Aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen sozialistische Ideenansätze zur Erziehung eines „Neuen Menschen“. Durch die „sozialistische Erziehung“ sollte – im Gegensatz zur herrschenden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft – eine neue Gesellschaftsordnung entstehen. Die konkrete Umsetzung des sozialistischen Erziehungskonzepts erfolgte erstmals ab 1908 durch die österreichischen „Kinderfreunde“. 1928 konstituierte sich in der Schweiz der „Landesverband der schweizerischen Kinderfreundeorganisationen“ LASKO in Anlehnung an das österreichische Vorbild. Der umfangreiche Quellenbestand des LASKO gelangte 1983/84 ins Archiv der Arbeiterjugendbewegung in Oer-Erkenschwick (D). Seit 1997 befindet er sich im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich und wurde im Rahmen dieser Lizentiatsarbeit zum ersten Mal erschlossen.
Die Arbeit untersucht die Theorie und Praxis der sozialistischen Erziehung im LASKO. Zeitlich beschränkt sie sich auf den Zeitraum 1928 bis 1953, also die ersten 25 Jahre. Sie präsentiert nach der Einleitung (Kapitel 1) die im LASKO rezipierten deutschen und österreichischen sozialistischen Erziehungskonzepte von Max Adler, Felix Kanitz und Kurt Löwenstein (Kapitel 2). Durch diese Analyse wird deutlich, auf welche Art und Weise via die sozialistische Erziehung der „Neue Mensch“ (Max Adler) erzogen werden sollte. Als Gegenpol zum bürgerlichen Umfeld (Vorstellung von Klassenkämpfen) sollte im Kreis der Kinderfreunde die sozialistische „Gemeinschaft“ realisiert werden. Im Anschluss an die Untersuchung der sozialistischen Erziehungskonzepte im deutschen Sprachraum fokussiert die Arbeit konkret den LASKO, die schweizerische Spielart der Kinderfreundebewegung. Zunächst interessiert dessen Entstehungsgeschichte (Kapitel 3), danach wird in Kapitel 4 die Organisationsstruktur des LASKO untersucht. Hervorzuheben ist einerseits die Trennung zwischen den Kinderfreunden (Elternorganisationen) und den Roten Falken (Kinder- und Jugendgruppen), andererseits die Grössenordnung der Bewegung (nach Ende des Zweiten Weltkriegs ca. 1’000 Mitglieder). Kapitel 5 analysiert die sozialistische Erziehungstheorie und die geistigen Einflüsse im LASKO. Trotz der Nähe zur sozialdemokratischen Partei und zur Arbeiterbewegung war der LASKO mehr als eine „Arbeiterpfadi“ und strebte eine ganzheitliche Erziehung an. Der LASKO sah sich selbst als nicht-neutrale Organisation, verfolgte Prinzipien der „Koedukation“ (gleichberechtigte Erziehung der Geschlechter) und antiautoritären Erziehung sowie eine „Gemeinschaft“ im Sinne der deutschen Pädagogin Anna Siemsen. Im Vordergrund stand keine parteipolitische Erziehung, sondern die Erziehung der Arbeiterkinder zu freien, selbständig denkenden Menschen.
Die praktische Umsetzung der „sozialistischen Erziehung“ wird in Kapitel 6 beschrieben. Die spezifischen Arbeiter- und Kinderfreundefeste dienten der Festigung des Klassengefühls. Das Weihnachtsfest wurde zur „Sonnwendfeier“, welche sich von religiösen Werten distanzierte und das Kommen des sozialistischen Zeitalters beschwor. In den von Kurt Löwenstein entworfenen, selbstverwalteten „Kinderrepubliken“ lernten die Kinder das Ideal der sozialistischen „Gemeinschaft“ leben und verstehen. Auch der LASKO probte auf diese Weise das demokratische Zusammenleben und entwarf dafür eine eigene „Lagerverfassung“. Kapitel 7 stellt die Frage nach der im LASKO betonten Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit, welche sich konkret im Ausbau von Theorie und Praxis der „sozialistischen Erziehung“ manifestierte. Die Helferschulung sowie die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Erziehungskonzept wurden intensiviert. Nachdem der Zweite Weltkrieg ein theoretisches und praktisches Brachland der Kinderfreundearbeit bedeutet hatte, präsentierte sich der LASKO in der vom Krieg weitgehend verschonten Schweiz 1946 als Gastgeber der „Sozialistischen Erziehungsinternationale“ SEI. In Kapitel 8 steht die vom LASKO herausgegebene sozialistische Kinderzeitschrift „Heio!“ im Mittelpunkt. Diese übte Kritik an aktuellen politischen Ereignissen, berief sich stets auf sozialistische Werte und Persönlichkeiten (etwa Karl Marx, Kurt Löwenstein) und kündigte sozialistische Feste (z.B. die 1.-Mai-Feier) an. Kapitel 9 analysiert die Selbstdarstellung des LASKO in den Jahresberichten, bevor in Kapitel 10 das Jahr 1953 als Zeitpunkt einer Standortbestimmung des LASKO betrachtet wird. Die Kinderfreundebewegung befand sich an einem „toten Punkt“ und war dringend auf neue Impulse angewiesen. Das Schlusskapitel fasst die Erkenntnisse der Lizentiatsarbeit thesenartig zusammen und stellt fest, dass sich in der Schweiz trotz der Nachkriegseuphorie im LASKO, ausgedrückt durch den Ausbau der Erziehungstheorie, das Konzept der sozialistischen Erziehung nicht durchzusetzen vermochte.