ehe wehe - Paare vor Gericht. 1831–1837

AutorIn Name
Nina
Kleiner
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Joachim
Eibach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2008/2009
Abstract


Mithilfe des überlieferten Aktenmaterials, in diesem Fall die Sittengerichtsprotokolle der Stadt Bern, ist es möglich, in den nur schwer zugänglichen häuslichen Bereich hineinzuschauen. Die Studie ist im Hinblick darauf entstanden, anhand von Gerichtsakten die Krise der Ehe auf ihre Ursachen hin zu erforschen und daraus Erklärungen für die Beziehungsproblematiken zu erschliessen. Mann und Frau als Paar standen im Zentrum des Interesses und mit ihnen die Frage nach der Ausgestaltung ihrer Beziehung zueinander sowie der Verteilung ihrer Rollen. Das Ziel der Arbeit war es, durch die Rekonstruktion von Fallstudien das ‚Allgemeine‘ aufzuspüren.

Der zeitliche Rahmen der vorliegenden Untersuchung – die 1830er Jahre – stellt einen besonderen Untersuchungszeitraum dar. Für die sognannte „Sattelzeit“ sind politische und wirtschaftlich aber auch gesellschaftliche und ideologische Umwälzungen charakteristisch. Von besonderem Interesse war es daher, die Ehekonflikte in ihren Kontext einzubetten und gleichzeitig den Fokus auf ihre Vielschichtigkeit zu richten. Konkret klärt die Studie folgende Fragen: Worin lagen die Schwierigkeiten ehelicher Lebensgemeinschaften im Bern der 1830er Jahre auf politischer, rechtlicher, sozialer und kultureller Ebene? Welche Haltung nahm das Gericht ein und wie ist diese zu verstehen?

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile, wobei der erste den kontextuellen Rahmen und der zweite den empirischen Teil darstellt. Letzterer bildet das Herzstück der Studie, er präsentiert die Auswertung der Analyse, erklärt, vergleicht und interpretiert deren Resultate. Methodisch wurde das Thema ‚Mann und Frau vor Gericht‘ auf zwei Ebenen angegangen. In einem ersten Schritt wurden die Ehegerichtsakten des Sittengerichts der Stadt Bern von 1831 bis 1837 einer quantitativen Auswertung unterzogen, wobei unter anderem folgende Fragen leitend waren: Wer trat vor das Sittengericht? Welche Themen wurden vor Gericht verhandelt bzw. welche Klagegründe wurden genannt? Was erhofften sich die klägerischen Parteien vor Gericht? Der zweite Schritt bestand darin, anhand der gewonnenen Erkenntnisse für die weitere Verfahrensweise Schwerpunkte zu setzen. Näher untersucht wurden die in den Gerichtsakten gut dokumentierten Themen ‚Gewalt in der Ehe‘, ‚Haushaltspflichten‘ sowie ‚Ehebruch‘.

Die qualitative Analyse dieser drei Themen brachte die Vielschichtigkeit der Beziehungsproblematiken deutlich zum Vorschein. Der Versuch, die Strukturen von Ehekonflikten freizulegen, brachte drei Ebenen ans Licht, die sich als Kernstücke der Beziehungsproblematiken offenbarten. Erstens kann festgehalten werden, dass die ökonomische Situation der Ehepaare mit wenigen Ausnahmen entscheidender Auslöser der Zerwürfnisse war. Weiter konnte dargelegt werden, dass Ehekonflikte zweitens aus den normativen Geschlechterkonzepten, die je bestimmte Rollen für den Mann und für die Frau vorsahen, resultierten. Drittens zeigte sich, dass die subjektiven Erfahrungen der vor Gericht erschienenen Frauen und Männer mit konventionellen Normen konfligierten.

Die Ergebnisse der Quellenauswertung führen zur Schlussfolgerung, dass die Männlichkeit in Bern zwischen 1831 und 1837 – zumindest in den unteren Schichten – in einer Krise steckte. Augenfälligstes Indiz stellt dabei der von Seiten der Gattinnen vorgebrachte Klagepunkt ‚vernachlässigte Haushaltspflichten‘ dar, welcher die Männlichkeit ihrer Gatten deutlich in Frage stellte. Gemäss den normativen Regeln war es Aufgabe des Mannes, für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Steckte die Ökonomie einer Familie in der Krise, konnte die Frau den Mann wegen Vernachlässigung seiner Haushaltspflichten anklagen.

Die Tatsache, dass die Berner Akten die Krise der Ehe ziemlich einseitig als ‚Männlichkeitskrise‘ widerspiegeln, deutet darauf, dass ein Umbruch beim männlichen Rollenbild besonders virulent wurde. Das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass sich auch die Frauenrolle, und vor allem die Beziehung von Mann und Frau in einem Umbruch befanden. Das Zusammenwirken der drei aufgezeigten Konfliktebenen erfasste das Beziehungsmodell und brachte die Geschlechterordnung ins Wanken. Durch das Auseinanderklaffen der klassisch-normativen Ansprüche (Ernährer) und der sozialen Realität (Frauen als Miternährerinnen) gerieten die Berner Männer in einen Legitimationsnotstand, in dessen Folge die Frauen eine Anpassung der Rollenund Machtverhältnisse an die ökonomische Realität forderten. Genau diese schwierigen Momente ehelicher Beziehungen werden in den Sittengerichtsprotokollen festgehalten. Die aufgezeichneten sittengerichtlichen Verhandlungen und das Eherecht im Zivilgesetzbuch für den Kanton Bern von 1824, sowie vor allem die darin enthaltenen normativen Erläuterungen, zeichnen einen Wandel bei den Geschlechterrollen und Beziehungsidealen ab, der in Richtung eines ‚romantischeren‘ und partnerschaftlicheren Modells ging.

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