«Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben». Das alte Sprichwort, mittlerweile wiederholt in Frage gestellt, bezieht sich auf die Vorstellung, dass diejenigen, die in der Machtposition sind, die Möglichkeit haben, bestimmte Narrative durchzusetzen. Doch wenn die Produktion und Legitimität historischer Narrative selbst das Produkt von Machtdynamiken ist, was macht dann einige Narrative mächtig genug, um als akzeptierte Geschichte oder gar als Historizität selbst zu gelten?
Dieses Themenheft möchte auf die Wahrnehmung und Darstellung von Scheitern eingehen und das Konzept als Analysekategorie wie auch als historischen Prozess vorschlagen. Das Nachdenken über Scheitern und Erfolg bringt immer auch die Frage nach der Messbarkeit mit sich. Wer entscheidet darüber, was Erfolg und Misserfolg ist? Auf welcher Grundlage? Die Bewertung und Evaluation des Erfolgs historischer Episoden hängt von Kriterien ab, die sich je nach Epoche und historischem Blickwinkel ändern können. Vermeintliches Scheitern kann in anderer Zeit und aus anderer Perspektive als Erfolg gedeutet oder umgeschrieben werden. Wie wurde das Konzept des Scheiterns in der Vergangenheit unterschiedlich eingesetzt und wie hat sich seine Verwendung verändert?
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich auch die Notwendigkeit, die politischen, sozialen und kulturellen Dynamiken zu untersuchen, die es bestimmten Narrativen ermöglichen, fortzubestehen und über die Zeit hinweg Legitimität zu gewinnen. Die Macht und Fähigkeit, „siegreiche“ Narrative zu schaffen, sind dabei selbst ungleich verteilt, was wiederum beeinflusst, welche Spuren in der historischen Überlieferung erhalten bleiben. Dies ist besonders bedeutsam für Historiker:innen, die auf archivalische Quellen angewiesen sind, denn diejenigen, die als gescheitert betrachtet worden sind, verloren oft auch die Möglichkeit, überhaupt Spuren zu hinterlassen – geschweige denn einen Interpretationsschlüssel für ihre eigene historische Erzählung anzubieten.
Um über Narrative des Scheiterns nachzudenken, und um einen bereits erforschten Ansatz zu erneuern, fragen wir nach Beiträgen aus allen Feldern und Epochen der Geschichte (ein Bezug zur Schweizergeschichte wird begrüsst aber nicht verlangt), die das Scheitern als Analysekategorie oder als historischen Prozess aufnehmen. Beiträge könnten zum Beispiel einer oder mehreren der folgenden Fragen nachgehen:
- Wie wird Scheitern gedeutet? Wann und in welchen Kontexten wird Scheitern thematisiert? Auf welcher Ebene – individuell oder kollektiv – wird das Scheitern gedeutet?
- Ist die Deutung und der Umgang mit Scheitern abhängig von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen oder Kontexten?
- Wie wird Scheitern begründet? Ändern sich die Begründungen mit der Zeit?
- Werden politische Misserfolge zu Erfolgen umgedeutet? Wird die Auflösung eines Unternehmens einem Scheitern gleichgesetzt?
- Wer ist massgebend für ein Narrativ des Scheiterns? Wie gehen wir als Historiker:innen mit vermeintlichem Scheitern um?
Der geplante Heftschwerpunkt von traverse wird als Ausgabe 3/2026 erscheinen. Die Texte umfassen maximal 30.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) und werden im Peer Review-Verfahren (double blind) begutachtet. Alle Informationen zu den Formalia sowie das Style Sheet finden Sie hier.
Wir laden Interessierte ein, uns bis spätestens 15. April 2025 ein Abstract von ca. 600 Wörtern, CV (kurz) sowie eine Auflistung der bisherigen allfälligen sachverwandten Publikationen zu senden. Die Abstracts sind an Damian Clavel (damian.clavel@uzh.ch), Thibaud Giddey (thibaud.giddey@unil.ch) und Maria Tranter (m.tranter@unibas.ch) zu senden.
Die Autor*innen werden bis spätestens 1. Mai 2025 über die Entscheidung der Heftherausgeber*innen benachrichtigt. Deadline für die Eingabe der Artikel ist der 15. Dezember 2025.
Zusätzliche Informationen
Kosten
