Zahlreiche Arbeiten haben sich bereits den Patrizierfamilien in den wichtigsten Städten des vormodernen und modernen Europas gewidmet und dabei unterschiedliche Dimensionen deren Macht aufgezeigt und analysiert.1 Die patrizische Dominanz auf wirtschaftlicher, politischer, kultureller oder intellektueller Ebene überdauerte sogar den formalen Privilegienverlust des Patriziats im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Obwohl die Problematik der Patrizierfamilien zahlreiche Forschungsarbeiten angeregt hat, sind wichtige Aspekte unerforscht geblieben.
Im anvisierten Schwerpunkt des Heftes sollen verschiedene Fragen zu Persistenz- und Wandelsphänomenen der Macht von Patrizierfamilien in der longue durée beleuchtet werden: Welche Faktoren haben die zeitliche Persistenz der patrizischen Eliten und bestimmter «Geschlechter» begünstigt?Wie konnten neue soziale Gruppen (Fremde, Zugezogene, Klein- und Mittelbürgerliche etc.) vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein in die urbanen Eliten integriert werden? Lassen sich Phasen der Öffnung und Machtbeteiligung beobachten? Wie hat sich das Zusammenleben zwischen alten, traditionellen Eliten und neuen, aufsteigenden sozialen Gruppen entwickelt? In welchen Bereichen und Institutionen war die patrizische Herrschaft besonders ausgeprägt? War die fortschreitende Demokratisierung der Städte mit dem Erhalt patrizischer Macht in elitären Gesellschaften (Zünfte) oder anderen kulturellen oder akademischen Institutionen verbunden? Gerade auch die Zeit der Machterosion des Patriziats seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist kaum untersucht worden und könnte Anlass für erste Fallstudien sein.2 Darüber hinaus soll in diesem Heft die Bedeutung der familiären Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Patrizierfamilien untersucht werden: Gab es eine relative Offenheit gegenüber anderen sozialen Gruppen, oder bestand im Gegenteil eine starke soziale Endogamie fort? Wurden bei Eheschliessungen strategisch Allianzen zwischen geeigneten Familien gefördert oder folgten sie einer anderen Logik? Welche Stellung hatten Frauen in der patrizischen Machtstruktur und wie hat sich ihre Position im Laufe der Zeit verändert?
Darüber hinaus ist das Heft aber auch offen für Beiträge, die sich kritisch mit dem Begriff «Patriziat» selbst auseinandersetzen, z. B. durch Studien darüber, wie diese Familien selbst Diskurse produzierten, um ihre Machtposition zu legitimieren. Der Call for Papers möchte grundsätzlich zu Beiträgen motivieren, die sich auf verschiedene Zeitbereiche und Länder beziehen.
Bitte reichen Sie Ihren Artikelvorschlag bis zum 15. April 2023 ein. Die deadline für die fertigen Artikel ist der 15.12.2023.
Der Schwerpunkt «Die Macht des Patriziats in Städten. Persistenz und Wandel» erscheint in Heft 3/2024 der traverse (ca. November).
Kontakte / Herausgeber/innen der Ausgabe: Stéphanie Ginalski, stephanie.ginalski@unil.ch; André Mach, andre.mach@unil.ch und Isabelle Schürch, isabelle.schuerch@unibe.ch.
1Für die Schweiz vgl. etwa Tanner, Arbeitsame Patrioten ― wohlanständige Damen, 1995; Sarasin, Stadt der Bürger, 1997; Perroux, Tradition, vocation et progrès, 2006; sowie Schläppi: «Patrizitat», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 27.09.2010, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016374/2010-09-27/ (27.09.2022).
2So etwas zu Bern, vgl. dazu Rieder, Netzwerke des Konservatismus, 2008.