Das politische Instrument der Diplomatie? Geschichte des diplomatischen Protokolls der Schweiz von 1946 – 1980

AutorIn Name
Jonas
Hirschi
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Sacha
Zala
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2019/2020
Abstract
Das diplomatische Protokoll ist die Sammlung der Regeln, die den Verkehr zwischen Staaten oder zwischen Staaten und internationalen Organisationen sowie das Verhalten und die Arbeitsweise des diplomatischen Personals regeln. Viele Elemente des diplomatischen Protokolls wurden in der höfischen Kultur der Frühen Neuzeit entwickelt und blieben bis heute bestehen. Auch wenn erste internationale Regelungen am Wiener Kongress entwickelt wurden, dauerte es noch lange, bis das diplomatische Protokoll rechtlich kodifiziert wurde. In der Schweiz wurde das erste Protokollreglement nach der Intensivierung der Aussenpolitik im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ausgearbeitet und 1948 verabschiedet. Auf internationaler Ebene folgte erst 1961 das Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen. Zuständig für die Entwicklung und Einhaltung des diplomatischen Protokolls, der Etikette und des Zeremoniells ist in der Schweiz bis heute der Protokolldienst, eine Abteilung im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, die 1946 zum ersten Mal im Staatskalender auftauchte. Der Protokolldienst orientierte sich bei der Ausarbeitung des schweizerischen Protokollreglements stark an den internationalen Gepflogenheiten. Durch mehrere Rundschreiben an die Schweizer Vertretungen im Ausland wurden Informationen zur jeweiligen protokollarischen Praxis in den Residenzländern gesammelt und ein internationaler Standard definiert, an dem sich die Schweiz orientierte. Im Forschungszeitraum beantwortete der Protokolldienst in schriftlicher Form zahlreiche Fragen zum diplomatischen Protokoll. Die Liste der Fragestellenden war breit. So finden sich im Bundesarchiv Anfragen des Bundesrats, der Bundesverwaltung, des diplomatischen Corps in Bern, der Medien, der Kantone und von Privaten. Eine Auswertung dieser Schreiben zeigt auf, dass protokollarische Fragen nicht nur juristischer oder technischer Natur waren, sondern durchaus eine politische Brisanz aufweisen konnten. So waren die Schweizer Vertretungen im Ausland im Forschungszeitraum beispielsweise stets darauf bedacht, mit ihren protokollarischen Aktivitäten nicht eine de facto-Anerkennung eines von der Schweiz nicht anerkannten Staates zu bewirken. Denn da das diplomatische Protokoll den Verkehr zwischen Staaten regelt, führt eine protokollari- sche Aktivität unweigerlich zur Anerkennung des Gegenübers als Vertretung eines Staates. Die kor- rekte Anrede, die Grussformel in Briefen, die Teil- nahme an Diners wurden so zu politisch relevan- ten Tätigkeiten. Auffällig hierbei ist, dass sich bei solchen Geschäften nicht mehr der Protokolldienst um die Beantwortung dieser protokollarischen Fragen kümmerte, sondern die übergeordnete Ab- teilung für politische Angelegenheiten. Ebenfalls als politische Funktion kann die Vermittlung des Staatsverständnisses durch das diplomatische Protokoll gewertet werden. Denn obwohl sich das diplomatische Protokoll an internationalen Konventionen orientiert, gibt es einen gewissen Spielraum für die Staaten, um ihre Staatsidee im diplomatischen Protokoll zu repräsentieren. So ist beispielsweise die protokollarische Rangordnung von Diplomatinnen und Diplomaten sowie der höheren Beamtinnen und Beamten durch den schweizerischen Föderalismus geprägt. Eine weitere politische Funktion des diplomatischen Protokolls ist jene der Machterhaltung. Durch das komplexe Regelwerk des diplomatischen Protokolls, das nur zum Teil verschriftlicht ist, wird der Zugang zum Kreis des diplomatischen Personals erschwert. Es dient somit zur exklusiven Machterhaltung und Machtkontrolle einer kleinen Gruppe. Wenn männliche Beamte darüber bestimmen, wie weibliche Diplomatinnen angesprochen werden und wo diese sich in der Rangfolge einzuordnen haben, wird die Machtfunktion des diplomatischen Protokolls offensichtlich. Aufgrund der verwaltungsgeschichtlichen Forschung kann das diplomatische Protokoll folglich durchaus als politisches Instrument der Diplomatie betrachtet werden. Mit der Anerkennung von Staaten, der Vermittlung des Staatsverständnisses und der Macherhaltung konnten aufgrund der Praxis des Protokolldienstes drei politische Funktionen bestimmt werden. Doch obwohl protokollarische Fragen eine politische Tragweite haben konnten, so versuchte der Protokolldienst der Eidgenossenschaft im Forschungszeitraum selbst möglichst unpolitisch zu bleiben.

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