Das belgische und das schweizerische Heer in deutschen Militärfachzeitschriften. Fremdwahrnehmung preussisch-deutscher Offiziere von 1890 – 1914

AutorIn Name
Rafael
Kolman
Academic writing genre
Master thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
PD Dr.
Daniel Marc
Segesser
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2020/2021
Abstract
Die beiden neutralen Staaten Belgien und die Schweiz waren in äusserst unterschiedlicher Weise vom Ersten Weltkrieg betroffen. Belgien kämpfte nach der Missachtung der Neutralität durch Deutschland auf Seite der Entente gegen die Mittelmächte, die Schweiz hingegen blieb von jeglichem Waffengang verschont. Die Gründe für die Verletzung der Neutralität Belgiens als auch für das Heraushalten der Schweiz aus dem Krieg bildeten in der Vergangenheit einen wichtigen Bestandteil in der jeweiligen nationalen Geschichtsschreibung der beiden Länder. In den 2000er Jahren entbrannte auch die Diskussion zu den Hintergründen des Schlieffenplans neu. Im Gegensatz dazu fehlten bislang konkrete Untersuchungen über die Fremdwahrnehmung der beiden Heere aus preussisch-deutscher Perspektive. Um diese Fremdwahrnehmung preussisch-deutscher Offiziere zu erfassen, analysiert die vorliegende Forschungsarbeit die Berichterstattung von fünf deutschen Militärfachzeitschriften: dem Militär-Wochenblatt, der Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militärwesen, der Deutschen Heeres-Zeitung, der Internationalen Revue der gesammten Armeen und Flotten und der Vierteljahrshefte für Truppenführung und Heereskunde. Die Untersuchung der Militärperiodika folgt zwei unterschiedlichen Ansätzen. Als erstes erfolgt eine quantitative Auswertung zur Berichterstattung in den Fachzeitschriften. Als zweiten Ansatz analysiert die Arbeit einzelne Artikel mit Blick auf thematische Schwerpunkte. Besonders ergiebig erwiesen sich dabei die Thematiken der Kriegsbereitschaft und der strategischen Bedeutung der beiden Staaten. Die quantitative Auswertung zeigt, dass das schweizerische Heer in den 1890er Jahren einen deutlich höheren Stellenwert in der deutschen Militärpublizistik einnahm, als dies für das belgische Heer der Fall war. Während die Berichterstattung zur Schweiz im Untersuchungszeitraum grösstenteils konstant blieb, lässt sich für das belgische Heer ab der Jahrhundertwende eine deutliche Steigerung in der Berichterstattung feststellen. In Bezug auf die Schweiz kommt die Arbeit zum Schluss, dass sich die Fremdwahrnehmung auf das schweizerische Heer in den zweieinhalb Jahrzehnten erheblich veränderte. Noch zu Beginn der 1890er Jahren war die Kriegsbereitschaft der Schweiz umstritten gewesen. Mehrere Artikel der DHZ bewerteten die Schweiz sogar als potenziellen Kriegsschauplatz in einem zukünftigen Krieg. Ab der Jahrhundertwende galt ein Angriff auf die Schweiz aber als ausgeschlossen. In die Bewertung des schweizerischen Heeres flossen dabei neben strategischen Überlegungen auch kulturelle Vorstellungen, wie eine historisch legitimierte positive Bewertung des schweizerischen Soldaten, hinein. Hinzu kam, dass mehrere schweizerische Offiziere, welche der «Neuen Richtung» im schweizerischen Offizierskorps angehörten, positiven Anklang in der deutschen Militärpublizistik fanden. Diese Faktoren übertönten die teilweise kritischen Stimmen, welche mit Blick auf den schweizerischen Ausbildungsstandard in den deutschen Militärfachzeitschriften vorhanden waren. Nicht zuletzt auch als Folge von Veränderungen innerhalb der Militärpublizistik nahmen die kritischen Stimmen zum schweizerischen Heer zur Jahrhundertwende hin ab. Zuvor hatte insbesondere die 1900 eingestellte DHZ in den 1890er Jahren viel zu einer offenen, kritischen, teilweise aber auch provokanten Debatte zur Schweiz beigetragen. Die Berichterstattung zu Belgien beschränkte sich lange Zeit auf die Diskussion zu den belgischen Befestigungsanlagen und dem Ausbleiben von Reformen des als veraltet empfundenen Rekrutierungssystems. Die hartnäckigen Debatten interliessen in den deutschen Militärfachzeitschriften das Bild eines Heeres, welches nur teilweise den modernen Anforderungen entsprach. Die geringe Heeresgrösse und das Fehlen eines aufdie Feldschlacht ausgerichteten Heeres verstärkten das negative Bild des belgischen Heeres im preussisch-deutschen Offizierskorps. In Bezug auf einzelne Teilbereiche, wie dem belgischen Befestigungssystem, gab es zum belgischen Heer aber auch positive Kritik. Mit Blick auf den Ersten Weltkrieg zeigt die vorliegende Forschungsarbeit auf, dass die Schweiz in Deutschland nicht grundsätzlich aufgrund seiner topographischen Begebenheiten als Kriegsgegner tabu war. Vielmehr führte ein Wandel in der Wahrnehmung der strategischen Bedeutung, aber auch des Führungspersonals des schweizerischen Heeres dazu, dass ein Angriff auf die Schweiz ausgeschlossen wurde. Reformen im belgischen Heer wurden im Gegensatz dazu erst kurz vor Kriegsbeginn wahrgenommen – zu spät, um an der Idee einer Nordumfassung der französischen Front noch Zweifel anzubringen. Die Arbeit wird in leicht überarbeiteter Form in der Reihe 5 der Berner Studien zur Geschichte erscheinen.

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