Du das leuchtende Vorbild des Optimismus“. Die Reklame aus der Sicht der Reklamefachleute 1916-1939. Ein Beitrag zur produzentenorientierten Geschichte der Schweizer Werbung in der Zwischenkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des Fip-Fop-Clubs von Nestlé

AutorIn Name
Alexis
Matthey
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2002/2003
Abstract

Seit einigen Jahren wurde die Geschichte der Werbung unter verschiedenen Gesichtspunkten thematisiert. Als „Werbegeschichte“ hat sich insbesondere die als Mentalitätsgeschichte angelegte Forschungsrichtung etabliert, welche Form und Botschaft der Werbemittel in Bezug auf ihre historisch bedingte Variabilität ausdeutet. Weniger Beachtung fanden bis dahin die Werbeproduzenten. Im Bereich der hier im Zentrum stehenden geschäftlichen Werbung wurde der Weg vom Auftraggeber zum Zielpublikum immer feiner abgestuft, als die berufliche Ausdifferenzierung unter den Werbeproduzenten zunahm. Als besonders wichtiges Moment dieses historischen Prozesses greift diese Arbeit das Aufkommen der Reklamefachleute heraus, die sich in den 1920er Jahren zwischen den auftraggebenden Unternehmen und den grafischen beziehungsweise drucktechnischen Ausführenden einschalteten. Auf veränderte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg reagierten die an der „Reklame“ interessierten Kreise mit entsprechenden Anpassungen, die ihre Nachwirkungen auf das institutionelle Gefüge und das berufliche Umfeld der Werbetätigkeit zeigten. Die Arbeit zeichnet diese Änderungen mit drei thematischen Schwerpunkten nach: Erstens bietet sie eine international vergleichende Übersicht der neueren Forschungsergebnisse zur produzentenorientierten Geschichte der Werbung in der Zwischenkriegszeit. Zweitens schildert sie die Entstehungsgeschichte der drei wichtigen Berufsverbände Schweizerischer Reklame-Verband (1925), Fédération romande de publicité (1928) sowie Bund Schweizerischer Reklameberater (1935) und greift einige besonders relevante Aspekte der damaligen Fachliteratur heraus (das Verhältnis von Kunst und Werbung, die Ausbildungsfrage und die Rolle der Frauen als Produzenten, Zielgruppe und Bildmotive). Drittens stellt sie die organisatorische Eingliederung der Werbeabteilung im Unternehmen und die Umsetzung der Werbekonzepte in die Praxis am Fallbeispiel des Fip-Fop-Clubs von Nestlé dar. Der Kinderklub um die zwei Werbefiguren Fip und Fop war eine langjährige, in vieler Hinsicht ausserordentliche Werbekampagne (1936–1959) zugunsten der Schokoladenmarken Nestlé, Peter, Cailler und Kohler. Der Fip-Fop-Club richtete sich an alle Kinder im Alter zwischen fünf und 15 und umfasste neben Filmvorführungen, einer Klubzeitung, Bildermarken und dazugehörenden Sammelalben auch diverse Jugendveranstaltungen, die im Rahmen des Zweiten Weltkriegs einen gemeinnützigen Anstrich im Sinne der Geistigen Landesverteidigung bekamen. Am Höhepunkt seiner Aktivität zählte der Klub im Jahr 1950 120.000 Mitglieder der französischen, deutschen und italienischen Schweiz.

 

Ausgewertet wurden Artikel von schweizerischen Fachzeitschriften aus den Jahren 1919 bis 1940, zeitgenössische Werbeliteratur, Verbandsmaterialien und Archivquellen der Firma Nestlé. Das Bindeglied zwischen der institutionellen Geschichte der Schweizer Werbebranche und dem Fallbeispiel Fip-Fop-Club stellt die Person des Werbeleiters Karl Lauterer dar. Karl Lauterer (1878–1977) rief 1916 erstmals zu einem Zusammenschluss der Reklameinteressenten in der Schweiz auf und spielte sowohl in publizistischer Hinsicht als auch in den Berufsverbänden eine vorrangige Rolle. Als verantwortlicher Werbeleiter der Firma Nestlé für den Schweizer Markt war er 1936 der Gründer des Fip-Fop-Clubs, in welchem er den Kindermitgliedern gegenüber zugleich die zentrale Figur des „Götti“ verkörperte.

 

In der Zwischenkriegszeit können in der Geschichte der Schweizer Werbung drei Phasen ausgemacht werden. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte im Geschäftsleben in starker Anlehnung an die USA eine Umorientierung zur „wissenschaftlichen Betriebsführung“ hin. Die von selbsternannten Fachleuten organisierte Reklame gehörte demnach zu den Mitteln, mit denen der Währungskrise von 1921–1923 begegnet werden sollte, die irrtümlicherweise als reine Absatzkrise interpretiert wurde. Als Bezugspunkte dieser positivistischen Phase (1916–1924) dienten die Rationalisierungsbewegung und der Verweis auf die schöpferisch-künstlerischen Seiten der Werbetätigkeit. Letzterer sollte die gesellschaftliche Akzeptanz der aufgrund ihrer „Auswüchse“ vielfach in Verruf geratenen Reklame in unternehmerischen und bildungsbürgerlichen Kreisen fördern. In der folgenden Phase der Konsolidierung und Verwissenschaftlichung (1924–1935) fiel die eigentliche Institutionalisierung der Schweizer Werbebranche. Auf theoretischer Ebene wurde die Werbelehre verfeinert und deren bis heute gültiges Begriffssystem festgelegt. Mit der Forderung nach „planmässiger Reklame“ wurden Künstler zu blossen Hilfskräften der betriebsangehörigen Reklameleiter und unabhängigen Reklameberater degradiert. Die Psychologie und die Psychotechnik wurden zu den zentralen Hilfswissenschaften der Reklametätigkeit, während das amerikanische Modell nach 1929 vorübergehend verblasste. In der dritten Phase der Ernüchterung (1936–1940) wandte man sich von verallgemeinernden Werbekonzepten ab und der Marktforschung zu, was mit einer stärkeren Zielgruppenorientierung einherging. Die politisch-geistige Komponente der Werbung trat gegenüber der rein kommerziellen vermehrt in den Vordergrund.

 

Wie in den Nachbarländern war die Professionalisierung der Schweizer Werbebranche eine Antwort auf neue Aufgaben, die ihren vollkommensten Ausdruck in der Etablierung der Reklameberater als neuem Berufsstand fand.

Access to the work

Library

Academic works are deposited in the library of the university where they originated. Search for the work in the central catalogue of Swiss libraries