Clausewitz und die Französischen Kriege. Carl von Clausewitz’ Neuerungen in der Kriegsgeschichte

AutorIn Name
Christoph Heinz
Zaugg
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Stig
Förster
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2001/2002
Abstract

Mit dem Namen Carl von Clausewitz verbindet sich heute gemeinhin ein einziger Satz: „Der Krieg ist eine blosse Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Diese Kernaussage von Clausewitz’ posthum erschienenem Hauptwerk „Vom Kriege“ hat alle anderen Erkenntnisse des preussischen Generals nicht nur in den Schatten gestellt, sondern schlichtweg in Vergessenheit geraten lassen.

 

Im Rahmen der Lizentiatsarbeit sollte daher explizit keine weitere Studie zu seinem Hauptwerk entstehen. Stattdessen stand die Untersuchung von Clausewitz’ kriegshistorischen Werken, das heisst seiner Studien der Feldzüge Napoleon Bonapartes, im Mittelpunkt. Das Ziel der Arbeit war zum einen die Herausarbeitung von Clausewitz’ revolutionärer Methode der Militärgeschichtsschreibung und zum anderen die Beantwortung der Frage, inwieweit sich diese Methode bereits in seinen eigenen kriegshistorischen Schriften wiederfindet.

 

Die Aufsätze zu den Feldzügen Napoleon Bonapartes 1796–1815, welche in der Erstausgabe seiner hinterlassenen Werke ganze sechs Bände ausmachen, bilden in erster Linie eine äusserst wertvolle historische Quelle. Einerseits sind sie von einem sachverständigen Zeitzeugen verfasst, der sich der Problematik der Subjektivität vollumfänglich bewusst war und dessen erreichter Grad an Objektivität nahezu exemplarisch anmutet. Andererseits verfolgte Clausewitz eine Methode, die sich absolut fundamental von der damals üblichen „Schlachtenbeschreibung“ abhebt und in manchen Bereichen das Niveau moderner Militärgeschichtsschreibung erreicht. Zudem illustrieren diese Kriegsgeschichtsstudien entscheidend den geistigen und materiellen Entstehungsprozess von „Vom Kriege“ und bilden damit eine der zahlreichen Grundvoraussetzungen für das Verständnis seines Hauptwerks. Für Clausewitz war Kriegsgeschichte etwas völlig anderes als für seine Zeitgenossen. In diametralem Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen der Kriegswissenschaft wollte er aus der Kriegsgeschichte keine strategischen, operativen und taktischen Grundsätze und Regeln herausarbeiten. Vielmehr bemühte er sich, auf der Suche nach den wirklichen Umständen jedes Feldzuges, möglichst alle mitbestimmenden Faktoren zu erkennen, wiederzugeben und zu beurteilen. Eine solche Beurteilung erfolgte auf eine überaus einfühlsame und verständnisvolle, gleichzeitig aber auch nüchterne Art. In diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung ist der Begriff des Verstehens: Clausewitz wollte mit seinen kriegshistorischen Studien den Verlauf von Feldzügen intellektuell durchdringen, um sie so dem Leser nachvollziehbar zu machen.

 

Im Allgemeinen sind Clausewitz’ kriegshistorische Studien wie folgt aufgebaut: Zu Beginn seiner Ausführungen stellt Clausewitz stets eine Übersicht an, während der er die politischen Verhältnisse und Zustände analysiert. Dabei gelingt es ihm, die verschiedenen Interessen der am Krieg beteiligten Parteien verständlich und ungemein konzentriert darzustellen. Danach folgen genaue Informationen über Truppenstärke und Stationierungsorte der verschiedenen beteiligten Armeen und deren Befehlshaber.

 

Als nächster Punkt werden die diversen Möglichkeiten, die den beteiligten Parteien offen standen, erläutert und in Bezug auf ihre Erfolgswahrscheinlichkeit analysiert.

