Die Durchbruchsschlacht ist gewonnen“. Verkehrsgestaltung in der Stadt Bern um 1970. Planung und Politik im Banne umweltorientierter Einflüsse

AutorIn Name
Philipp
von Escher
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Christian
Pfister
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2001/2002
Abstract

Von den frühen 1970er Jahren an wandte sich die Bevölkerung wie in vielen Städten so auch in Bern unvermutet gegen die „autogerechte“ Verkehrsplanung, die dem lawinenartig anwachsenden motorisierten Verkehr lange Zeit immer mehr Prioritäten und Kapazitäten eingeräumt hatte. Im Ausland machte sich dieser Widerstand durch Proteste Luft, in der Schweiz durch die wiederholte Ablehnung entsprechender Vorlagen an der Urne. Das Ziel der Lizentiatsarbeit ist es, diese bedeutende umweltpolitische Weichenstellung am Beispiel der Stadt Bern aufzuzeigen. Konkret untersucht wurden die Verkehrsplanung der 60er und 70er Jahre, Akteure (Planer, politische Behörden, Parteien, Medien und die Bevölkerung), ihre Vorstellungen und Leitbilder sowie der Stellenwert der direkten Demokratie für diesen Umbruch.

 

In Ermangelung regionaler Fachliteratur wurde die Arbeit hauptsächlich auf der Basis eines reichhaltigen Quellenbestandes verfasst. Zu erwähnen sind Protokolle des Stadtrates (Legislative), Abstimmungsbotschaften und Verwaltungsberichte im Stadtarchiv, ferner Pläne, Berichte, Konzepte sowie zeitgenössische Berichte im Stadtplanungsamt, schliesslich unzählige Artikel in den wichtigsten Presseorganen der Stadt Bern („Berner Tagblatt“, „Der Bund“, „Berner Tagwacht“). Drei ausführliche Oral-History-Interviews mit bedeutenden Akteuren der zeitgenössischen Berner Verkehrspolitik (Verkehrsplaner Kurt Hoppe, SP-Gemeinderat Kurt Schweizer und Stadträtin der Jungfreisinnigen Leni Robert) ergänzen die Schriftquellen.

 

Aufgehängt wird das Kernstück der Arbeit an sechs verkehrsbezogenen Abstimmungsvorlagen: Ausbau der Standstrasse (1960), Sanierung des Bubenbergplatzes und „H-Lösung“ (1970), Beschaffung von Dieselbussen (1971), Einkaufszentrum „Thoracker“ (1972) und Sanierung der Laubegg- und Kirchenfeldstrasse (1973).

 

Die Abstimmung um die Standstrasse 1960 bildet in der Arbeit den Auftakt zu einer Reihe von Abstimmungsniederlagen, die nur durch die praktisch oppositionslose Zustimmung der Sanierung des Bubenbergplatzes von 1970 (Bau des heute bestehenden Platzes) unterbrochen wurde. Im Gegensatz zu diesem von der Bevölkerung damals als fortschrittlich und dringend nötig befundenen Projekt stiess drei Monate später die „H-Lösung“ mit einer vierspurigen Verbindungs- strasse über den Bären- und Waisenhausplatz auf breite Opposition. 1971 löste die Ablehnung der Anschaffung von Dieselbussen viele Folgeprojekte und Massnahmen auf politischer Ebene aus, die den öffentlichen Verkehr in Bern umweltgerecht und attraktiver machen sollten. Die Ablehnung des Einkaufs- und Kongresszentrums „Thoracker“ 1972 läutete das Ende einer fortschritts- und planungszentrierten Epoche ein, obwohl mit Umweltschutz-Argumenten dafür geworben wurde und das Projekt in den Augen der Planer das Zentrum vom Verkehr entlastet hätte. Schliesslich bedeutete das Scheitern der Sanierung der Laubeggstrasse das Ende der „Quartierring-Konzeption“, die den Verkehr auf einem Ring um die Altstadt gebündelt und die Innenstadt vom Durchgangsverkehr entlastet hätte. Es war gleichzeitig auch das Ende einer wachstumsorientierten Verkehrsplanung.

 

Die Berücksichtigung damaliger Vorstellungen und Leitbilder ist zentral für eine angemessene Beurteilung der Entscheidungen auf planerischer und politischer Ebene. Bereits Ende der 60er Jahre waren die Planer nämlich zur Einsicht gekommen, dass das Leitbild der autogerechten Stadt in Bern nur auf Kosten der historischen Altstadt umgesetzt werden konnte. Ziel der Verkehrsplaner war es deshalb, die mit der zunehmenden Suburbanisierung eintrtenden Verkehrsprobleme mit verkehrstechnischen Lösungen in den Griff zu bekommen und für die Stadt wirtschaftlich tragbare Lösungen zu finden. Sie versuchten, die Innenstadt vom Durchgangsverkehr zu entlasten und mittels eines Quartierrings zu bündeln, um dadurch auch die Wohnquartiere vom unerwünschten motorisierten Pendlerverkehr zu entlasten, ohne jedoch auf den wirtschaftlich lukrativen, motorisierten Besucher-und Einkaufsverkehr verzichten zu müssen. Von 1970 an setzte die Stimmbevölkerung die Akzente anders, erstmals bei der Ablehnung der „H-Lösung“, die keineswegs ein Hirngespinst einiger „antistädtischer Stadtzerstörer“ war, sondern Teil eines Gesamtkonzepts zur Entlastung der Altstadt. Die wachstumsorientierten Pläne, die auf der Doppelförderung von öffentlichem und privatem Verkehr beruhten, wurden aber nicht mehr als zeitgemäss empfunden. Die Bevölkerung wollte die gleichen Ziele schneller und ohne Förderung des Privatverkehrs erreichen.

 

Mit der Ablehnung zahlreicher Abstimmungen zeichnete sich die Stimmbevölkerung verantwortlich für eine Kurskorrektur weg vom wachstumsorientierten zu einem stadtgerechteren Verkehr. Dies zeigte sich insbesondere bei der Annahme fast sämtlicher Ausbauvorschläge für den öffentlichen Verkehr.

 

Um im letzten Kapitel die Erkenntnisse von Bern in einen überregionalen Kontext einordnen und generalisieren zu können, wurden ähnliche Entwicklungen in Basel, Zürich, Groningen NL und Freiburg i.B. untersucht und miteinander verglichen.

 

Gemessen am so genannten Modal-Split, dem Verhältnis von öffentlichem und motorisiertem Individualverkehr, gilt Bern heute wie Basel und Zürich als „Erfolgsfall“. Die Grundbausteinedafür wurden in den frühen 70er Jahren gelegt, in Bern im Zusammenspiel einer fortschrittlichen und in Umweltfragen sensibilisierten Bevölkerung, einer auf wachstumsorientierten Vorstellungen mit fortschrittlichen Akzenten basierende Verkehrsplanung sowie einer in Verkehrsfragen pragmatischen und konsensorientierten, aber nicht sehr sensibilisierten Politik, die den Einbezug der Bevölkerung immer häufiger suchte, die aber, gleich wie die Planung auch, den Ökologisierungswillen der Bevölkerung unterschätzte.

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