Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Brigitte
Studer
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2013/2014
Abstract
Die so genannte „Heiratsregel“ führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Staaten dazu, dass Frauen, die einen Ausländer heirateten, ihre bisherige Nationalität verloren und die Staatsangehörigkeit ihres Ehemannes erhielten. Die negativen Folgen dieser Praxis zeigten sichinsbesondere während des Ersten Weltkriegs, als ehemalige Staatsangehörige in ihrer früheren Heimat als feindliche Ausländerinnen interniert oder ausgewiesen wurden. Aus diesem Grund begannen sich zahlreiche nationale und internationale Frauenorganisationen für die Abschaffung der Heiratsregel einzusetzen. Die Reformbemühungen führten dazu, dass Frankreich 1927 ein Optionsrecht einführte, welches einund ausheiratenden Frauen die Wahl zwischen ihrer bisherigen und der Nationalität ihres Mannes ermöglichte. In der Schweiz wurde eine entsprechende Regelung erst im Bürgerrechtsgesetz von 1952 verabschiedet.
An diesem Punkt setzt die Masterarbeit an und vergleicht die Reformbemühungen der französischen und schweizerischen Frauenorganisationen zwischen 1914 und 1941. Neben dem Vergleich der AkteurInnen, ihren Strategien, Zielen und Argumenten gilt die Aufmerksamkeit auch der Einbettung der nationalen Reformkampagnen in die Anstrengungen der internationalen Frauenbewegung, die Nationalität verheirateter Frauen mit Hilfe einer Völkerbundskonvention zu regeln.
Die Studie zeigt, dass sich in beiden Ländern hauptsächlich reformorientierte, „fortschrittliche“ Frauenorganisationen und feministische Juristinnen für die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts einsetzten. Während sich an der französischen Reformkampagne bereits während des Ersten Weltkriegs zahlenmässig grosse Frauenverbände und zahlreiche Direktbetroffene beteiligten, blieb die Abschaffung der Heiratsregel in der Schweiz bis Ende der 1920er Jahre selbst in der Frauenbewegung ein Minderheitsanliegen, so dass die Forderung von den Behörden leicht ignoriert werden konnte.
Aufgrund ihrer fehlenden politischen Rechte konnten sich die Frauenrechtlerinnen nicht direkt am Gesetzgebungsprozess beteiligen, sondern mussten sich auf das Lobbying von aussen beschränken. Die französischen Aktivistinnen und vom Nationalitätsverlust betroffene Frauen führten eine intensive Pressekampagne durch und setzten sich bei Parlamentariern für die rasche Einführung des Optionsrechts ein. Anhand der Schicksale einzelner Betroffener zeigten sie die negativen Folgen des Nationalitätsverlusts auf. Der Hinweis auf den Patriotismus und die Leistungen französischer Frauen während des Ersten Weltkriegs verschaffte dem Anliegen zusätzliche Legitimität. Die schweizerischen Frauenorganisationen dagegen schienen Presse und Öffentlichkeit wenig Bedeutung zugemessen zu haben. Sie beschränkten sich weitgehend auf Petitionen an Bundesräte und Verwaltungsbeamte, um die Staatsangehörigkeit der verheirateten Frau auf die politische Agenda zu bringen.
Feministinnen beider Länder setzten sich sowohl für nationale als auch für internationale Reformen im Staatsangehörigkeitsrecht ein. Die internationale Reformbewegung wurde genutzt, um den nationalen Forderungen mehr Legitimität zu verleihen. So dominierten nationale Interessen das Engagement der Frauenrechtlerinnen auf internationaler Ebene.
Die Analyse bestätigt den grossen Einfluss staatlicher bevölkerungspolitischer Ziele auf die Aufnahme der feministischen Reformforderungen. Wegen der weit verbreiteten Besorgnis über die „Entvölkerung“ Frankreichs durch niedrige Geburtenraten und die kriegsbedingten Verluste hatten Politik und Gesellschaft grosses Interesse daran, ausheiratende Frauen und deren zukünftige Kinder im Staatsverband zu behalten. Die Argumente der Frauenrechtlerinnen stiessen deshalb auf grosses Echo. Die schweizerische Bevölkerungspolitik war hingegen stark von der problematisch eingeschätzten „Überfremdung“ der schweizerischen Gesellschaft durch ausländische Elemente geprägt. So zeigten sich Bundesräte und Beamte des EJPD wenig offen für die Anliegen ausheiratender Frauen. Im Gegenteil wurde die zuvor gewohnheitsrechtlich praktizierte Heiratsregel per Bundesratsbeschluss 1941 überhaupt erst kodifiziert.
Weder der schweizerischen noch der französischen Frauenbewegung gelang es in der Zwischenkriegszeit, die Gleichstellung in der Nationalitätsgesetzgebung zu verwirklichen. Die Regelungen über Einund Ausschluss in die nationale Gemeinschaft blieben auch in Frankreich von Geschlecht und Zivilstand abhängig. Dort wurde die ehemännliche Dominanz im Staatsangehörigkeitsrecht zwar aufgrund der bevölkerungspolitischen Interessen des Staates gelockert, am grundsätzlich abhängigen Rechtsstatus der Ehefrau wurde allerdings nicht gerüttelt.