Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stefan
Rebenich
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2012/2013
Abstract
Helmut Berve (1896–1979) war einer der einflussreichsten deutschen Althistoriker des 20. Jahrhunderts, dessen Leben und Werk heute noch interessieren und polarisieren. Begonnen hat er seine wissenschaftliche Karriere in der Weimarer Republik, gewann rasch an Ansehen und wurde im Frühjahr 1927 auf den Lehrstuhl für Alte Geschichte der Universität Leipzig berufen, wo er bis 1943 blieb. Zwar wurde seine wissenschaftliche Karriere, die er im „Dritten Reich“ erfolgreich zu gestalten vermochte, nach 1945 unterbrochen, es gelang Berve jedoch, seine akademische Laufbahn erfolgreich fortzusetzen.
Zu Berves bedeutendsten Schriften gehört zweifellos die sehr erfolgreiche „Griechische Geschichte“, die 1931 und 1932 in zwei Bänden im Herder Verlag erschien und das Griechenbild mehrerer Generationen deutlich beeinflusste. Die Masterarbeit widmet sich dieser Geschichte der Griechen, der bisher noch keine eingehende Analyse zuteil worden ist. Sie will Berves leitende Fragestellung klären und die Struktur des zweibändigen Werkes erfassen. Dessen Schwerpunkte, Wertungen, Kategorien und Konzepte werden herausgearbeitet und ideengeschichtlich verortet. Des Weiteren wird das wichtigste Werk Berves zeitund historiographiegeschichtlich kontexualisiert.
Eine Schwierigkeit bei diesem Vorhaben bildete die Tatsache, dass Helmut Berve die Vorbilder und Grundlagen seiner „Griechischen Geschichte“ nicht nannte und auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtete. Vielmehr hielt er ausdrücklich fest, dass sowohl in der Darstellung der Geschichte der Griechen als auch bei der Schwerpunktsetzung neue Wege beschritten worden waren. Gleichzeitig reflektierte Berve jedoch seine Methoden und die zugrunde gelegten Prämissen nicht.
Nach einer Darstellung des Aufbaus, des Inhalts, der zentralen Begriffe und der sprachlichen Gestaltung der Griechischen Geschichte wurden im Hauptteil der Arbeit die Schwerpunkte herausgearbeitet und kontextualisiert. Dabei zeigte sich, dass in Berves Griechischer Geschichte einige Themenbereiche einen besonderen Stellenwert erhalten. Eines der auffälligsten Merkmale der Griechischen Geschichte ist der Versuch, das ‚Wesen’ der Griechen zu ergründen und darzustellen. Dieses Vorhaben prägte das Werk Berves ebenso stark wie seine Aufgliederung der Griechen in verschiedene Stämme mit bestimmten Eigenarten und wirkte sich auf die Gestaltung der meisten Kapitel der Darstellung aus. Dabei wird deutlich, dass Berve einerseits in der Tradition der Romantik stand, die schon den ‚Volksgeist’ zu ermitteln versuchte, andererseits aber auch ein Ziel verfolgte, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem ausserhalb der Althistorie (was? wo?) angestrebt wurde. Zwar war der Versuch, das Wesen, den Geist oder den Charakter der Griechen zu erfassen auch vor Berve schon präsent, aber die dominante Einteilung des Griechentums in Stämme, die sich durch unterschiedliche Wesenszüge unterscheiden, und die konsequente Interpretation der griechischen Geschichte mit Fokus auf das Wesen stellt eine der Neuheiten dar, die wohl auf die Einflüsse zeitgenössischer Strömungen zurückzuführen sind.
Mit dem Versuch, das Wesen der Griechen zu ergründen, ist auch der Verstehensbegriff verknüpft. Berve vertrat die Ansicht, dass Geschichte ‚begriffen’ werden müsse, dass man die Atmosphäre und den Geist nachempfinden können müsse, um geschichtliche Ereignisse richtig deuten und darstellen zu können. Um aber verstehen zu können, bedürfe es einer Verwandtschaft zwischen dem historischen Untersuchungsgegenstand und dem Historiker, hier zwischen dem griechischen Volk und Berve selbst. Bestehe diese Verwandtschaft, die hier aufgrund des Ariertums beider Parteien vorhanden sei, nicht, könne kein tieferes Verständnis der Materie erreicht werden. Eine wissenschaftliche Untersuchung werde somit unmöglich und verliere jegliche Legitimität. Dementsprechend
sah auch Berves Behandlung des Orients aus, der artfremd sei und somit weder verstanden noch richtig dargestellt werden könne. Ein Erfassen des orientalischen Wesens sei, zumindest für einen deutschen Althistoriker, unmöglich. Neben dem Wesenskonzept, das die Gestaltung der gesamten „Griechischen Geschichte“ prägt, sind auch die griechischen Stämme für die Gliederung und Darstellung des Werkes von grosser Bedeutung. Besonders im ersten Band wurden die Stämme und die ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften gerne als Erklärung für historische Prozesse genutzt. Des Weiteren mass Berve aber auch der Darstellung der Archaik, der klassischen Zeit und des 4. Jahrhunderts sowie nicht zuletzt auch des Alexanderreiches und des Hellenismus eine besondere Bedeutung zu. Dabei zeigt sich, dass bei Berve besonders Gemeinschaft und Staat betont wurden, dass er „herausragende Einzelmenschen“ geradezu verehrte, gleichzeitig aber einen ausgeprägten Individualismus ablehnte. Vielmehr soll sich der einzelne Mensch völlig den Bedürfnissen der Gemeinschaft unterordnen.
Trotz der Kritik an Berves Versuch, die „seelische Grundhaltung“ der Griechen zu ermitteln, beruht ein Teil seines Erfolges gerade auf diesem Aspekt. Seine Art der Darstellung, der nicht eine empirisch-wissenschaftliche Motivation zugrunde lag, die aber ein einfühlsames Verstehen und eine Erforschung des Geistes anstrebte, mag viele Zeigenossen gerade auch ausserhalb der Wissenschaft angesprochen haben.