Diese Arbeit befasst sich mit der Verfolgung der „Asozialen“ unter nationalsozialistischer Herrschaft sowie der damit einhergehenden Rolle der Rassenhygieniker. Die Tatsache, dass Wissenschaftler massgeblich an der Formulierung und Implementierung nationalsozialistischer Politiken beteiligt waren, ist hinlänglich bekannt. Kontroversen bilden sich jedoch an der Frage heraus, inwieweit die wissenschaftliche Arbeit dieser Zeit als eigenständig und politisch unbeeinflusst gelten kann. Die tatsächliche Verantwortung der Rassenhygieniker wurde bisher vor allem im Bezug auf die Verfolgung „Fremdrassiger“ untersucht. Das Thema der Verfolgung „asozialer“ Menschen ist dagegen noch nicht sehr lange und intensiv erforscht. Anhand einer Analyse von rassenhygienischen Fachzeitschriften aus den Jahren 1904 bis 1945 wird der wissenschaftliche Diskurs im Bezug auf diese Opfergruppe, auch „Gemeinschaftsunfähige“ genannt, nachgezeichnet. Die Suche nach Kontinuitäten und Brüchen sowie ein Vergleich mit eugenischen Massnahmen im Ausland sollen Anhaltspunkte für die Frage nach einer Manipulation der Rassenhygiene liefern.
Der Begriff des „Asozialen“ bildete sich erst in den 30er Jahren als Überbegriff für Menschen heraus, deren Verhalten nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach. Viele der später als „Asoziale“ verfolgten Menschen wurden aber schon Anfangs des 20. Jahrhunderts als erblich „minderwertig“ bezeichnet. Vor allem Alkoholiker, Prostituierte und Verbrecher rückten in den Fokus der Rassenhygieniker. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die rassenhygienische Forschung dahin, unerwünschtes und normabweichendes Verhalten als erblichen psychischen oder geistigen Defekt zu definieren. Im Zusammenhang mit der Forderung nach der Sterilisierung dieser „Ballastexistenzen“ erschienen zahlreiche Studien, welche die „Asozialen“ unter einer der anerkannten Erbkrankheiten wie Schwachsinn, Epilepsie oder Schizophrenie zusammenfassten. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung konzentrierten sich die Rassenhygieniker vermehrt auf „asoziale“ Sippen und Grossfamilien und stellten damit die Verbindung zwischen erblicher und sozialer Minderwertigkeit her. Die rassenhygienischen Forderungen richteten sich ganz klar gegen die unteren sozialen Schichten und zielten in erster Linie auf eine breite Sterilisierungspolitik.
In diesem Diskurs lassen sich eindeutige Kontinuitäten feststellen. Der Kreis der Personen, denen eine moralische Minderwertigkeit oder eben „Asozialität“ nachgesagt wurde, veränderte sich kaum, nur die Art der Definition passte sich an. Die Forderung nach einer Sterilisierung dieser Personen tauchte bereits 10 Jahre vor der nationalsozialistischen Machtergreifung auf.
Eine eugenische Gesetzgebung wurde ausser in Deutschland auch in zahlreichen anderen, demokratischen, Ländern wie Schweden oder der Schweiz eingeführt. Die deutsche rassenhygienische Bewegung war programmatisch nicht von der internationalen verschieden. Der Unterschied ergab sich durch die radikale politische Umsetzung der geforderten Massnahmen durch die Nationalsozialisten.
Auf Grund der getätigten Untersuchung muss der Theorie einer Manipulation der rassenhygienischen Forschung durch die Politik widersprochen werden. Das Forschungspotenzial im Bezug auf diese Thematik ist jedoch noch nicht ausgeschöpft. Es wäre zum Beispiel informativ zu untersuchen, wie die deutsche rassenhygienische Bewegung im Ausland aufgenommen und beurteilt wurde. Auch die Suche nach Kontinuitäten und Brüchen in dieser Thematik nach 1945 würde weitere Ergebnisse liefern.
Die nationalsozialistische Verfolgung der "Asozialen" aus dem Blickwinkel der Rassenhygiene. Eine Suche nach Kontinuitäten, Brüchen und politischer Manipulation
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2009/2010
Abstract