweiz zeigt, diente diese in der Weltwirtschaftskrise zunächst der Legitimation der Krisenpolitik des Bundes und der Schaffung einer einheitlichen Konjunkturmeinung zur Stabilisierung der politischen Lage. In den Nachkriegsjahrzehnten wandelte sich die Konjunkturbeobachtung in der Schweiz zunehmend zu einer gesamtgesellschaftlichen Deutungspraxis, welche die Funktion einer historiographischen Einordnung des wirtschaftlichen Wandels und der grossen Dynamisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse übernahm. Die unerwartete Nachkriegsprosperität zeitigte eine Pluralisierung der Einordnungsversuche und einer Polarisierung ebendieser in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das Ringen um die Deutungshoheit über die Konjunktur beeinträchtigte in den 1960er und zu Beginn der 1970er Jahren zunehmend die Handlungsfähigkeit des Schweizer Bundesstaats. Die Konjunkturbeobachtung als wissenschaftliche Praxis bildete dabei immer öfter ein Gegenstand politischer Debatten, wobei ihr Objektivitätsanspruch infrage gestellt wurde. Als die infolge der Wirtschaftskrise von 1975 versuchshalber eingesetzte, unabhängige Expertengruppe zur Beurteilung der Wirtschaftslage ihrerseits unter politischem Druck geriet, beschloss die Bundesverwaltung aufbauend auf den Konjunkturartikel von 1978 ihre eigenen Organe der Konjunkturbeobachtung mit der Beurteilung der Schweizer Wirtschaftslage zu beauftragen. Mit diesem Schritt stellte die Bundesverwaltung eine Übereinstimmung zwischen konjunkturpolitischer Handlungsabsicht und Konjunkturbeschreibung sicher, die eine situativ spezifische Legitimation der Regierungspolitik ermöglichte und welche insbesondere die Meinungspluralität innerhalb der Bundesverwaltung reduzierte. Die «Koordination der Konjunkturbeobachtung», wie der Auftrag des Bundesgesetz für Konjunkturbeobachtung konkret lautete, hatte dabei nicht primär eine im wissenschaftlichen Sinne möglichst wahrheitsstreue Abbildung und Deutung der Konjunktur zum Ziel, sondern eine im politischen Sinne möglichst mehrheitsfähige Darstellung ebendieser.