Bewältigung der Herrschaftskrise in der Grafschaft Kempten nach dem Bauernkrieg 1525–1530

AutorIn Name
Nora
Mathys
Academic writing genre
Licenciate thesis
Status
abgeschlossen/terminé
DozentIn Name
Prof.
Peter
Blickle
Institution
Historisches Institut
Place
Bern
Year
2001/2002
Abstract

Das frühe 16. Jahrhundert steht am Anfang der Entwicklung von der mittelalterlichen zur modernen Verfassung. In der Aushandlung von Verträgen, wie sie Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden, manifestiert sich die Spannung zwischen dem vertikalen Prinzip der Herrschaft im Sinne von Feudalismus und dem horizontalen der bäuerlichen Gemeinschaft. Die darin integrierten Namenlisten können zudem Auskunft über die Zusammensetzung und Organisation der bäuerlichen Seite geben. Ein solcher Moment ist in der Grafschaft Kempten nach dem Bauernkrieg gegeben: Die im Bauernkrieg in den Grundfesten erschütterten Herrschaftsstrukturen wurden in Verträgen zwischen dem Kloster und den Bauern neu ausgehandelt und in Verträgen festgeschrieben.

 

Die Befriedung der Grafschaft Kempten nach dem Bauernkrieg konnte nicht ohne Hilfe von dritter Seite erreicht werden. Nach der Niederlage der Bauern versuchte der Schwäbische Bund mit intensiven Vermittlungsdiensten einen dauerhaften Frieden für die Grafschaft Kempten zu finden, denn die ländliche Bevölkerung war trotz der militärischen Niederlage nicht bereit, ihre Beschwerden weiter hinzunehmen. Die ersten Verhandlungen im September 1525 führten dazu, dass beide Parteien dem Schwäbischen Bund huldigten und versprachen, den jeweils anderen nicht weiter zu schädigen. Der Abt versuchte darauf mit den einzelnen Hauptmannschaften in Einzelverhandlungen einen Vergleich zu finden. Nicht als Hauptmannschaften, sondern gemeinsam als Gericht Martinszell gingen die zu diesem Gericht gehörenden Pfarreien auf dieses Ansinnen ein – 112 Personen hatten den Vertrag unterzeichnet. Dieser Alleingang ist damit zu erklären, dass die zum Gericht gehörenden Pfarreien nicht zur Landschaft gehörten. Auch die Pfarrei Muthmannshofen stand ausserhalb der Landschaft, suchte aber keinen eigenen Vertrag mit dem Abt, sondern schloss sich nach der Aushandlung des Memminger Vertrags diesem an. 

 

Mit den erneuten Verhandlungen unter der Aufsicht des Schwäbischen Bundes in Nördlingen hatte sich die Lage dermassen beruhigt, dass sich innerhalb eines Monats alle Gerichte wieder besetzen liessen; damit war ein weiterer Schritt zur Wiederherstellung des Herrschaftsverhältnisses getan. Erst mit Hilfe intensiver Vermittlung durch den Schwäbischen Bund gelang es Ende Januar 1526 in Memmingen, mit der Landschaft einen Vertrag mit grösserem Geltungsbereich auszuhandeln; 1.649 Personen hatten sechs Vertretern ihre Gewalt gegeben, damit jene in ihrem Namen den Vertrag aushandelten. Die Errungenschaften des Martinszeller Vertrags sind in demjenigen von Memmingen übernommen und in Bezug auf die Freizügigkeit für beide Rechtsstatus ausgedehnt worden. Die Landschaft als Kollektiv der stiftkemptischen Untertanen erreichte mit dem Memminger Vertrag ein Mitspracherecht in der Staatsfinanzierung, ansonsten übernahm sie die im Martinszeller Vertrag erreichten Verbesserungen der bäuerlichen Rechtslage. Dieser Teil bildet eine erste Phase der Krisenbewältigung, welche innerhalb von politischen Institutionen stattfand: innerhalb der Gerichtsgemeinde beziehungsweise der Landschaft. Diese beiden Kollektive waren nach dem Bauernkrieg die Verhandlungspartner des Abtes.

 

Der Prozess der Herrschaftskonsolidierung war damit nicht abgeschlossen: es wurden in fünf Listen weitere 1.031 Personen in den einen oder anderen Vertrag aufgenommen. Daneben entstand ein Verzeichnis, das Auskunft darüber gab, wer noch keinen Vertrag angenommen hatte – es sind dies insgesamt 2.168 Personen. Die Erstellung der Listen zeigt ein grosses Interesse des Abtes, möglichst viele seiner Untertanen persönlich zu binden und sich eine Übersicht über die Lage zu schaffen. Aber auch die Untertanen waren an den Einschreibungen in die Verträge interessiert, durch welche sie teilweise auch einen Wechsel vom Martinszeller in den Memminger Vertrag erreichen konnten. Durch die Listen haben sich die Geltungsbereiche der beiden Verträge ineinander verwoben.

 

Die mit dem Abt durch einen Vertrag gebundenen Personen weisen eine erstaunliche Bandbreite hinsichtlich ihrer sozialen Stellung auf. So sind bettelnde Witwen ebenso in die Verträge aufgenommen worden wie Ammänner. Der hohe Anteil an Frauen – sie machen etwa ein Drittel der zum Martinszeller Vertrag zugehörigen Personen aus – wirft neue Fragen zum Verhältnis der Frauen zur Herrschaft auf. Die Listen zeigen, wie stark die Herrschaft noch als ein persönliches Verhältnis verstanden wurde. Damit werden die Listen in die Nähe der Verschreibungen in die Leibherrschaft gerückt, nur dass sie inhaltlich von anderer Qualität sind. Nach der Aushandlung der Bedingungen für die Herrschaft durch Landschaft und Gericht war der Beitritt zu einem der Verträge mehr oder weniger eine persönliche Angelegenheit. Die Institutionen waren nur bedingt der Ort, in welchem die Obrigkeit auf die Untertanen traf und umgekehrt.

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