Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Kristina
Schulz
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2017/2018
Abstract
Der Begriff der Assimilation prägte die Einbürgerungspraxis der Schweiz in den 1950er Jahren massgeblich. Eine ausländische Person, welche sich in der Schweiz einbürgern lassen wollte, musste sich innerlich und äusserlich an die schweizerischen Gegebenheiten assimiliert haben. Der Assimilationsbegriff, welcher erst in den 1960er Jahren gesetzlich verankert wurde, bot den Einbürgerungsbehörden auf kantonaler Ebene grossen Spielraum in der Ausgestaltung ihrer Einbürgerungspraxis. Dieser Spielraum bot jedoch auch die Möglichkeit für willkürliches Verhalten gegenüber einzelnen Personen oder Nationalitäten. Die Masterarbeit untersucht die Auswirkungen dieses Spielraums auf die Ausgestaltung der Einbürgerungspraxis gegenüber zwei verschiedenen Nationalitäten auf der Mikroebene.
Der erste Teil der Arbeit setzt beim Forschungsstand zum Kanton Basel-Stadt an. Beatrice Montanari-Häusler hat gezeigt, dass Einbürgerungsgesuche von deutschen Staatsangehörigen vor dem Zweiten Weltkrieg eine sehr tiefe Ablehnungsquote aufwiesen, diese nach dem Krieg aber deutlich anstieg. Die Ablehnungsquoten aller anderen Nationalitäten sanken in derselben Zeit. Daraus leitet sich die der Masterarbeit zugrundeliegende These ab, dass deutsche Staatsangehörige im Einbürgerungsprozess der 1950er Jahre im Kanton Basel-Stadt nicht an denselben Massstäben gemessen wurden wie die Angehörigen anderer Staaten. Um diese Andersbehandlung zu belegen, entwickelt die Arbeit eine mehrstufige Methodik. Zunächst zieht sie die italienischen Bürgerrechtsbewerberinnen und -bewerber als Vergleichsgrösse hinzu. Zur Feststellung der unterschiedlichen Standards wird sodann quellengeleitet das Idealbild der Schweizerin und des Schweizers rekonstruiert, an welchem die Einbürgerungsgesuche gemessen wurden. Dazu orientiert sich die Arbeit an Adam Schaffs Konzept des Autostereotyps. Die Quellenanalyse richtet sich auf die negativen, eine Ablehnung begründenden Eigenschaften, um dann im Umkehrschluss das Idealbild herauszuarbeiten, von dem die Behörden ausgingen.
Der zweite Teil der Untersuchung erarbeitet die kontextuellen Rahmenbedingungen, welche die Einbürgerungspraxis im Untersuchungszeitraum beeinflussten und bedingten. Dies geschieht anhand einer Untersuchung der Geschichte des Einbürgerungsrechts auf nationaler und kantonaler Ebene. Besonders auffällig ist dabei die gefühlte Bedrohungslage innerhalb des Kantons Basel-Stadt während des Zweiten Weltkrieges, bedingt durch die geographische Nähe zu Deutschland und die hohe Dichte an nationalsozialistisch orientierten Organisationen innerhalb des Kantons. Des Weiteren war das Bürgerrechtsverfahren auf der Ebene von Kanton und Gemeinde eng verzahnt. Ein weiteres Kapitel widmet sich der schweizerischen Wesensart als Grundlage für den Autostereotyp des Schweizers. Dabei zeigt sich, dass durch die stete Neuverarbeitung historischer Mythen über eine lange Zeitperiode das Grundbild der bodenständigen, zurückhaltenden, vernünftigen und moralisch korrekten Schweizerinnen und Schweizer entstand.
Die konkrete Einbürgerungspraxis wird in einer quantitativen wie auch qualitativen Analyse untersucht. Die quantitative Analyse untersucht, wie häufig und in welchen Fällen die Behörden auf welche Ablehnungsgründe rekurrieren. Die qualitative Analyse untersucht exemplarische Fälle anhand quellenanalytischer Methodik und sucht dabei auf einer sprachlichen Ebene nach Unterschieden zwischen der Behandlung deutscher und italienischer Staatsangehöriger. Dabei werden für beide Analysen die kantonal angelegten Bürgerrechtsdossiers der abgewiesenen deutschen und italienischen Staatsangehörigen verwendet. Es werden sämtliche Dossiers berücksichtigt, in denen der Spielraum des Assimilationsbegriffs zum Tragen kam. Die behandelten Dossiers befinden sich im Staatsarchiv Basel, im älteren Hauptarchiv, in der Aktenserie Bürgerrecht P1. Die aus diesen Akten gewonnenen Ablehnungsbegründungen werden für den Vergleich der beiden Nationalitäten in beiden Analysen in folgende acht Ablehnungskategorien unterteilt: mangelnde Verbundenheit mit der Schweiz, politische Gesinnung oder Vergangenheit, mangelnde nanzielle Unabhängigkeit, abgewiesen wegen einem anderen Familienmitglied, charakterliche Schwächen oder schlechter Leumund, ungenügende Arbeitsleistung, erbliche oder gesundheitliche Belastung und sittliches oder rechtliches Fehlverhalten.
In der qualitativen Untersuchung zeigen sich vor allem Unterschiede bezüglich der Anwendung der Ablehnungskategorien politische Gesinnung oder Vergangenheit und sittliches und rechtliches Fehlverhalten. Die qualitative Analyse bestätigt vor allem die quantitativen Resultate der Kategorie politische Gesinnung oder Vergangenheit und zeigt auf, dass deutsche Staatsangehörige nicht nur häu ger vom Vorwurf einer nationalsozialistischen Vergangenheit betroffen waren, was mit der geographischen Nähe zu Deutschland zu tun hatte, sondern dass dieser auch sehr selten wirklich stichhaltig bewiesen werden konnte. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse der qualitativen Analyse, dass deutsche Staatsangehörige sich deutlich häufiger mit sehr willkürlich formulierten Ablehnungsbegründungen und einer eher ruppigen Sprache seitens der Behörden konfrontiert sahen. Diese Resultate bestätigen die besonders angespannte Haltung gegenüber deutschen Staatsangehörigen in der Nachkriegszeit im Kanton Basel-Stadt, welche von Ruedi Brassel-Moser bereits erarbeitet wurde. Man kann somit von einer Andersbehandlung deutscher Bürgerrechtsbewerberinnen und -bewerber und von einem beweglich angewandten Autostereotypen des Schweizers ausgehen.