Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Gerlach
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract
In der Masterarbeit Die West-Ost-Migranten im geteilten Deutschland wird der Einfluss von sozialen Netzwerken auf die West-Ost-Migration im geteilten Deutschland der fünfziger Jahre untersucht. Dadurch wird ein Beitrag zur Erforschung der bis anhin wenig erforschten West-Ost-Migration geleistet, der eine neue Perspektive auf diese Migrationsbewegung bietet. Für die Analyse des Einflusses von sozialen Netzwerken auf die West-Ost-Migration wird auf Quellen der Abteilung Innere Angelegenheiten der DDR zurückgegriffen. Im Zentrum stehen dabei die als semi-staatliche Institutionen konzipierten Komitees zur Organisierung der Rückkehr von ehemaligen DDR-Bürgern. Die Analyse dieser Komitees zeigt, wie der Staat die sozialen Netzwerke von Migranten für seine migrationspolitischen Ziele nutzen wollte und wie die sozialen Netzwerke und die Migranten selbst darauf reagierten. Zusätzlich werden durch die Untersuchung dieser Komitees konkrete Hilfeleistungen erkennbar, welche die Migranten durch ihre sozialen Netzwerke erhielten und die zu einer erfolgreichen Migration beitrugen. Unter einer erfolgreichen Migration wird eine dauerhafte Übersiedlung ohne erneute Abwanderung verstanden. Diese Hilfeleistungen erklären teilweise, wieso die Rückkehrer, die zwei Drittel aller West-Ost-Migranten ausmachten und deren Netzwerke im Osten stärker waren als jene der Erstzuziehenden, imVergleich zu diesen weniger oft von den Behörden abgewiesen wurden und auch seltener wieder in den Westen abwanderten. Auch der Einfluss von sozialen Netzwerken auf die Rückkehrbereitschaft bestimmter Gruppen unter den Rückkehrern wird durch eine solche Untersuchung sichtbar.
Die verschiedenen Formen von Hilfeleistungen, die West-Ost-Migranten durch ihre sozialen Netzwerke erhielten und die dazu beitrugen, dass eine Migration erfolgreich verlief, veränderten sich teilweise parallel zu den migrationspolitischen Rahmenbedingungen. Über den gesamten Zeitraum von 1953 bis 1961 scheiterten viele Migrationsversuche am fehlenden Wohnraum oder an der schlechten Wohnraumqualität. Vor diesem Hintergrund war die Möglichkeit, vorübergehend bei Verwandten oder Bekannten unterzukommen, bis die Migranten selbst eine Wohnung zugeteilt bekamen, eine wichtige Form der Hilfeleistung, die eine erfolgreiche Migration begünstigte. Mit der Einführung von Aufnahmestellen an der Grenze zur BRD 1955 und der 1957 folgenden Weisung, dass von dort alle Migranten in ein Aufnahmelager für Migranten eingewiesen werden sollten, wurden Formen von Hilfeleistungen wichtiger, die dazu beitrugen, die Überprüfung in den Aufnahmestellen und Aufnahmelagern zu umgehen. Als 1957 mit dem Erlass des Passgesetzes die Emigration aus der DDR stärker kriminalisiert wurde und dafür bis zu drei Jahre Haft drohten, wurde für zuvor illegal ausgewanderte DDR-Bürger die Information darüber, mit welchen rechtlichen Konsequenzen sie im Falle einer Remigration rechnen mussten, zunehmend wichtiger. Über Bekannte oder Verwandte konnten Rückkehrer abklären lassen, ob sie straffrei zurückkehren konnten, bevor sie sich zu einer Remigration entschieden.
Die sozialen Netzwerke von West-OstMigranten beeinflussten in Kombination mit den migrationspolitischen Rahmenbedingungen die Rückkehrbereitschaft von bestimmten Gruppen unter den Rückkehrern. Als durch die Implementierung des Passgesetzes die Emigration erschwert und gleichzeitig die Besuchsreisen zwischen den beiden deutschen Staaten eingeschränkt wurden, hatte dies Konsequenzen für die Rückkehrbereitschaft von Jugendlichen und Familien, die sich im Prozess einer Kettenmigration befanden. Unter Kettenmigration wird ein Prozess verstanden, bei welchem zuerst Pioniermigranten auswandern, um eine Wohnung und Arbeit zu suchen und dann ihre Familie nachzuholen. Als durch die Implementierung des Passgesetzes der Nachzug der Familie erschwert wurde, hatte dies zur Folge, dass einige Pioniermigranten sich zu einer Remigration entschieden. Für die Gruppe der Jugendlichen, die nicht beabsichtigten, ihre Familie nachzuholen, waren die erschwerten Bestimmungen für Besuche im jeweils anderen Deutschland ausschlaggebend dafür, dass sie die Vor- und Nachteile einer Migration neu bewerteten. Für einige Jugendliche überwogen unter den neuen Bedingungen die Vorteile (Verdienstmöglichkeiten) nicht mehr die Nachteile, die in der Trennung von der Familie und anderen sozialen Netzwerken bestanden, und sie entschieden sich, in die DDR zurückzukehren.