 

Daran schliesst sich meistens eine Beschrei bung der effektiven Feldzugspläne an, welche in der Folge mit der hypothetischen Planung Clausewitz’ verglichen werden.

 

Als nächste Phase beschreibt Clausewitz die tatsächliche Ausführung der Feldzugsplanung sowie die sich daraus ergebenden Vor- und Nachteile beider Seiten. Insbesondere in den frühen Werken sind diese „Schlachtenbeschreibungen“ sehr ausführlich und detailliert und listen jeden noch so kleinen Erfolg oder Misserfolg beider Seiten auf. Nun folgt die wohl interessanteste Passage in Clausewitz’ Studien. Im Anschluss an die vorher gehenden deskriptiven Abschnitte stellt der seine so genannten „Betrachtungen“ an. In ihrem Verlauf werden nicht nur die einzelnen Entscheidungen der Generäle beurteilt und kritisiert, sondern es wird stets auch die Frage gestellt, warum denn ein gewisser Entschluss nicht funktioniert habe, welche näheren Umstände für sein Scheitern verantwortlich gewesen seien. Dadurch werden offensichtliche Fehlentscheide in ihren Auswirkungen zwar nicht verharmlost, aber doch relativiert und quasi gerechtfertigt. Clausewitz gelingt es an solchen Stellen ausgezeichnet, dem Leser die jeweilige Druck- und Spannungssituation des betreffenden Generals vor Augen zu führen und ihm damit ein gewisses Verständnis für die begangenen Fehler abzuringen. Der Leser sieht sich oft in die Situation des Feldherrn versetzt und muss sich eingestehen, dass er denselben Fehler auch gemacht hätte.

 

Oft stellt Clausewitz diese Betrachtungen sowohl zwischen einzelnen Feldzugsphasen als auch am Schluss seiner Studien an, wenn es darum geht, seine strategische Übersicht eines Feldzuges zu vervollständigen.

 

Die untersuchten kriegsgeschichtlichen Studien lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Auf der einen Seite sind da Clausewitz’ frühe Schriften zu den Kriegen von 1812, 1813 und 1814: Sie zeigen, im Vergleich etwa zu Antoine-Henri Jomini, einem von Clausewitz’ bedeutendsten militärhistorischen Zeitgenossen, bereits eine deutlich andere kriegshistorische Methode. Darüber hinaus erscheinen aber die oben genannten Elemente, insbesondere die „Betrachtungen“, noch in wenig ausgereifter Form. Auf der anderen Seite finden sich Clausewitz’ Spätwerke der Feldzüge von 1796, 1799 und 1815. Darin erscheint seine Methode in einem bereits sehr weit entwickelten Stadium, die verschiedenen Elemente sind miteinander kombinier t und teilweise nicht mehr einzeln erkennbar. 

 

Im Rahmen der Arbeit konnte somit belegt werden, dass Carl von Clausewitz seine neue Konzeption des Begriffs „Kriegsgeschichte“ in den eigenen kriegshistorischen Werken sukzessive umgesetzt hat. Die in der Fragestellung vermutete Entwicklung existiert und verläuft tatsächlich parallel zum Reife- und Entstehungsprozess von Clausewitz’ theoretischem Hauptwerk „Vom Kriege“. Das heisst, dass die frühen kriegshistorischen Werke von 1812, 1813 und 1814 eine deutlich tiefere Qualität aufweisen als seine späten Studien der Feldzüge der Jahre 1796, 1799 und 1815. Gleichzeitig gilt es aber zu bedenken, dass die Entstehung der frühen Studien, insbesondere jene von 1813 und 1814, teilweise auch diejenige von 1812, sehr fraglich ist und ein detaillierteres Studium an und mit den Originalquellen lohnen würde. Darüber hinaus wäre ein direkter Vergleich von Clausewitz’ Werken mit anderen zeitgenössischen Darstellungen derselben Feldzüge, beispielsweise denjenigen von Jomini, äusserst interessant.

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